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2. DIE EINWURZELUNG DES PRINZIPATS UNTER DEN JULISCH-CLAUDISCHEN KAISERN
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Nach dem großartigen Staatsbegräbnis für Augustus, das Anfang September 14 n. Chr. stattfand, war es die vordringliche Aufgabe des Senats sich zu vergewissern, ob Tiberius, dem man schon allgemein den Treueid geschworen hatte, bereit sei, den 27 v. Chr. an Augustus erteilten umfassenden Fürsorgeauftrag (cura rei publicae) seinerseits zu übernehmen. Zudem galt es, die staatsrechtlichen Vollmachten, welche Tiberius unter Augustus erhalten hatte, auf eigene Füße zu stellen und um die Privilegien zu erweitern, die Augustus im Laufe seiner Regierung zuerkannt worden waren. Mit einem Satz: Es ging um die Installierung eines neuen Prinzipats. Daß dieser sich an dem vorangegangenen zu orientieren habe, entsprach römischer Denkweise, doch waren dadurch Neuerungen nicht ausgeschlossen. Tiberius hat Bedenken geäußert, ob seine Kräfte für die Größe der Aufgabe ausreichten und die Möglichkeit angedeutet, mehrere an der Leitung des Staates zu beteiligen. Ihm wurde aber entgegengehalten, der Staatskörper sei ein Ganzes und bedürfe der Leitung eines einzelnen (Tac. ann. 1, 12, 3) – die Institutionalisierung des Prinzipats als monarchischer Regierungsform war von Augustus so weit vorangetrieben worden, daß eine Änderung der Regierungsbeteiligung als Abweichung vom Modell verstanden wurde!
Tiberius gab sein Zögern (cunctatio) auf und übernahm den Prinzipat in der augusteischen Form (Vell. 2, 124, 2: statio paterna). Diese erhielt dadurch geradezu kanonische Bedeutung und festigte sich auch insofern, als das imperium proconsulare maius (wie die tribunicia potestas) jetzt auf Lebenszeit verliehen wurde; Augustus hatte das Imperium immer nur für 10 oder 5 Jahre erhalten. Der Senatsbeschluß, der die Vollmachten des Tiberius festlegte, erlangte durch die Komitien Gesetzeskraft (lex de imperio). Nicht eingeschlossen war darin das Amt des pontifex maximus; es wurde durch einen gesonderten Wahlakt im Jahre 15 (10. 3.) auf Tiberius übertragen. Ablehnend verhielt Tiberius sich gegenüber dem Paterpatriae-Titel und der corona civica, den Auszeichnungen, die Augustus als Retter aus der Not der Bürgerkriege zuteil geworden waren. Dieser Nimbus sollte dem ersten Princeps vorbehalten bleiben, der nun als Divus Augustus (consecratio: 17. 9. 14) seiner Staatsschöpfung die sakrale Weihe verlieh.
Während Augustus sich eindeutig für einen bestimmten Nachfolger ausgesprochen hatte, ließ Tiberius es an dieser Vorsorge fehlen. Er setzte in seinem, nach 20jähriger Regierung (35) errichteten Testament zwei Enkel als gleichbedachte Erben ein: Gaius (Caligula), den Sohn des Germanicus, und Tiberius (Gemellus), den Sohn des Drusus. Der erstere wußte es aber mit Hilfe des Prätorianerpräfekten Q. Sutorius Macro dahin zu bringen, daß er, Caligula, beim Tode des Tiberius in Misenum (16. 3. 37) von den anwesenden Prätorianern zum Imperator akklamiert wurde und daß man ihm überall den Treueid schwor. Der Senat entsprach seinen Wünschen, indem er das Testament des Tiberius für ungültig erklärte, weil es den Altersunterschied zwischen den beiden jetzt 24 bzw. 17 Jahre alten Vettern nicht berücksichtigte. Die nachfolgende Übertragung der den neuen Prinzipat begründenden Vollmachten auf Caligula (Suet. Cal. 14, 1: ius arbitriumque omnium rerum) ermöglichte diesem auch den Zugriff auf das gesamte Vermögen des Tiberius, das damit gewissermaßen verstaatlicht wurde.
Die Ungültigkeitserklärung des Tiberius-Testaments und eine Reihe weiterer tiberiusfeindlicher Maßnahmen ließen den Prinzipat Caligulas nicht als direkte Fortsetzung des vorigen erscheinen. Es wurde auch kein Versuch unternommen, Tiberius zu divinisieren. Desto mehr beschwor Caligula die Erinnerung an den Divus Augustus. Die Einweihung seines Tempels am Aufgang zum Palatin (30. 8. 37) erfolgte mit großem Aufwand und wurde auch in der Münzprägung gefeiert – als Akt der pietas. Die stärkste Anknüpfung an Augustus war die Annahme des Pater-patriae-Titels durch Caligula am 21. 9. 37. Als Identifikation mit der Rettertat des Augustus zu verstehen, verlieh sie dieser eine Wirkung auf Dauer. Von nun an war der mit dem Titel verbundene Eichenkranz über der Tür des Kaiserpalastes auf dem Palatin das Emblem des Prinzipats schlechthin.
Caligula wurde nach noch nicht 4jähriger Regierung zu Beginn des Jahres 41 ermordet, und zwar von dem Prätorianertribunen Cassius Chaerea, d. h. einem Offizier derjenigen Truppe, die mit der Imperator-Akklamation die Erhebung Caligulas zum Princeps in Gang gesetzt hatte. In noch deutlicherer Weise trat der Einfluß der Prätorianer auf die Besetzung der statio principis bei den Ereignissen um die Nachfolge Caligulas hervor: Claudius, der Bruder des Germanicus, wurde im Prätorianerlager (unten S. 46) zum Imperator ausgerufen (24. 1. 41) – gegen das Versprechen eines Donativs von 15 000 Sesterzen pro Mann! Der die lex de imperio formulierende Beschluß des Senats folgte erst am nächsten Tag. Claudius gehörte zwar nicht der julischen Familie an, übernahm aber mit deren patrimonium auch den Namen „Caesar“, dessen Zauber den Prinzipat des Augustus mitbegründet hatte. Mit Augustus direkt verband Claudius der Pater-patriae-Titel, den er nach einem Jahr der Zurückhaltung (recusatio) annahm. Wenige Tage später (17. 1. 42) ließ er Livia, der Gattin des Augustus, die Ehre der Konsekration zuteil werden. Als Diva Augusta nahm sie den ihr bereiteten Platz im Tempel des Divus Augustus ein.
Den Prinzipat seines Vorgängers Caligula suchte Claudius weitgehend aus dem Gedächtnis der Menschen zu tilgen (damnatio memoriae): rechtswidrige Verfügungen wurden aufgehoben, Fehlurteile revidiert, die Statuen des Tyrannen beseitigt. Andererseits verkündete Claudius eine Amnestie für alles, was nach Caligulas Ermordung in bezug auf die künftige Gestalt des Staates gesagt und unternommen worden war. Damit breitete er den Mantel des Vergessens insbesondere über den halbherzigen Versuch des Senats, die republikanische Staatsform wiederherzustellen.
Beim Tode des Claudius im Jahre 54 gab es zwei jugendliche Anwärter auf den Prinzipat: Nero (17) und Britannicus (14). Wie Claudius sie in seinem Testament bedacht hatte, blieb verborgen, da dieses unterdrückt wurde. Aber es war alles vorbereitet, Nero die Nachfolge im Prinzipat zu verschaffen: Agrippina, seit 49 Gattin des Claudius und seit 50 Augusta, hatte ihren Sohn (aus der Ehe mit Cn. Domitius Ahenobarbus) gegenüber dem leiblichen Sohn des Claudius (von der Messalina) in die bessere Ausgangsposition gebracht. Adoption durch Claudius (50), Ernennung zum Princeps iuventutis (51), Übertragung des imperium proconsulare (51) waren die entscheidenden Stationen. Das Einvernehmen mit dem Prätorianerpräfekten Sex. Afranius Burrus sicherte die Unterstützung der Garde. So wurde denn Nero am Todestag des Claudius (13. 10. 54) zum Imperator akklamiert und vom Senat mit der „Herrschaft über alles“ (Cass. Dio 61, 1, 2) betraut. „Regierung nach Vorschrift des Augustus“, lautete seine Parole (Suet. Nero 10, 1). Sie ließ ihn (nach der üblichen Wartezeit) auch den Pater-patriae-Titel annehmen – 18jährig!
Obwohl Agrippina den Tod des Claudius durch Gift herbeigeführt hatte, wünschte sie seine Vergöttlichung. Sie trug ihr die Stelle der Priesterin des Divus Claudius ein und gab ihr Gelegenheit zu einem großartigen Tempelbau auf dem Caelius. Nero allerdings machte sich schon bald über seinen vergöttlichten Adoptivvater lustig, und sein Erzieher L.Annaeus Seneca brachte eine bissige Satire über die Apotheose des Claudius (›Apocolocyntosis‹) in Umlauf. Dem entsprach es, daß Nero im Senat eine Abkehr von allem, was unter Claudius Haß erregt habe, versprach (Tac. ann. 13, 4, 2) und in der Praxis manches annullierte, was Claudius verfügt hatte.
Neros Prinzipat währte fast 14 Jahre, als im Jahre 68 Umstände eintraten, die auf seine Beendigung hinausliefen. Nachdem mit Galba ein Prätendent für die statio principis gefunden war, einigten sich Senat und Prätorianergarde (einschließlich der germanischen Leibwache) auf die Beseitigung Neros. Der Senat hatte mit dem Hostisbeschluß ein Mittel zur Hand, dieser Absicht staatsrechtliche Qualität zu verleihen: ein zum hostis erklärter princeps war ‘abgesetzt’. Mit seinem Selbstmord am 9. 6. 68 zog Nero die Konsequenz aus dieser Tatsache. Sein Andenken wurde geächtet.
Mit Nero verlor die julisch-claudische Dynastie den Prinzipat. 54 Jahre hatte sie den 56 des Augustus (oben S. 1) hinzugefügt. Viermal war die Princepsstellung neu besetzt worden, und jedesmal war eine lex de imperio ergangen. Nimmt man diese als Inbegriff der Herrschaftsübertragung (die Wahl zum pontifex maximus folgte regelmäßig kurze Zeit später), so darf von einem inzwischen eingespielten Ritual gesprochen werden, an dem offiziell und inoffiziell eine Reihe von Kräften beteiligt war.
Die Grundvoraussetzung für den jahrzehntelangen Verbleib des Prinzipats in der julisch-claudischen Familie bildete das den Römern eigene dynastische Denken. Es ließ über die offenkundigen Defizite hinwegsehen, welche den Nachfolgern des Tiberius anhafteten (Tiberius selbst war ja bestens qualifiziert). Dynastisch denken hieß nämlich, den Nachkommen anrechnen, was die Vorfahren, in diesem Falle: der Divus Iulius und der Divus Augustus, geleistet hatten. Es hieß auch, den Glanz berücksichtigen, der die julische Familie wegen der mythischen Abkunft von Venus und Aeneas umgab. Besondere Bedeutung im dynastischen Sinne kam der eidlichen Bindung der Prätorianer „an das ganze Haus der Caesaren“ (Tac. ann. 14, 7, 3) zu. Denn es waren ja die Prätorianer, denen die Rolle der ‘Kaisermacher’ zufiel. Als solche favorisierten sie einen Mann wie Claudius hauptsächlich deswegen, „weil er der Kaiserfamilie angehörte“ (Cass. Dio 60, 1, 3). Diese wiederum tat natürlich ihrerseits alles, den Prinzipat als „Erbschaft“ (hereditas: Tac. hist. 1, 16, 1) zu behandeln, und sie setzte dabei Mittel ein, die bis zum Mord reichten: Tiberius Gemellus (37) und Britannicus (55) brachte ihre Erbenstellung den Tod, Claudius (54) seine vermeintliche Testierfreiheit. Der Senat schließlich hielt mit der Formulierung des Bestallungsgesetzes eigentlich alle Trümpfe bei einem Princepswechsel in der Hand, und die Verabschiedung des betreffenden Senatsbeschlusses war rechtlich auch die entscheidende Handlung, aber machtpolitisch hatte der Senat nur geringen Einfluß auf die Kreierung eines neuen Prinzipats. Desto mehr war ihm daran gelegen, daß ein neuer Princeps sich im Sinne der Zusammenarbeit äußerte, wie es programmatisch Caligula (Cass. Dio 59, 6, 1) und Nero (Tac. ann. 13, 4, 3) taten.