Читать книгу Einstein, Gott und meine Brüder - Harry Flatt-Heckert - Страница 22
Das 11. Kapitel
ОглавлениеDas Studieren selbst war auch klasse. Besser noch, als ich es mir vorgestellt hatte. Ich saß an der Quelle der Weisheit, verschlang Bücher wie eine neunköpfige Raupe und war bald Campus-Meister im studentischen Dreikampf: Ausleihen, Kopieren, Abheften. Thomas von Aquin zum Frühstück, zwischendurch ein bisschen Martin Heideggers Ontologie, gern mal die dialektische Theologie Karl Barths, Asterix auf dem Klo oder auch Niklas Luhmanns funktionale Systemtheorie als Bettlektüre. Platons Höhlengleichnis war sowieso in Form unserer Küche immer präsent. Ich konnte gar nicht genug bekommen.
Zum Glück las ich gerne, ich las schnell, ich hatte eine gesunde Auffassungsgabe und - das war das Beste - ich verfügte über ein unheimlich gutes Gedächtnis. Ich vergaß nichts. Ich konnte und kann mir jeden noch so unwichtigen Mist merken. Zum Beispiel weiß ich heute noch die Telefonnummer von Kühne & Nagel in Paris, weil ich dort während meiner Ausbildung ständig anrufen musste. Allerdings ist diese Erinnerungsgabe manchmal auch ein Verhängnis. Es gibt einfach zu viele Dinge, die zum Vergessen sind.
Heike hatte es mit dem ernsten Studieren eher nicht so. Das lateinische Wort "studere" heißt ja "sich bemühen" und das war ihr Problem. Sie hatte keine Lust, sich zu bemühen. Das war ihr zu anstrengend. Sie lebte lieber so rum. War mir auch recht.
Irgendwann waren wir dann auch offiziell ein Paar. Ihre Eltern akzeptierten mich, war ich doch Student aus gutem Hause; ihre Brüder - sie hatte auch drei davon - mochten mich, fuhr ich doch wie sie Motorrad, und war ich doch vor allem mindestens so trinkfest wie sie selbst. Meine Eltern waren begeistert und überglücklich, dass ich eine so charaktervolle Freundin hatte und mein Leben dann doch noch in so bürgerliche Bahnen bringen würde.
Wir wohnten mittlerweile in einer WG. Wir hatten sogar ein ganzes Haus gemietet. Mit einem großen Garten und zwei anderen Kommilitonen. Einem schwulen Spargel namens Wolf-Johann und einer großen Matrone namens Ursel, die aus dem tiefsten Ostfriesland stammte und trotz ihrer Frisur und ihres Hinterns total nett war. Wir vier hatten eine Menge Spaß. Das Haus war immer voll, wir feierten viele Partys, die Leute kamen und gingen. Ein tolles Leben. Aber auch ein teures. Um das alles finanzieren zu können, habe ich in einer einschlägigen Kneipe, der Bier-Akademie, Bier gezapft. Bier-Akademie. Das fand ich angemessen. Heike kellnerte in einem italienischen Restaurant. Und 1988 haben wir geheiratet. Eine Studentenhochzeit. Einfach so. Aus einer Laune heraus. Ein halbes Jahr später wurde unser Sohn geboren. Paul. Ich war glücklich. Aber nicht lange.