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Das Lachen Kunnewares

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Man empfängt Parzival in der Gesellschaft der Tafelrunde wie einen hohen Gast, da «Gott ihn als Bild der Vollkommenheit erdacht (an dem got wunsches het erdâht)»1 und ihm «niemand Feind» sein kann. Immer wieder erlebt Parzival, wie man ihm größtes Wohlwollen entgegenbringt, ja sogar Achtung und Verehrung. Dies ist vor allem ein Geschenk, das ihm aus der Vergangenheit zufließt, sein Erbe, seine «hohe Art», wie es Gurnemanz später bezeichnen wird. Aber es gibt auch jemanden am Artushof, der einen tieferen Blick für das Innere, für den individuellen Wesenskern und das besondere Schicksal dieses Knaben hat: die «stolze und schöne» Frau Kunneware («dâ saz frou Cunnewâre diu fiere und diu clâre»).2 Diese eigenwillige und selbstbewusste Dame hat beschlossen, niemals zu lachen, bis zu dem Augenblick, da sie den zu Gesicht bekomme, der «den höchsten Ruhm (den hôhsten prîs) auf Erden hätte oder erwerben sollte». Und mit ihr innigst seelisch verbunden ist noch eine weitere, ebenso merkwürdige wie rätselhafte Person: der schweigsame Antanor, der sein Sprechen an dieselbe Bedingung geknüpft hat: «ern wolde nimmer wort gesagn», er wollte niemals mehr ein Wort sagen, bis sie, die ernste Kunneware, lachen werde. Wie kann man das verstehen?

Machen wir uns die Situation, in die Parzival hier geraten ist, noch etwas genauer klar. Artus und die Tafelrunde, der Inbegriff der ritterlichen Tugend- und Minnewelt, liegen in bitterbösem Streit mit dem Roten Ritter um die Herrschaft über das Erbland. Die Kluft ist tief, so tief, dass Artus sie nicht überbrücken kann – er ist im Grunde ratlos. Der Rote Ritter sollte eigentlich einen Ehrenplatz an der Tafelrunde einnehmen; wie wir aus der späteren Totenklage entnehmen können, gebührt ihm der höchste Ruhm. Stattdessen zerstört er deren Frieden – ein anscheinend unlösbarer Konflikt! Deshalb kann auch der berechnende und gewalttätige Keye mit seinen Einflüsterungen bei Artus landen: Dass es ihm gelingt, Artus dazu zu bewegen, den naiven Knaben auf Ither loszulassen, ist Ausdruck äußerster Hilflosigkeit der Tafelrunde. «Artus’ Einwilligung zu diesem unwürdigen Spiel wirft einen düsteren Schatten auf das Bild des Königs.»3 Keye wird so aber auch zum unfreiwilligen Helfer für Parzivals Schicksal, der sich nun an die «Konfliktlösung» macht, die eigentlich von der Tafelrunde gefunden werden müsste.

Wenn Bumke in seiner Kritik an Artus fortfährt, der Schatten, der hier auf Artus fällt, helle sich «erst am Ende der Dichtung auf, wenn Artus zum großen Friedensstifter wird», so ist das nur die halbe Wahrheit. Artus kann, wie wir noch sehen werden, erst wieder zum Friedensstifter werden, nachdem Gawan die Klinschor-Macht überwunden und ganz neue soziale Fähigkeiten entwickelt hat. Und dies wiederum wird nur möglich, weil er sich – in innerer Verbundenheit mit Parzival – der Gralssuche verpflichtet hat. Ohne die geistige Kraft des Grals, so darf man deshalb behaupten, ist Friede nicht mehr zu verwirklichen, sind die Konflikte, die aus den Forderungen des Blutes, aus den «Erbschaftsansprüchen» der Verwandten entstehen, nicht mehr zu lösen. Hier klingt die Thematik des Nibelungenliedes an, doch wird die ritterliche Gesellschaft nicht im Blut ertrinken, wie es dort der Fall ist, sondern was sich im Nibelungenlied nur wie ein ferner Lichtstreif am Horizont andeutet, wird in der Welt Parzivals und Gawans zur Lebensgestaltungskraft verdichtet. Daraus erklärt sich nicht nur das Lachen Kunnewares und das Sprechen Antanors, sondern auch die wunderliche Tatsache, dass Artus sich völlig seiner königlichen und ritterlichen Macht begibt und Parzival bedingungslos gewähren lässt.

Parzival «löst» den gordischen Knoten mit einem Gewaltstreich, indem er Ither erschlägt. Er hat dadurch Artus vor der großen Schande bewahrt, einen Erbfolgekrieg führen zu müssen, und die Tafelrunde enthält sich in ihrer Trauer um den edlen König von Kukumerland wohl auch deshalb jeder Schuldzuweisung. Dass Kunneware bis zu Parzivals Ankunft nicht lachte und Antanor sprachlos war, weist uns auf die schwere Not der Tafelrunde hin – und die Hoffnung, es werde einer kommen sie zu erlösen. «Kunneware» sieht in Parzivals Inneres und nimmt die «Kunde» von der großen Zukunft «wahr», die dem Knaben vom Schicksal zugedacht ist – «kunnen» bedeutet «kennenlernen» und «verstehen», «wâr» heißt «wahrhaft», «ware» die «Wahrnehmung» – Wortspiele bieten sich zahlreiche an. Ihr Lachen ist intuitiv, folgt unmittelbar auf die Wahrnehmung der erlösenden Kraft, die von dem Knaben ausgeht. Der aber hat sich mit diesem Mord eine schwere Schuld aufgeladen. Er will sich das Rittersein, das ihm in der Kindheit vorenthalten worden ist, ertrotzen, aber er zahlt dafür einen hohen Preis.

Die ganze Szene wird nun dadurch noch besonders vielschichtig, dass man das Auftreten Parzivals durchaus auch als belustigend im äußeren Sinne empfinden kann – zunächst wenigstens. Das Lachen Kunnewares ist hingegen Ausdruck tiefster geistiger Freude und steht im Kontrast zu dem Gelächter über den naiven Knaben und zu der herabsetzenden Schadenfreude Keyes. Aus dieser herzlichen, wahrhaftigen Freude Kunnewares wird in Antanor wieder das Wort geboren, das Menschen verbindende, vermittelnde, Frieden stiftende Wort. So verstehen wir auch Keyes Gereiztheit. Er bemerkt, dass da etwas vor sich geht, das er nicht begreift, ja dass er gerade zum Handlanger weisheitsvoller Schicksalskräfte geworden ist, die er nicht durchschaut. Er spürt den Weltenhumor, der in dieser Szene lacht – und in seiner Hilflosigkeit wird er gewalttätig. Es ist ja auffallend, dass die ganze ehrenvolle Tafelrunde nicht eingreift, als Keye die wehrlose Kunneware und den stummen Antanor scheinbar grundlos verprügelt. Man scheint es gar nicht wahrzunehmen – die Gesetze der Tafelrunde sind offenbar nicht in Kraft. Nur einer spürt, was hier vorgeht: Parzival. Das Erlebnis prägt sich tief in seine Seele ein. Das grundlose Wüten der Gewalt erlebt er hier zum ersten Mal als zutiefst ungerecht, und bei seinem nächsten Zusammentreffen mit der Tafelrunde wird er – anstelle von Artus – Keye für die unritterliche Schurkerei bestrafen.

Kunneware aber, auch das sei hier schon vorweggenommen, wird in Parzivals späterem Ritterleben eine ganz besondere Rolle spielen: Sie wird eine Art «Friedensmission» übernehmen. Ihr wird er alle jene schicken, die er im Kampf besiegt hat und die ihm «Sicherheit geboten» haben. Sie wird zum Inbegriff der Friedfertigkeit und erhält damit eine große soziale Aufgabe am Artushof: Sie besänftigt und integriert die ehemaligen Feinde, wobei sie eine Atmosphäre des Friedens schafft. Wer zu ihr kommt, ist wie verwandelt, selbst die ärgsten Feinde Parzivals oder der Tafelrunde werden bei ihr friedlich und umgänglich. Dass Kunneware zugleich die Schwester von Orilus und Lähelin, der Erzfeinde der Grals- und Artussippe, ist, kann uns nicht nur ein Bild dafür sein, wie nahe Krieg und Frieden benachbart sind – es deutet auch auf die soziale Wandlungsmacht der Seele, die sich – über alle Blutsbindungen hinweg – liebevoll in den Dienst des Friedens stellt.

Der Parzival Wolframs von Eschenbach

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