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Belakane – die Magie der Sinne

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Nach vielen siegreichen Kämpfen im Dienst des Baruchs von Bagdad legt Gachmuret an der Küste des Landes Zazamank an, dessen Bewohner «schwarz wie die Nacht» sind. Als er in das belagerte Patelamunt einreitet, in einem prunkvollen Zug mit riesigem Gefolge und mit triumphaler Geste sein Heldentum zur Schau stellend, da «sah er viele dunkelhäutige Damen, die waren schwarz wie die Raben anzuschaun». Auch wenn er zunächst «wenig Lust» verspürt, «bei den Mohren zu bleiben», strebt er dann doch die Begegnung mit dem Fremden an, das sein Interesse geweckt hat. Ein wesentlicher Charakterzug Gachmurets ist eben seine Weltoffenheit, die sich auch hier über die anfängliche Befremdung hinwegsetzt. Dem entspricht auch die Art und Weise, wie im Folgenden die Kämpfe um die Königin dargestellt werden: Nicht die Hautfarbe bestimmt die Front zwischen den streitenden Parteien, auf beiden Seiten kämpfen «Weiße» und «Schwarze». Von außen bedrängen Weiße und Schwarze die Stadt von zwei Seiten, von innen verteidigen Weiße und Schwarze die Stadt gemeinsam. Wie Gachmurets Teilnahme an der Gefolgschaft des Baruchs schon erkennen lässt, ist Wolframs Weltsicht nicht von der Ablehnung fremder Kulturen, Religionen oder auch Hautfarben bestimmt.

Schon im Prolog ist deutlich geworden, dass wir bei Wolfram nicht weit kommen, wenn wir seine Worte und Bilder statisch auffassen und auf bestimmte definierbare Bedeutungen festlegen. Wir wären dann, wenn auch auf intellektueller Ebene, dem «tumben» Knaben Parzival ähnlich, der endlos am Bach entlangreitet, weil er die «dunklen Furten», vor denen die Mutter ihn gewarnt hat, mit der äußeren Erscheinung identifiziert. Wolfram spielt aber mit den Bedeutungsebenen, wodurch seine Charakterisierungen oft einen humoristischen Anschein bekommen. Inwieweit «hell» und «Tag» oder «dunkel» und «Nacht» moralische Wertungen enthalten, geht aus dem situativen Zusammenhang hervor, der sich ständig wandelt. Vom Leser wird erwartet, dass er das «fliegende Gleichnis» jeweils richtig versteht. Wolfram ist weit davon entfernt, Kausalverknüpfungen zwischen der Hautfarbe oder sonst einer Äußerlichkeit und der charakterlichen oder moralischen Qualität einer Person herzustellen. Wenn Stapel übersetzt: «Einer tauigen Rose glich sie freilich nicht, denn sie war schwarz», dann ist das irreführend, denn Wolfram stellt die betreffenden Aussagen nicht in diesem Sinne kausal nebeneinander. Er macht das Gegenteil: Indem er Belakanes Schönheit und ihren Seelenadel hervorhebt, zeigt er gerade, dass diese für ihn nicht von der Hautfarbe abhängen. «Ist etwas lichter als der Tag, dem gleicht nicht die Königin. Sie hatte fraulichen Sinn und war auch ansonsten ritterlich gebildet, wenn auch einer tauigen Rose ungleich. Von schwarzer Farbe war ihr Schein, ihre Krone ein leuchtender Rubin: ihr Haupt konnte man dadurch schön sehen. (ist iht liehters denne der tac, dem glîchet niht diu künegin. si hete wîplîchen sin, und was abr anders rîterlîch, der touwegen rôsen ungelîch. nâch swarzer varwe was ir schîn, ir krône ein liehter rubîn: ir houbet man derdurch wol sach.)»

Wollen wir verstehen, warum man die Königin nicht treffend mit der Metapher «lichter Tag» charakterisieren kann und inwiefern sie der «tauigen Rose» ungleich ist, müssen wir etwas gründlicher vorgehen. Beobachten wir zunächst, was sich zwischen ihr und Gachmuret abspielt und wie sich die Beziehung zwischen ihnen entwickelt. Im Verlauf des Gesprächs erfahren wir, warum Krieg ist in Zazamank. König Isenhart hat seinen Minnedienst für Belakane mit dem Leben bezahlt. Mit der völlig überzogenen Forderung, ohne Rüstung für sie in den Kampf zu ziehen und ihr so seine Liebe zu beweisen, hat sie den Geliebten in den Tod getrieben. Auch diese Situation hat eine spätere Parallele, nämlich in der Beziehung zwischen Sigune und Schionatulander. Doch während Sigune am Tode des Geliebten und ihrer Schuld verzweifelt und dem Getöteten nachstirbt, wendet sich Belakane schon einem neuen Liebhaber zu, als sie noch wegen der alten Schuld im Krieg steht. Ihre innere Verbindlichkeit hält sich offenbar in Grenzen, obwohl es ihr eigentlich, wie Wolfram betont, nicht an Sittlichkeit mangelt. Auch sie ist offenbar ein widersprüchlicher Charakter.

Was sie vom Andenken an den ehemaligen Geliebten abzieht, ist der Sinneseindruck, den Gachmuret auf sie macht. Das Sinnliche in der Begegnung mit Gachmuret wirkt auf sie mit magischer Kraft und bestimmt von nun an ihr Handeln: «Ihre Augen fügten ihr hohen Schmerz zu, als sie den Anschewin sah. Der war so minniglich anzusehen, ob es ihr lieb war oder leid, dass er ihr Herz ganz öffnete, das vorher ihre Weiblichkeit verschloss. (ir ougen fuogten hôhen pîn, dô si gesach den Anschevîn. der was sô minneclîche gevar, daz er entslôz ir herze gar, ez wære ir liep oder leit: daz beslôz dâ vor ir wîpheit.)» Gachmuret erwidert diese Empfindungen in gleicher Weise. So ist jeder der beiden von der Erscheinung des anderen fasziniert, und schon die ersten Gesten ihrer Begegnung drücken Sinnlichkeit und Erotik aus. «Sie nahm ihn bei der Hand: … und sie setzten sich in die weiten Fenster auf eine samtene Steppdecke, darunter lag ein weiches Federbett.» In dem nun folgenden Gespräch fällt der Kontrast auf zwischen Belakanes Tränen der Trauer und ihrem erotischen Verlangen, das eigentlich die Grundstimmung der Begegnung von Anfang an prägt. «Durch die Tränen warf sie Gachmuret immer wieder verschämt neugierige Blicke zu. Da meldeten ihre Augen dem Herzen, er sei ein wohlgeschaffener Mann … Es entstand dort zwischen den beiden ein einvernehmliches Verlangen: sie sah hin, er sah her.» –

Erstaunlich ist, dass die im Krieg stehende Stadt und ihre Bewohner keinerlei Anzeichen von Hunger und Nahrungsnot erkennen lassen, wie es in der vergleichbaren Pelrapeire-Aventüre Parzivals beschrieben wird. Es gibt zwar Schmerz und Verwundung, diese scheinen aber nicht die Lebenskräfte aufzuzehren. Auch die Königin lebt in all ihrer Trauer üppig und ist das blühende Leben. So lässt sie es sich auch nicht nehmen, eigens mit ihren Damen in Gachmurets Quartier zur Mahlzeit zu erscheinen und ihm eigenhändig den Braten aufzuschneiden – was ihm geradezu peinlich ist. «Dann bot sie ihm zu trinken und kümmerte sich um sein Wohl: auch nahm er alles wahr, die Art ihrer Gebärden und ihre Worte.» Gachmuret fühlt sich wie gefangen von ihrer sinnlichen Ausstrahlung. Die folgende Nacht, die er noch allein verbringt, wird ihm zu lang, nicht nur, weil es ihn zum Kampf drängt, sondern weil er sich ohnmächtig fühlt gegenüber der Wirkung der Königin auf ihn: «Er fühlte sich völlig machtlos gegen die schwarze Mohrin, des Landes Königin. Wie ein geflochtenes Reis wand er sich so stark, dass ihm die Glieder krachten.» – Wenn Gachmuret später seine Gattin Belakane fluchtartig und bei Nacht und Nebel verlassen wird, ist es wie eine Befreiung aus dieser Ohnmacht. Er nimmt dafür sogar die alles andere als ehrenvolle, unangekündigte und heimliche Form der Trennung in Kauf, weil er sich regelrecht losreißen muss.

Der Parzival Wolframs von Eschenbach

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