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Zur Einführung

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Im Literaturunterricht der Waldorfschule finden wir wohl keinen Lehrplanstoff, dem eine so grundlegende Bedeutung beigemessen wird wie dem Parzival-Epos Wolframs von Eschenbach, ausgenommen vielleicht Goethes Faust. Lässt sich Letzteres immerhin damit begründen, dass Goethe in seinem Werk die existenziellen Grundfragen und Probleme des neuzeitlichen Menschen thematisiert, so wird man bei Wolframs Parzival zunächst durchaus verständliche Zweifel hegen, ob ein dermaßen monumentales Werk aus dem Mittelalter heutigen Jugendlichen zugemutet werden sollte. Allein die Bewältigung des Lesestoffs – die in den Schulen meistens benutzte Übertragung von Wilhelm Stapel umfasst etwa 440 Seiten – scheint ein unüberwindliches Hindernis für den Zugang zu diesem Werk zu sein. Hinzu kommt die Schwierigkeit, dem mittelhochdeutschen Originaltext gerecht zu werden, und schließlich handelt es sich um einen Text, der außerordentlich komplex ist und sich dem Lesen keineswegs auf den ersten Blick erschließt. Beim mündlichen Vortrag, für den die Verse ursprünglich gedichtet wurden, mag für ein gebildetes Publikum vieles aus der Situation heraus verständlich gewesen sein, was dem heutigen Leser Kopfzerbrechen bereitet. Hierzu zählen häufig wechselnde Perspektiven, eine «hakenschlagende» Erzähltechnik – die Wolfram im Prolog mit der Hasenjagd vergleicht – und eine oft als «dunkel» erlebte Rätselsprache, die bis in die feinsten Nuancen hinein die Aufmerksamkeit des Lesers fordert. Zudem ein Gewirr von Namen und Personenbeziehungen – man kann rund 290 Personennamen zählen, die zum größten Teil in einem Geflecht verwandtschaftlicher Beziehungen miteinander verbunden sind –, eine ebenso verwirrende Namengebung, deren Bedeutung sich teilweise aufdrängt, teilweise entzieht, sowie eine schwer zugängliche Natur- und Zahlensymbolik – alles das führt Lehrer und Schüler häufig an die Grenzen ihrer Verständnismöglichkeiten.

Daher wurde in letzter Zeit verstärkt versucht, neue Zugänge zur Parzivalthematik zu finden, beispielsweise durch in den Unterricht integrierte Bühnenprojekte oder vom eigentlichen Text mehr oder weniger losgelöste Gesprächs- und Erfahrungsarbeit. Dagegen ist nichts einzuwenden, solange es die Textarbeit begleitet und nicht ersetzt. Wer einmal eine Unterrichtsepoche erlebt hat, in der es gelungen ist, die jungen Menschen für die Geheimnisse zu erwärmen, die uns in diesen «Aventüren» angetragen werden, wird den Wert einer gründlichen Texterschließung im Literaturunterricht zu schätzen wissen. Daher wurde dieses Buch, das unter anderem auf dreißig Jahren Unterrichtserfahrung beruht, vor allem im Hinblick auf den Unterricht in der Waldorfschule geschrieben. Abgesehen von gelegentlich eingestreuten didaktischen Hinweisen sollte die Arbeit aber keineswegs nur für Unterrichtende von Interesse sein und geht auch an vielen Stellen über das hinaus, was für die unmittelbare Unterrichtsarbeit von praktischem Nutzen ist.

Die Erarbeitung literarischer Texte gehörte schon immer zu den unverzichtbaren menschenbildenden Unterrichtstätigkeiten und ist heute so wichtig wie nie zuvor. Wann und wo sonst hätten die Jugendlichen in der schnelllebigen Medien- und Informationsgesellschaft die Ruhe und die Gelegenheit zu einer gemeinsamen geistigen Vertiefung, zu Gesprächen über Grundfragen des Lebens, über das Wesen des Menschen und den Sinn des Daseins? In einer Zeit, in der die Menschen immer mehr an instinktiver Lebenssicherheit und traditioneller Sinngebung verlieren, entsteht die Gefahr, dass die seelische Emanzipation und Individualisierung mangels geistiger Orientierung in neue Zwänge und Unfreiheiten führt. Die Erschließung großer Kunstwerke bietet hingegen die Möglichkeit, sich der geistigen Führung ihrer Schöpfer anzuvertrauen, ohne die eigene geistige Autonomie, ohne die Freiheit aufgeben zu müssen. So wahr es ist, dass der Mensch die Antworten auf die Fragen nach Sinn und Ziel seiner Existenz aus sich selbst heraus erringen muss, so wahr ist es, dass dies auch heute nicht ohne geistige Hilfe geschieht. «Literatur scheint ihre Wirkung daraus zu entwickeln», schreibt Bernd Schirok in seiner «Einführung in die Probleme der ‹Parzival›-Interpretation», «‹dass sie uns keine Lebensentscheidungen vorgibt, sondern uns auffordert, unsere eigenen Entscheidungen zu treffen, damit unseren personalen Umriss, unsere personale Bestimmtheit zu schärfen … Im Durchgang durch die großen Werke werde ich mehr ich selbst, als ich es war›.»1

In diesem Sinne ist Wolframs Parzival ein ungeheurer Glücksfall für die Pädagogik, denn «der Erzähler lässt seine Hörer nicht allein, aber er gängelt sie auch nicht. Er stößt Erkenntnisprozesse an, aber er lässt offen und muss offen lassen, wie sie verlaufen und zu welchem Ziel sie führen, denn diese Prozesse bedeuten auch je eigene Selbsterkenntnis und je eigene Selbstfindung.»2 Bei der Beschäftigung mit der Biographie des jungen Parzival werden die Schüler einerseits die sachliche Distanz empfinden, die sich gegenüber einer anderen Kulturepoche ganz natürlich einstellt, andererseits können sie aber auch unmittelbare Betroffenheit und persönliches Interesse an der Entwicklungs- und Lebensgeschichte des Helden erleben. So können ganz unbefangen innere Erfahrungen thematisiert werden, ohne dass die Gefahr der psychologischen Nabelschau entsteht. Fragen werden aufgeworfen, die sonst vielleicht nie ins Blickfeld treten würden: Welchen Wert haben Tugenden? Welches Verhältnis besteht zwischen Fühlen und Denken? Was ist Höflichkeit? Was ist Kunst? Welche Qualitäten der Liebe gibt es? Oder auch: Was ist eine echte Frage?

Zugleich kann bei der Beschäftigung mit diesem Werk bald deutlich werden, dass man es mit großer Kunst zu tun hat. Gelingt es, in die Bilderwelt Wolframs behutsam einzudringen und mehr und mehr ihren inspirativen Kern freizulegen, wird man bemerken, wie die Frage nach dem Wesen des Grals auf eine unerwartete Weise Gestalt annimmt. Die Mehrschichtigkeit der Sinnebenen, wie sie im mittelalterlichen Denken erlebt wurde, und die Bildhaftigkeit des künstlerischen Ausdrucks entfalten sich zu einer lebendigen, farbenreichen Sinngestalt, durch die wir auf die Gebärdensprache des Lebens aufmerksam werden können. Man wird zu der Überzeugung gelangen, dass Wolfram mehr ist als ein Künstler im herkömmlichen Sinne, sondern ein Weiser, der in die tiefsten Geheimnisse der Welt eingeweiht war. Nach den Worten Rudolf Steiners gehört er «zu den großen initiierten Dichtern, die selbstlos genug waren, große gegebene Stoffe zu bearbeiten»3. «Wo Sie Wolfram von Eschenbach aufschlagen, Sie werden überall finden, dass er ein Eingeweihter war.»4

Der Status des großen Eingeweihten hat allerdings dem Verständnis seines Werkes nicht immer gutgetan. So wurde in den Veröffentlichungen anthroposophischer Autoren zum Parzival immer wieder versucht, aus der Darstellung Rudolf Steiners bekannte Initiationswege an das Werk heranzutragen, um dann darin die Bestätigung für einen bestimmten Weg zu finden. Damit gerät man nicht nur in die Gefahr spekulativer Missdeutungen und Überinterpretationen, man wird auch dem künstlerischen Anliegen Wolframs nicht gerecht. Denn wenngleich er durchaus – wie wir noch sehen werden – seinem Kunstwerk einen tieferen Wirklichkeitscharakter beimisst, so versteht er sich vornehmlich als Künstler und sollte daher im Wesentlichen durch Inhalt und Form seiner Dichtung verstanden und beurteilt werden. Sie vor allem eröffnet einen Zugang zu der von ihm vertretenen Wahrheit. Um dies zu bekräftigen, werden hier auch zahlreiche Textstellen unmittelbar in die Darstellung eingefügt. Dies unterbricht zwar den Lesefluss, verweist aber bewusst immer wieder auf den gemüthaften Klang und die lebendige Bildhaftigkeit der mittelalterlichen Sprache, die auch im Unterricht präsent sein sollte. Manchmal klingen darin auch inhaltliche Nuancierungen an, die in der Übersetzung verloren gehen. Wo sich Letztere erübrigt, wird sie gelegentlich auch weggelassen.

Dies soll aber nicht jenem öden Bemühen das Wort reden, alles aus der fröhlichen Fabulierlust des Künstlers erklären zu wollen, so wenig es für ein vertieftes Verständnis fruchtbar wäre, das Werk als Verbildlichung eines spirituellen Einweihungsweges zu deuten. Hingegen soll versucht werden, die imaginative Sinngestalt herauszuarbeiten, in der Dichtung und Geisterkenntnis sich begegnen. Die systematisch am Text orientierte Darstellung kommt dabei dem parallelen Textstudium entgegen, wie es beispielsweise zur Unterrichtsvorbereitung hilfreich ist. Davon ausgehend werden in der vorliegenden Arbeit selbstverständlich Erkenntnisse aus der anthroposophischen Geisteswissenschaft und Aussagen Rudolf Steiners zur Vertiefung herangezogen, soweit dies aus der Bildsprache Wolframs schlüssig hervorgeht und soweit es diese erhellt. Es ist hier wie überall in der Forschung: Inwieweit ein Begriff oder eine Idee uns sehend macht und den Gegenstand erschließt oder uns die Wirklichkeit verdeckt, ist eine Frage des inneren Selbstverständnisses des Forschenden.

Zu den Spekulationen über Initiationswege gesellen sich oft solche über Ort, Zeit und Faktizität der Handlung. Auch wenn man davon ausgeht, dass die Handlung des Romans historischen Tatsachen entspricht, heißt das nicht, man könne diese in naiv-realistischem Verfahren aus den Handlungselementen erfolgern. Wer aus der Geschwindigkeit eines Vogelflugs, mit dem Parzivals Ritt zur Gralsburg verglichen wird, deren geografischen Standort errechnen will, zeigt für die Bildsprache Wolframs wenig Verständnis. Dieser lässt uns zwar mit vagen Andeutungen und Stimmungen in der Beschreibung des Ambientes und mit gelegentlichen, selten eindeutigen konkreten Orts- und Zeitangaben immer wieder spüren, dass das Erzählte durchaus auch in geschichtlichen Ereignissen zu finden ist und dass er, wenn er wollte, auch Genaueres vorweisen könnte. Bewusst verhindert er aber jede ernsthafte Zuordnung des konkreten Geschehens zu bestimmten Schauplätzen und jede Anknüpfung an historische Ereignisse. Am meisten irritiert hat das die Forschung in Bezug auf die Hauptquelle, die Wolfram selbst für seine Darstellung anführt: den Meister Kyot. Zahllose Untersuchungen sind über den Gewährsmann Wolframs verfasst worden, mit den unterschiedlichsten Ergebnissen. Denn Wolfram belässt es nicht nur bei unergiebigen Andeutungen, er setzt auch immer wieder eine rein äußerlich zu verstehende Urheberschaft dieses Meisters außer Kraft, indem er als Quelle seines Wissens die dichterische Inspiration in Form der «Frau Aventüre» angibt. Man gewinnt den Eindruck, Wolfram wolle dem Leser klarmachen, dass der Zugang zu den tieferen Wahrheiten seines Werkes eben nicht auf dem Weg äußerer Recherche möglich ist, sondern allein durch die Erringung innerer Gewissheit.

Daraus erklärt sich auch die gedanklich und sprachlich anspruchsvolle Form der Darstellung, die vom Erzähler selbst immer wieder reflektiert und dem Leser oder Zuhörer zur Disposition gestellt wird, oft mit Selbstironie und humorvollen Assoziationen relativiert und in Frage gestellt. Dadurch verwischt er scheinbar die Grenzen zwischen Zuhörer, Erzähler und «Frau Aventüre». Das erzählende Subjekt «beschränkt sich nicht darauf, zwischen Stoff und Publikum zu vermitteln», schreibt Joachim Bumke, Verfasser der wohl bekanntesten Werkmonographie Wolframs. «Es wechselt seinen Standort scheinbar beliebig, bald tritt es augenzwinkernd in ein Komplott mit den Hörern, bald nimmt es die Erzählung gegen die Neugier des Publikums in Schutz, tut geheimnisvoll und unergründlich, spielt mit den Erwartungen der Hörer, narrt sie mit dunklen Anspielungen und falschen Fährten und prüft ihre Aufmerksamkeit. Auf den epischen Erzählzusammenhang wirkt diese Technik gelegentlich fast katastrophal, weil die geordnete Erzählfolge immer wieder von Einschüben und Abschweifungen unterbrochen und zerrissen wird. Dafür gelingt es aber diesem Stil, den Erzähler und sein Publikum in die Dichtung hereinzunehmen und zu Mitspielern der Handlung zu machen.»5

Somit wird es Sache des Lesers und Zuhörers, «die Handlungsdarstellung, die divergierenden Figurenperspektiven und die wertenden Kommentare des Erzählers zu registrieren, zu verstehen und gegeneinander abzuwägen … In dem damit verbundenen Prozess eigenständiger Urteilsbildung liegt zugleich das, was die Geschichte … vermittelt.»6 Wolfram macht «seinem Publikum klar, dass es für sein Werk kein leicht zu habendes Verständnisrezept gibt, er verlangt von den Zuhörern vielmehr, dass sie durch alle Brüche und Wendungen hindurch dem Gang der Handlung folgen. Das heißt: der Sinn erschließt sich allein im Nachvollzug; dem Erkenntnisprozess, den der Held des Romans durchläuft, geht die Sinnerfahrung durch den Hörer parallel. Eine andere Verständnishilfe ist nicht möglich.»7

Diese eigenwillige Erzählweise, die «mit Überraschungen und Dissonanzen arbeitet und von den Zuhörern ein ständiges Mitdenken einfordert»8, unterscheidet Wolfram auch von Chrétien de Troyes, dessen feinsinnige Erzählung des «Conte du Graal» ihm bekannt war und, wie allgemein angenommen wird, als Vorlage diente. Allerdings geht Wolfram in seiner Darstellung weit über das unvollendet gebliebene Werk Chrétiens hinaus, nicht nur was den zeitlichen Rahmen der Handlung betrifft, sondern auch im Hinblick auf Vielfalt und Tiefgründigkeit der Sinnbezüge. Schon rein äußerlich wird die Eigenständigkeit der Wolframschen Schöpfung augenfällig: Er stellt der Handlung, wie sie Chrétien in rund 9000 Versen übermittelt, nicht nur 3450 Verse voran und führt sie um 5370 Verse weiter fort, er erweitert sie auch auf knapp 16000 Verse. Insbesondere das zentrale 9. Buch mit dem Karfreitagsgespräch umfasst bei Chrétien nur etwa ein Siebentel des Wolframschen Textes.

Hinzu kommt, dass zwar die Handlungsführung mit der Darstellung Chrétiens weitgehend übereinstimmt, doch verglichen mit anderen höfischen Epen, die nach französischen Vorlagen gearbeitet wurden, ist die Übernahme, wenn es sich überhaupt um eine solche handelt, sehr frei und eigenständig. Vieles hat Wolfram völlig anders gewichtet, er hat erweitert und gekürzt, vielen Figuren hat er erstmals Namen gegeben, andere hat er umbenannt, manche hat er neu eingeführt, und oft hat er den Personen einen anderen Charakter verliehen. Die meisten Figuren sind mehr in ihrer individuellen Eigenart herausgearbeitet. Wolfram findet sogar kritische Worte für den «Meister Christian». So heißt es im Epilog, Chrétien habe der Geschichte Unrecht getan, wie sie von Meister Kyot übermittelt worden sei: «Ob von Troys meister Cristjân disem mære hât unreht getân, daz mac wol zürnen Kyôt, der uns diu rehten mære enbôt.» Der nachfolgende Text lässt dann offen, ob er sich dabei nur auf die Fortsetzung der bei Chrétien unvollendeten Handlung bezieht oder auch auf den übrigen Gehalt. Wir werden an einschlägigen Stellen, wo es dem vertieften Textverständnis dient, entsprechende Vergleiche anstellen. Hier sollte zunächst darauf hingewiesen werden, dass Wolframs Version der Parzival-Erzählung eine ganz und gar originäre Schöpfung ist.

Auch vom Parsifal Richard Wagners wird Wolframs Epos im Folgenden abzugrenzen sein. Sicher hat das Gralsthema durch Wagners «Bühnenweihfestspiel» die meiste Verbreitung gefunden, vor allem durch die Schönheit und spirituelle Tiefe der Musik. Was den Text betrifft, kann man geteilter Meinung sein. Er wurde zwar in Anlehnung an Wolframs Dichtung verfasst, die Entwicklungsgeschichte Parzivals wurde jedoch, was natürlich für die Opernbühne unumgänglich ist, auf ein paar wenige Szenen begrenzt. Dabei wurde vieles umgedeutet und anders gewichtet, oft so, dass es den Wolframschen Intentionen durchaus zuwiderläuft. So ist beispielsweise die Gralsgemeinschaft eine reine Männerwelt, das Weibliche wird auf die Rolle der zu erlösenden Verführerin beschränkt und, was damit innerlich zusammenhängt, Parzival persönlich bricht den Klinschor-Zauber und gewinnt den heiligen Speer. Für Wolframs Gralsverständnis wesentliche Figuren und mit ihnen verbundene Handlungsstränge wurden dabei fallen gelassen, wie beispielsweise Gawan und Sigune, andere wurden umgedeutet, wie Gurnemanz und Kundrie. Durch all dies entsteht ein Sinnzusammenhang, der in sich durchaus schlüssig erscheint, aber nur noch in einigen Grundzügen mit der Wolframschen Gralsthematik verwandt ist. Zudem eignet sich der Text auch sprachlich kaum für eine Behandlung im Literaturunterricht. Man könnte ihn allenfalls in Form eines Referats zur Arbeit hinzuziehen.

Schließlich stellt sich die Frage, inwieweit man auf mittelalterliche Fortsetzer des Gralsthemas nach Wolfram und Chrétien eingehen sollte, besonders auf den sogenannten Jüngeren Titurel des Alfred von Scharfenberg. Man wird in diesem umfangreichen Werk, dessen Urheberschaft umstritten ist, so manche Anregung zur Interpretation finden können, man sollte sich aber davor hüten, es zu schnell zur Deutung der vielen Rätsel des Parzival hinzuzuziehen. Der Verfasser wird dem Anspruch, den er an sich stellt, indem er sich lange Zeit selbst als Wolfram ausgibt, kaum gerecht, wenn auch seine Eigenleistung durchaus beachtlich ist. Im Folgenden wird aber versucht, Wolframs Epos weitgehend aus sich selbst heraus zu verstehen. Es wird sich zeigen, dass gerade darin der – im weitesten Sinne verstanden – hohe pädagogische Wert dieser Dichtung liegt. Allerdings: Wie man im Literaturunterricht nur Ansätze für ein Verständnis erarbeiten kann und hoffen muss, dass die geistige Kraft der Wolframschen Bildsprache in den Seelen der jungen Menschen weiterleben wird, so muss sich auch die vorliegende Arbeit oft auf Hinweise beschränken. Die Tiefgründigkeit, die eigentliche spirituelle Dimension der Bilderwelt Wolframs erschließt sich vor allem dem konzentrierten, wiederholten Umgang mit ihr.

Die verflachten und verzerrten Vorstellungen von der Gestalt der Welt und vom Grund unseres Daseins, die über die Medienkanäle heute in die Gemüter der Menschen, insbesondere der Jugendlichen, einfließen, müssen in das rechte Licht gerückt werden. Sie wuchern in den Seelen weiter und schläfern sie ein, machen sie geistig unempfänglich, wenn ihnen keine tiefere Wahrheit entgegentritt. «Die Welt ist tief, und tiefer als der Tag gedacht.»9 In diesem Bewusstsein sollten die Schülerinnen und Schüler den Unterricht im Innern bewahren. Die Parzival-Epoche thematisiert damit unmittelbar etwas, das zum Wesen der Pädagogik überhaupt gehört. Deshalb ist gerade in dieser Epoche die Beziehung zwischen Lehrer und Schüler besonders intensiv und sollte behutsam beachtet werden.

Die Beschäftigung mit dem Parzival ist aber auch für die Arbeit in einem Kollegium und für das Selbstverständnis der Erziehenden von unschätzbarem Wert. Die Bilder, mit denen Rudolf Steiner bei der Gründung der Waldorfschule seine pädagogischen Vorträge einleitete, offenbaren bei näherer Betrachtung ihre Verwandtschaft mit den Gralsimaginationen Wolframs. Die vorliegende Arbeit möchte dazu beitragen, dass in den Waldorfschulen das Interesse an jener spirituellen Substanz geweckt wird, die sich hinter dem Namen des «Heiligen Gral» verbirgt und die durch die Zeiten hindurch Quelle und Sinn aller Pädagogik ist.

Der Parzival Wolframs von Eschenbach

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