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V.

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Der Pianist hatte sich kaum zu seinem Glase zurückgezogen, als drüben der bisher stumme Trübselige in heftiger Erregung sich erhob. Er schleppte seinen Stuhl gleich mit, ließ sich, zwei der Alten im Marengo-Anzug zur Seite drängend, kurzerhand am langen Tische nieder.

«Zu euch gehör ich», hörte man ihn erklären, «mit euch will ich saufen! Ich bin erst fünfundfünfzig, vor einer Woche war mein Geburtstag, aber ich bin alt, versteht ihr das? Ausrangiert wie ihr und zu alt für eine nützliche Arbeit! Teufel, habt ihr schon so was gehört? Zwanzig Jahre lang war ich bei der Semiramis, ihr kennt sie ja, unsre größte Fettfabrik, einer der zuverlässigsten Vertreter, ich schneide nicht auf, nur Geschäftskundschaft natürlich. Und plötzlich entlassen sie mich, von einem Tag auf den andern, wisst ihr, warum? Nur weil ich mir erlaubt habe, zu meinem Vorgesetzten, dem Verkaufschef, eine Bemerkung zu machen wegen seiner Weibergeschichten. Und nun find ich einfach nichts Anständiges mehr. Ich kann doch, in meinem Alter, nicht wieder von vorn anfangen, ich kann doch nicht von Haus zu Haus ziehn, Türklinken abstauben, mit irgendeinem Schwindel, den keiner braucht. Ich sag euch, manchmal glaub ich, ich werd verrückt, oder ich werd mich erschießen. Warum glaubt ihr denn, dass ich in solchen Wirtschaften herumsaufe? Früher hab ich nur im Kakadu verkehrt, im Wiener Café und in den andern guten Lokalen. Aber was soll ich heute antworten, wenn ich Bekannte treffe und sie mich fragen: ‹Wie geht’s Ihnen, Herr Weiner?›?»

Er hätte vielleicht weitergejammert, doch verstummte er, als plötzlich der ganze Kehlenlärm in der Wirtschaft in sich zusammenfiel und der sentimentale Modeschlager Domino, Domino unbehelligt, in ängstigender Reinheit ins Gehör floss. Ein langer, hagerer Mensch mit dem schmalen, scharf gezeichneten Gesicht des Berglers hatte das Lamm betreten, ein Mann, der einen schweren Alpenfilzhut und eine olivgrüne Lodenpelerine trug. «So, da wären wir wieder», verkündete er mit voller, wohltönender Bassstimme. Er beäugte die gaffende Runde, streckte die langen Arme weit von sich wie ein Seiltänzer und setzte sich schwankend, an Alfs Tisch vorbei, auf das Buffet zu in Bewegung.

«Heda, Langer, komm setz dich und mach keine Eseleien!», rief ihm besorgt der Arbeiter nach, der ihn zuvor verteidigt hatte.

«Mensch, mach keine Eselei’n, der Sepp,

der hat ein Herz wie Stein!»,

verkündete, allen vernehmlich, der Einundachtziger.

Der Wirt schien es eilig zu haben, dieses Urteil zu bestätigen. In voller Breite stand er hinter dem Schanktisch, einen harten Gegenstand in Form eines Kuhhorns vor dem Munde. Die Musik im Radio erstarb.

«Hallo, hallo, hier Radio Lamm», dröhnte es mächtig durch den Lautsprecher. «Ich sehe ein langes Gespenst; ich sehe einen, der hat sich hier nicht zu setzen; ich sehe einen, der hat nichts gelernt, und der wird zum zweiten Mal an die Luft fliegen. Das Lamm ist keine Trinkerheilanstalt – im Gegenteil!»

Der Eindringling stand still und blickte dem Wirt gebannt wie das Kaninchen der Schlange in die Augen.

«Blackie», dröhnte es von Neuem, «ich glaube, Blackie, du kriegst Angst!»

Ein schwarz-gelber Köter, halb Wolfs-, halb Bauernhund, schoss mit gesträubtem Fell und bedrohlich knurrend wie ein Teufel hinter der Theke hervor, stellte sich dicht vor den Betrunkenen und tat zweimal seine eindeutigen Empfindungen durch ein scharfes, schnappendes Bellen kund. Bevor jedoch das Ungewitter vollends losbrach, rief links von Alfred der Herr in grauem Kammgarn und mit den nach hinten laufenden dunkelblonden Haarwellen: «Kinder, seid lieb zueinander, ich zahle dem Mann eine Tasse Kaffee, die wird ihm ja bestimmt nicht schaden!»

Das wirkte, vermutlich, weil es sich bei dem Spender um einen seltenen und gut gekleideten Gast handelte. «Werden ja sehen», brummte Sepp. «Aber auf Ihre Verantwortung, meine Herrschaften! Schließlich sind ja Sie’s, die der Geselle vor einer Stunde belästigt hat!»

«Hab mir’s schon gedacht, du bist ein senkrechter Bürger», dankte der Gerettete seinem Retter, indem er auf ihn zuschritt und ihm einen mächtigen Schlag auf den Rücken versetzte. «Mein Bub, der älteste, der war auch ein flotter Bursche, das kann ich dir sagen», fuhr er fort. «Aber er ist gestorben, am siebenten Februar vor einem Jahr. Und alles andere – alles andere ist Hundsware, Lumpen und Gauner, das sag ich dir, der Reto Venetz, und ich lüge nicht, kannst jeden fragen im Dorf, ich soll auf der Stelle tot zusammensinken, wenn nicht jedes Wort wahr ist, das ich sage!»

«Ich weiß, ich weiß», suchte Retos Gönner zu beschwichtigen. «Aber komm jetzt, setz dich hin und trink deinen Kaffee!» Er zog ihn neben sich auf die Bank nieder.

«Ich möcht keinen bloßen Kaffee, ich möcht einen Kaffee Schnaps», sagte gedämpft der Bergler, der immer noch Hut und Mantel trug.

Die Wirtin, die bis zu diesem Augenblick anscheinend unbeteiligt in ihrer Ecke vor sich hin gedöst hatte, schlug die geröteten Augen auf. Sie winkte den hageren Vetter zu sich heran. Der streckte seinen Kopf, als hätte er sich ein Verlängerungsstück in den Hals gesetzt, weit über den Schanktisch vor und legte sich die Hand an die linke Ohrmuschel.

«Zwei Schnaps, Dodo!», rief die Wirtin halblaut und unter unmissverständlichem Augenzwinkern. Der Bursche warf einen verstohlenen Blick rückwärts auf den Wirt, der ahnungslos an der Kochstelle hantierte. Grinsend füllte er dann die beiden Gläschen und reichte sie hinüber an den Tisch. Die Wirtin leerte das ihre in einem Zuge. Der Grünbemäntelte hatte sich schon angeschickt, seinen Teil in den Kaffee zu gießen. Als er jedoch das ermutigende Beispiel der Kumpanin bemerkte, tat er wie sie, ohne in der Folge seinen Kaffee auch nur mit einem weiteren Blick zu beehren.

«Ein großes Maul haben sie, die in der Stadt», erklärte er bitter. «Aber oben am Berg, da wird mancher so klein!» Er legte seine flach ausgestreckte Hand nahezu hinunter auf den Fußboden. «Hab schon manchen geschniegelten Laffen heruntergeholt aus den Felsen, wenn er nicht mehr vorwärts und rückwärts wusste und fast in die Hosen machte – ich, der Reto Venetz, könnt mir’s glauben! Aber der älteste Bub ist unter der Erde, der von der ersten Frau. Darum ist mir heute alles wurst, alles, ob ihr’s begreift oder nicht begreift!»

«Ja, und die zweite Frau, die hast du auch kaputt gemacht?», fragte die Wirtin, indem sich ihre Züge höhnisch verzerrten.

Das männlich wohlgeformte, im Grunde kluge Antlitz des Mannes wandelte sich schlagartig in die hassentstellte Fassade eines Tobsüchtigen. Die Nasenflügel blähten sich, zuckten auf und nieder; krampfartig verkürzte Oberlippen ließen längliche gelbe Zähne hervortreten; zwischen den weit aufgerissenen Augenlidern boten sich die groß gewölbten Augäpfel ganz rosaweiß der ätzenden Rauchluft dar. «Ich hab meiner Lebtag mit aller Welt in Frieden gelebt», schrie er, «meiner Seel’! Aber die Frau, die werd ich erschießen eines Tages, kaltblütig werd’ ich sie zusammenschießen, wie einen räudigen Hund, und ihre Kinder dazu, meine Hand wird nicht einmal zittern, wenn ich abdrücke!»

«Um Gottes willen, wissen Sie, was Sie da sagen, guter Mann?», erschrak der Tischgefährte in blauem Kammgarn, der sich bisher nicht in das Gespräch gemischt hatte.

«Das Gewehr hab ich nicht bei mir, und die Frau ist auch nicht da, brauchst dich nicht zu fürchten», beschwichtigte der Erregte. «Die Frau, die hockt daheim im Dorf mit ihrem Bastard, und der Martini Franz ist der Vater, der Martini, dem das Regina gehört, falls sich einer bei uns oben ein wenig auskennen sollte. Bewiesen hab ich alles vor dem Amtsgericht, wisst ihr, was beweisen heißt?»

«Hast deinen Schädel gewiss nicht dazwischen gehabt!», sagte die Wirtin, so derb sie konnte.

«Was sollst du dir denken», wehrte sich Venetz, «wenn du einmal heimkommst, zwei Stunden früher, als man dich erwartet, und deine Alte macht dir die Stubentür nicht auf, und du hörst, wie sie geheim tut mit einem andern, und du schlägst nicht zuletzt die Tür ein, und einer steht drin –»

Er stockte auf einmal. «Nein, vor dem feinen Fräulein darf ich solche Sachen nicht erzählen», schalt er sich selbst mit einem Blick auf die begierig lauschende Blondine, die zwischen den beiden Herren in Kammgarn saß. «Aber den Reto Venetz», versicherte er, «den werden sie nicht vogten! Vorher werd ich sie kaltblütig abschießen, die Halunken! Den Martini auch – und vielleicht auch den andern Schuft, den Gerichtspräsidenten! Gesehen hab ich’s selbst, und das ganze Dorf hat schon vorher über mich gelacht, und alles hab ich bewiesen – hat mich Geld genug gekostet, der Advokat, aber bewiesen hat er alles, vorwärts und rückwärts, in der Verhandlung. Aber den Prozess, den hab ich verloren, weil der Gerichtspräsident, der Schuft, jeden Abend mit dem Martini beim Kartenspiel hockt in der Kreuz-Stube und weil der Martini das große Tier ist bei den Liberalen und weil der Venetz nur ein einfacher Waldarbeiter ist und in keiner Partei, nicht einmal bei den Roten … Und darum bin ich ausgezogen in die Stadt, ich arbeit hier auf dem Bau, wenn ihr’s wissen wollt. Aber für den Bastard schick ich der Metze keinen roten Cent; viel eher werd ich den letzten Cent versaufen – sagt selber, hab ich recht oder nicht? Und wenn mich die Gauner vogten wollen – sollen sie’s nur probieren, kaltblütig werd ich sie alle zusammenknallen!»

Sein Kopf fiel plötzlich vornüber; hart schlug seine Stirn auf den Tisch, der Hut schob sich rückwärts in den Nacken, rutschte seitlich ab und kullerte zu Boden.

«Einen Kräuter!», rief der Herr in grauem Kammgarn besorgt. «Noch einen Kräuter, das wird ihm aufhelfen!»

Als das volle Gläschen auf dem Tische stand, hob Venetz den Kopf, goss sich den Brand in die Kehle, setzte sich mit ungelenker Gebärde den Hut aufs Haupt zurück und sprang jählings auf. Da erhob sich auch der Herr in grauem Kammgarn – er war nicht groß und von breiten Schultern, doch wie er nun dastand, mit tadellos gebügelten Hosenfalten, beeindruckte die Gepflegtheit seiner Erscheinung. Tränen schimmerten in seinen Augen. «Reto», rief er, «lauf nicht fort, du bist mein Freund! Ich habe heute mein eigenes Geschäft, und ich arbeite Tag und Nacht, und ich verdiene mehr, als ich verbrauchen kann. Aber hier» – und er schlug sich mit der Faust auf die Brust –, «hier bin ich vielleicht ärmer als du. Ich habe keinen einzigen Freund. Im ganzen Leben hab ich keinen einzigen Menschen gekannt, von dem ich hätte sagen können: Er hat mich lieb. Aber Reto, du, du hast ein Herz, da, wo bei den andern nur eine Pumpe funktioniert, und du musst mich lieb haben, wie ich dich lieb habe, und du wirst mein Freund, mein einziger ehrlicher Freund sein, solange wir beide im Leben weilen!»

Er kletterte über den Schoß der Wirtin hinweg, die ihm im Wege saß, und warf sich ungestüm an Retos Brust, der seine Arme, Gutes witternd und auch, um nach dem Aufprall nicht rücklings hinzufallen, wie eine schützende Mutter um den Kleineren schlug.

Seltsamerweise stand plötzlich drüben hinter dem langen Tisch ein weiteres Paar: die kunstblonde Singapore-Olga und der traurige schmale, junge Mann mit dem schnurgerade gezogenen Scheitel, der Hornbrille und der grau-rot gestreiften Seidenkrawatte. Sie hatte ihre Hände an seine beiden Oberarme gelegt. «Mon pauvre chéri», nannte sie ihn, «glaubst du, du bist der Erste, der von einer Frau betrogen wurde? Sei nicht lächerlich, ein hübscher Junge wie du, schon morgen wirst du alles vergessen haben, ich habe ganz andres vergessen müssen im Leben! Weißt du, wie man mich nennt? Kennst du Singapore? Das ist die Stadt, wo mein Verlobter, das Schwein, und ein Arzt dazu, mich nach dreijähriger Bekanntschaft einfach hat sitzen lassen, mit drei Dollar und ohne Freunde!»

«Ich kann nicht vergessen!», stöhnte der junge Mann, indem er die Augen schloss, seine Brille behutsam in die Hand nahm und seine Stirn auf ihre breite Schulter fallen ließ.

«Hast du ihr Geld gegeben?», fragte die Frau.

«Zwölfhundert Kronen, alles, was ich mir absparen konnte von meinem Gehalt!»

«Zwölfhundert Kronen?» Ihre Lippen zuckten verächtlich. «Ce que tu es mignon! Ich würde dir zwölftausend abknöpfen, wenn du sie hättest! Komm, nimm dich zusammen, sauf nicht so viel, such dir lieber ein hübsches Girl, es gibt Hunderte, die auf dich warten!»

Er richtete sich unvermittelt auf, schob sich die Brille auf die Nase zurück und blickte Olga entschlossen in die Augen. «Vielleicht hast du recht», sagte er mit überraschender Festigkeit, «vielleicht kann ich sie vergessen eines Tages. Aber es gibt nur eine Frau, die mir helfen könnte!»

«Dein Leben lang», rief sie, «wirst du ein Dummkopf bleiben! Und was ist denn das für eine neue Wunderkatze?»

«Ich wage es nicht zu sagen», antwortete er feierlich, «wenn du nicht selbst weißt, warum ich diesen ganzen Weg zu dir hinübergeschritten bin!»

Sie starrte ihn an, lachte gellend auf und küsste ihn heftig auf beide Wangen. «Tu es vraiment un amour!», erklärte sie, immer noch lachend, doch nicht ohne keimende Zärtlichkeit. «Komm, setz dich zu uns, ich werde dir helfen – wir alle werden dir helfen, bis du deinen faulen Zwölfhundertkronenschatz vergessen hast!»

«Freundschaft und Liebe!», rief er mit lauter, befreiter Stimme vor sich hin. Er strahlte, als sie ihn mit untergeschobenem Arm an ihren Tisch führte.

Erregt vom Wein und der allgemeinen Aufregung, erhob sich schließlich auch Alf.

«Wohin rennst du, Böser?», rief Doris besorgt.

«Ich renne ja gar nicht!», erwiderte der völlig Ziellose.

Sie umklammerte sein Handgelenk und zog ihn zu sich auf die Bank zurück. Dann erhob sie sich und setzte sich querhin auf seine Oberschenkel. Sie schlossen die Augen, mit beiden Händen umschlang sie seinen Nacken, wie er mit seinem rechten Arm ihren empfindsamen Oberkörper umfasste, und wie ein Kätzchen rieb sie schmeichlerisch ihre samtene an seiner bereits recht borstigen Wange, und er fand mit seinen geöffneten Lippen ihren begehrenden offenen Mund, umkoste mit zärtlicher Zunge ihr spielendes Zünglein, sog wieder und wieder tief in sein Innerstes die unsägliche Weichheit ihrer Lippen, die verzaubernd in seinen Nerven ein einziges überströmendes Verlangen entfachte.

Während sich diese liebeserfüllten Ereignisse in der Stube begaben, war hinter dem Schanktisch der bewegteste Streit ausgebrochen zwischen dem Burschen Dodo und dem Wirt, seinem Vetter, der beobachtet hatte, wie jener Venetz den starken Kräuterschnaps ausgeschenkt. Sepp rannte hin und her, schlug mit seinen hammerähnlichen kurzen Armen vor sich auf und nieder, als wollte er den anderen zu Brei zermalmen.

«Kamel!», schrie er. «Torenbube, wird alles in Scherben schlagen … Polizei in der Bude … machst meinen Ruf kaputt … kannst mich lecken … wer befiehlt hier? … langer Esel … halb verreckte Schafsnase …!»

Dodo schien ihm jedoch nichts schuldig zu bleiben. Er brüllte den Vetter an aus weit aufgerissenem Rachen, sein Kopf wackelte, Beklemmung erregend, wie der eines hungrigen nackten Nestgeiers bei der Fütterung, auf dem gertenhoch gereckten Hals, die Schlangenarme durchfuhren den Raum nach allen Enden.

Da fing Reto auf einmal mit unsicher geführter, doch prächtig voller Bassstimme zu singen an. «Wie fein und lieblich, wenn unter Brüdern, wenn unter Schwestern die Eintracht wohnt», sang er so inbrünstig, dass da und dort einer mitzusummen begann und mehr als einem von den Alten an der mittleren Tafel die Tränen in die Augen traten. Alf und sein Mädchen ließen freilich erst voneinander, als auch am Nachbartisch rechts einer aufsprang und mit italienischem Akzent selbstbewusst ansagte: «Jetzt ich werde singen – für die zwei junge Verlobte – von amore!» Worauf der Mann, der, wie es hieß, sein Brot als Plattenleger verdiente, mit silbern strömender großer Tenorstimme und mit dem sicheren, sentimentale Übertreibung ausgleichenden musikalischen Maß des Südländers ein neapolitanisches Liebeslied zum Besten gab. Der wilde Beifall aber, der den Sänger belohnte, brachte es fertig, sogar den Wirt seinen leidigen Handel mit dem Vetter vergessen zu lassen. Der ehrgeizige Patron erachtete den Augenblick für gekommen, da er mit seiner großen Nummer in die Arena zu steigen hatte. Er drehte am Radio herum, fand eine Tanzmelodie von schnellem und scharf markiertem Rhythmus, ließ sie in voller Lautstärke in die Stube schmettern. Dann ergriff er zwei große Löffel, stellte sich vor das wohl anderthalb Meter breite Gestell hinten an der Wand neben der Kochstelle, auf dem in zwei Reihen die mehr oder weniger gefüllten Likörflaschen standen, und begann in verteufeltem Tempo, im Takt der Melodie, reihauf, reihab auf den Flaschen herumzuschlagen, als wären sie die Stäbe eines Xylophons. Bald legte er perlende Läufe hin, wobei er die Löffel wechselweise einzeln aufschlagen ließ, bald hämmerte er mit beiden Löffeln gleichzeitig drei, vier schreckende Akkorde, und wenn der große Schlusseffekt fällig war, drehte er sich halbwegs um und fuhr mit einem seiner Werkzeuge rasselnd über die ganze Länge des fein gerillten Abwaschblechs hinter der Theke. Und alles lachte und stampfte und schrie, und mancher hielt sich grinsend die Ohren zu, und selbst dem feierlich schwarzen Smoking-Melonen-Männchen widerfuhr es, dass sich seine Gesichtsmuskeln endlich geschlagen gaben und sich in ihre volle Breite verzogen.

Am Stammtisch der Rebellen

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