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Einführende Einführung

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Eigentlich wollte ich meine Steuererklärung machen. Was heißt, ich wollte? Ich musste! Ja, ich musste unbedingt in die Puschen kommen, dachte ich, denn das Finanzamt hatte schon die Abgabe der Steuererklärung angemahnt. Das Finanzamt mahnte mich eigentlich jedes Jahr. Einmal. Ich habe es immer darauf bewenden lassen. Und dann schätzte mich das Finanzamt. Jedes Jahr. Mal zu meinen Gunsten, mal zu meinen Ungunsten. Aber das war mir egal, das ging schon irgendwie auf. Ich zahlte, was sie haben wollten. Ich hasse Papierkram. Ich bin anscheinend allergisch gegen Formulare. Es muss eine ausgesprochen starke Allergie sein. Und Steuererklärung ist nun mal gar nicht mein Ding.

Aber dieses Jahr mahnte mich das Finanzamt schon zum zweiten Mal. Das war ungewöhnlich. Ich merkte, irgendwie sitzen dir mir im Nacken. Es wird jetzt also dringend Zeit, dass ich das angehe, und wenn es mir noch so schwerfällt.

Und dann kam vor ein paar Tagen auch noch dieser alles verändernde Brief von der Oberfinanzdirektion. Oberfinanzdirektion. Das ist noch mehr als Finanzamt. Man würde mich gern für eine erweiterte Betriebsprüfung besuchen kommen. Schon in zwei Tagen. Ach du liiiieber Himmel, dachte ich.

Klammer auf: Wenn ich mich recht erinnere, dachte ich: 'Ach du Scheiße'. Aber ich weiß nicht, ob ich das hier so schreiben kann. Vielleicht sind Sie noch minderjährig und Ihre Mutter sieht das hier und ich hab' wirklich schon genug Ärger am Arsch. Klammer zu.

Irgendwann ist eben jeder dran. Dachte ich. Also setzte ich mich hin und hackte Zahlenwerk in meinen Computer, puzzelte Einnahmen und Ausgaben aus meiner Tätigkeit als freier Theologe zusammen, legte Tabellen an, guckte, was kann ich wo von der Steuer absetzen, wie kann ich mich armrechnen und wo, verdammt noch mal, ist der Kaufbeleg für das Notebook, das ich meinem Jüngsten zu Weihnachten gekauft habe und das jetzt irgendwie in mein Betriebsinventar einfließen musste, wenn ich denn wenigstens ein paar Euro vom Staat wiedersehen wollte? Wo steckst du, du mieser, kleiner Zettel?

Steuererklärung ist eigentlich gar nicht schwierig. Ich hatte mir das alles gar nicht so einfach vorgestellt. Nur lästig. Besonders, wenn man Allergie hat. Irgendwann hatte ich alles beisammen, hatte all meine Belege, Rechnungen und Quittungen, die ich so im Laufe der letzten zehn Jahre in den geklauten REWE-Körben in meinem Schuppen hortete, sortiert und konnte anfangen.

Einnahmen minus Ausgaben gleich Gewinn. Gewinn gleich mein Einkommen. Mein Einkommen plus das Einkommen meiner Frau gleich Familieneinkommen vor Steuern. Familieneinkommen vor Steuern minus all das, was man so abziehen kann - Freibeträge, Altersvorsorge, besondere Belastungen, Versicherungen. So was eben. - gleich zu versteuerndes Einkommen. Gar nicht so eine große Sache, dachte ich. Hier noch ein paar kleine Radierungen, da noch ein paar fantasievolle Nachbesserungen und irgendwann hatte ich eine Zahl, mit der ich leben konnte. Ich war stolz. Meine erste richtige Steuererklärung. Sollte der Erbsenzähler doch kommen. Ich war vorbereitet. Und ich hatte mir das alles so einfach vorgestellt. Ich stellte mir immer alles so einfach vor.

Der Betriebsprüfer kam, und nachdem wir ein wenig geplaudert hatten, präsentierte ich ihm mein Werk. Nicht ohne Stolz. Er überflog die Unterlagen kurz, schob sie beiseite und eröffnete mir sehr freundlich, dass er im Moment gar nicht so sehr an unserem Einkommen des letzten Jahres interessiert wäre, sondern vielmehr an meinen gesamten Umsätzen der letzten zehn Jahre. Seit ich selbständig wäre. Ich hätte nämlich noch nie die fällige Mehrwertsteuer an den Fiskus abgeführt. Wäre ihm aufgefallen. Dem Fiskus.

Ich erklärte ihm nachsichtig, haha, da hätte er sich den Weg zu mir aber sparen können. Ein Blick in meine Akte hätte ihm ja deutlich machen müssen, dass ich ja gar nicht mehrwertsteuerpflichtig wäre, weil ich doch als freier Pastor und Therapeut arbeitete und bei meiner Steuervoranmeldung mit meiner beginnenden Selbständigkeit vom zuständigen Finanzamt mehrwertsteuerfrei gestellt wurde. Das müsse er doch wissen!

Er erklärte mir vorsichtig, nee, nee, dies sei leider ein bedauerlicher Fehler des zuständigen Finanzamtes. Jeder macht mal einen Fehler. Auch Irre sind menschlich. Das täte ihm auch alles sehr leid, was mich allerdings nicht von meiner Umsatzsteuerplicht entbinde. Das müsse ich doch wissen! Ich hätte ja diese Umsätze schließlich vereinnahmt. Und nichts Anderes stecke hinter dieser Betriebsprüfung, fügte er bestimmt hinzu. So.

Ich musste mich setzen und war heilfroh, dass ich schon saß, denn ich glaubte nicht, dass ich den Weg bis zum nächsten Stuhl unter diesen Umständen noch geschafft hätte. Ich war vollkommen schockiert. Ich jammerte, dass das doch wohl nicht wahr wäre und ob er sich vorstellen könne, dass das, wenn das wahr wäre, was er mir da gerade eröffnet hatte, meinen sofortigen Ruin bedeuten würde. Er sagte, ja, das könne er sich vorstellen. Aber er sei ja gar nicht so und er würde in vierzehn Tagen nochmal wiederkommen - immerhin gab er mir Zeit - und würde dann meine Bilanzen einsehen. Ich war erledigt. Mein Leben war zu Ende. Mit Mitte fünfzig. Bilanzen. Für zehn Jahre! Ich hatte noch nie eine gesehen, geschweige denn, eine erstellt.

Klammer auf: Ich weiß, dieser Part dieses Buches ist etwas schwierig. Aber bei Dostojewski hat man sich auch erst nach vierhundert Seiten eingelesen. Klammer zu.

Mir wurde schlagartig klar: jetzt bräuchte ich Ordnung. Ordnung war leider auch nicht meins. Noch nie.

Und nun sitze ich hier vor meinem Computer und kann von vorn anfangen. Für zehn Jahre Umsatzsteuer ausrechnen. Und dann wohl pleitegehen. Was für eine Aussicht. Ich hasse das. Und ich habe auch keine Lust.

Also fange ich lieber an zu schreiben. Das hier. Das liegt mir auch viel mehr, wenngleich ich auch keinerlei Erfahrung im Bücherschreiben habe. Ich bin nämlich eigentlich ein Redenschreiber. Ein Redner. Sagt das Finanzamt. Und das Finanzamt hat immer Recht. Die Oberfinanzdirektion noch viel mehr. Ich dachte, ich wäre freier Theologe und Therapeut. Denkste. Als freier Theologe und Therapeut wäre ich nämlich tatsächlich von der Umsatzsteuer befreit und ich könnte mir das hier alles ersparen. Und Ihnen auch. Als Redner aber nicht. Und darum schreibe ich dieses Buch. Als Mann, als Ehemann, als Vater, als Bruder, Sohn und Freund, als Theologe und Wissenschaftler, als ich und als Steuersünder.

Klammer auf: Aber keine Sorge, eigentlich geht es in diesem Buch gar nicht um Steuern. Klammer zu.

Einstein, Gott und meine Brüder

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