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241. Ferdinand Hiller66
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Während der ersten Hälfte der dreißiger Jahre sah ich Heine in Paris, wohin er ungefähr ein Jahr nach der Julirevolution gekommen war, sehr viel... Ich war kaum zwanzig Jahre alt, als er mich aufsuchte, um mir Grüße von den Meinigen aus Frankfurt zu bringen, und ich rechne es ihm nachträglich sehr hoch an, daß er gern mit mir verkehrte – damals im jugendlichen Übermut schien mirs ganz natürlich. Meine Jugend war auch wohl alles, was ihm an mir behagen konnte – ich war zwar ein guter Musikant, das war ihm aber gleichgültig – ich erinnere mich nicht, daß es ihm je eingefallen wäre, sich von mir etwas vorspielen zu lassen. Die Musik interessierte ihn nicht übermäßig, soviel Geistreiches und tief Empfundenes er auch, neben toll Humoristischem, darüber geschrieben. Sein Äußeres kennen Sie wohl aus Bildnissen, soviel man aus dergleichen, vor der Photographie, entnehmen konnte, wenn der Zufall nicht einem bedeutenden Menschen einen bedeutenden Maler zugeführt. Die Nachbildungen eines Porträts, welches der talentvollste Professor Oppenheim von ihm gemacht, sind indes leidlich ähnlich, wenn sie auch das vortreffliche Bildnis uns sehr unvollständig wiedergeben. Ich glaube nicht, daß das Antlitz Heines sonderlich auffiel, solange man nicht wußte, welchem Kopf es als Aushängeschild diente – kannte man aber den Inhaber, so mußte man ihn auch darin finden. Die Stirn war sehr edel, die Augen wechselten zwischen Mattigkeit und blitzendem Feuer. Am lebhaftesten ist mir sein Mund in Erinnerung haftengeblieben – er verzog ihn sehr, sehr häufig zu einem satyrischen, wegwerfenden Lächeln, und wiewohl dieser Ausdruck vortrefflich zu seiner Geistesrichtung paßte, kam mir dieses fast höhnische Herabziehen der Unterlippe etwas gemacht vor – ich glaube, er wußte, wie das aussah, und er gefiel sich darin. Im übrigen kann man in Wesen und Gebärde nicht einfacher, nicht natürlicher sein, als er es war – ein nachlässiges Sichgehenlassen in Gang und Haltung und keine Spur von Prätension!
Man hat mich oft gefragt, ob Heine im Gespräch sich ebenso geistreich gezeigt, als mit der Feder. Wie sollte das möglich gewesen sein! Als ich ihn eines Tages besuchte, fand ich ihn arbeitend am Schreibtisch und warf einen neugierigen Blick auf den vor ihm liegenden Bogen, der kaum eine Zeile enthielt, die nicht durchgestrichen und durch eine darüberstehende ersetzt gewesen wäre. Er fühlte meine Verwunderung und sagte mit ironischem Ton: „Da sprechen die Leute von Eingebung, von Begeisterung u. dgl. – ich arbeite wie der Goldschmied, wenn er eine Kette anfertigt – ein Ringelchen nach dem andern – eines in das andere.“ Oft rezitierte er mir kleinere Gedichte, die eben entstanden waren – irrte sich dabei aber sehr häufig. „Glauben Sie nicht,“ sagte er einst, „daß mich das Gedächtnis im Stiche läßt, ich wähle aber zwischen so vielen verschiedenen Wendungen, daß ich im gegebenen Augenblick leicht vergesse, welche ich festgestellt.“ Wenn ein Schriftsteller bemüht ist, wie es mit feinsten Weinen geschieht, uns aus einer Auslese von Geistesbeeren einen Trunk zu kredenzen, wird das, was die Kelter aus dem Übrigen preßt, notwendigerweise nicht von gleicher Vortrefflichkeit sein. Jedoch war Heine sehr schlagfertig, und im Gespräch mit geistig Gleichstehenden mag er sich wohl zu sich selbst erhoben haben. Im allgemeinen liebte er aber leichtes Geplauder, bei welchem es an treffenden, wohl auch verwundenden Ausfällen nicht fehlte. Ein Einfall, der schlagend, machte ihm die größte Freude, und ich bin überzeugt, daß er zuweilen eine Reihe von Besuchen machte, nur um ihn zu kolportieren und jedesmal wieder aufs herzlichste darüber zu lachen. Im Verkehr mit seinen näheren Bekannten war er indes, trotz seiner Neigung zu scharfer Kritik, überaus rücksichtsvoll...
Börne... war Heines Gespenst, seine bête noire. Bereit, das glänzende Talent jenes von Geist sprühenden Publizisten anzuerkennen, war es ihm doch unerträglich, daß man sie stets als Dioskuren zusammen nannte. „Was habe ich mit Börne zu schaffen,“ rief er ebenso häufig als unmutig aus, „ich bin ein Dichter!“ Und es lag hierin ebensoviel Wahrheit als Selbstbewußtsein...
[Hiller kehrte Ende Oktober 1832 nach Deutschland zurück, vgl. Heines Brief an ihn vom 24. Oktober; erst 1836 kam er wieder nach Paris.]