Читать книгу Einstein, Gott und meine Brüder - Harry Flatt-Heckert - Страница 21
Zehntes Kapitel
ОглавлениеHeike war auch da. Sie war jetzt nicht gerade - sagen wir - so hübsch, dass es mich aus den Schuhen gehauen hätte, so obenrum, am Kopf, sie stach aber trotzdem irgendwie aus der Masse heraus. Sie war weder besonders fromm, was ich sowieso nicht wahrgenommen hätte, sie war nicht besonders witzig, nicht besonders klug oder sonst irgendwie besonders. Meine Brüder fanden meine Freundinnen bis dahin sowieso immer nicht besonders, sondern bestenfalls charaktervoll. Heike war einfach anders als all die Kommilitoninnen, die nun mein Jagdrevier sein sollten. Und dieses Jagdrevier erwies sich ohnehin als sehr dünn besiedelt.
Frauen. Klar hatte ich Frauen. Schon ganz früh. Die erste war Katrin. Da war ich dreizehn und ich habe sie dem künftigen Bundeskanzler ausgespannt. War nicht fair, aber schön. Für mich. Für ihn nicht so. Für ihn war das wahrscheinlich eher so ähnlich wie ein konstruktives Misstrauensvotum, dass er verloren hatte. Aber ich war auch mal richtig verliebt. Erst in Katrin und später in Simone. Vor allem in Simone. Gott, war ich verliebt. Ich war achtzehn, hatte den traumatischen Tod von Claudia gerade irgendwie hinter mich gebracht, da kam Simone. Eine Schwabentochter aus Sindelfingen. Freundin meines Bruders Pitze... Aber nur eine Freundin. Die hatten nix.
Wir lernten uns kennen, sie war ein halbes Jahr älter als ich. Und wir verliebten uns. Liebten uns. Ständig. Ihre Eltern mochten mich, war ich doch damals ein angehender Speditionskaufmann mit blendenden Zukunftsaussichten, ich durfte bei ihr übernachten und dann betrog sie mich. Mit meinem Bandkollegen. Einfach so. Ich stellte sie zur Rede. Ist passiert, weil er ein so geiles Gitarrensolo auf irgendeinem Konzert in irgendeinem verschissenen Kuhdorf hinlegte. Sagte sie. Er sagte nix. Für mich brach eine Welt zusammen. Frauen sind doof.
Und nun Heike. Wie gesagt, sie war obenrum weder besonders hübsch noch besonders intelligent. Aber sie war untenrum und in der Mitte extrem gut gebaut. Schlank, sportlich, sexy. Sie hatte einen tollen Körper. Und sie war interessant. Redete ich mir jedenfalls ein. Viel interessanter als all die anderen Schnepfen, die mit uns studierten und den Campus besiedelten und meine Augen besudelten. Die waren alle so rund und fromm, dass das herzlieb Jesulein wahrscheinlich seine Freude gehabt hätte. Aber was wusste der schon von Frauen?! Meine Mitheiligen hatten diese typische landeskirchliche Einheitsfrisur, die alle Pastorinnen tragen und waren völlig spaßbefreit. Und in meinen Augen total angepasst, viel zu sehr angepasst.
Sie wollten eigentlich auch gar nicht studieren. Sie wollten Pastorinnen werden. Und dazu musste man eben leider studieren. Aber irgendeine geistige Auseinandersetzung oder Hunger nach Erkenntnis? Fehlanzeige. Das wollten sie nicht. Für sie war das Studium nur ein lästiger und steiniger Weg, um an ihr geliebtes Ziel zu kommen. Dienerin im Schoß der Kirche zu sein. Ihrem eigenen Schoß trauten sie wohl nicht so viel zu. Wie auch, sie kannten ihn ja. Auf dem Weg zur landeskirchlichen Glückseligkeit hatten sie ja schon Einiges erreicht. Diese Frisur und einen dicken Hintern. Bloß nicht bewegen. Ich verachtete sie.
Klammer auf: Wenn Sie jetzt der Meinung sind, diese völlig überflüssige Information sei etwas für die Abgeschiedenheit des Fußnotenbereichs, bitte! Stecken Sie dorthin. 8 Ich will Sie, als mündige Leser an diesem Punkt weder Ihrer Freiheit berauben noch Sie aus Ihrer Verantwortung entlassen. Klammer zu.
Und da war Heike eben anders. Und dass sie körperlich so gut beieinander war, das hatte mich natürlich am meisten begeistert.
Und wahrscheinlich reichte mir das. In der Not frisst der Teufel Fliegen. Leider. Und ich habe gefressen. Ich habe sie aufgefressen. Heike war sexuell sehr offen, sehr aktiv. Sie wehrte sich gegen gar nichts. Im Gegenteil. Sie wollte alles ausprobieren. Sie wollte alles. Und sie wollte auch gar keine Pastorin werden, sie wollte eigentlich auch gar nicht studieren. Ich glaube, sie wollte ihre Eltern ärgern. Denn die konnten mit Kirche auch nichts anfangen. Vielleicht wollte sie damals auch einfach nur von zuhause weg. Ich weiß es nicht.
Wir verbrachten die Tage, an denen wir keine Vorlesungen oder Seminare hatten - oder selbige schwänzten - und Nächte im Bett, rauchten, tranken Wein, aßen nur das Nötigste und hatten eine geile Zeit. Ich war glücklich. Ein Leben zwischen Büchern, Rotweinflaschen und Heikes Schenkeln. Was wollte ich mehr? Ich kam mir so ein bisschen vor wie John Lennon und Heike war meine Yoko Ono. Sie war eine Rebellin. Wie ich.