Читать книгу Fromme Industrie - Heinz Nauer - Страница 11
ОглавлениеQuellen und Literatur zum Benziger Verlag
Quellen
Die Arbeit stützt sich hauptsächlich auf das umfangreiche und bislang noch kaum bearbeitete Material im Nachlassarchiv des Verlags in Einsiedeln. Das Nachlassarchiv wurde nach der Übernahme des Benziger Verlags durch die Patmos Verlagsgruppe 1994 und der Schliessung der grafischen Betriebe in Einsiedeln 2003 in die Stiftung Kulturerbe Einsiedeln überführt und ist seit 2010 öffentlich zugänglich.26 Es umfasst rund 500 Laufmeter mit Buch- und Bildpublikationen des Verlags vom frühen 19. bis ins späte 20. Jahrhundert, zahlreiche Druckplatten, Lithographiesteine, Klischee-, Farb- und Musterbücher sowie rund 200 Laufmeter Akten und weitere Materialien zur Firmengeschichte, darunter Kataloge, Rechnungsbücher, Verwaltungsratsprotokolle und Hunderte von Kopierbüchern mit Korrespondenz zwischen dem Mutterhaus in Einsiedeln und den Filialen, zwischen dem Verlag und Lieferanten, Kunden, Autoren, Künstlern und weiteren Personen. Seit den späten 1990er-Jahren wurde das Archiv zudem mit Material zur Geschichte der Verlegerfamilie Benziger und weiteren am Verlag beteiligten Familien geäufnet, das sich noch bei den Nachkommen befand und auch einen stärker sozialhistorisch orientierten Blick auf die Verlagsgeschichte ermöglicht.
Der Archivbestand ist weitgehend erschlossen, wenn auch auf einer sehr summarischen Ebene. Für diese Arbeit wurden die Bestände für den Zeitraum bis etwa 1920 systematisch gesichtet und daraus ein vielfältiger Quellenkorpus zusammengestellt. Besondere Berücksichtigung fanden die zahlreichen überlieferten Kataloge (ab 1800), die einen guten Überblick über die Produktion geben, die Korrespondenz mit Künstlern und Autoren (ab dem Generationenwechsel 1860 zunehmend systematisch), die Kopierbücher mit der ausgehenden Korrespondenz in die amerikanischen Filialen (1862–1897) sowie die Protokolle des Verwaltungsrats (ab 1897). Es hat sich gezeigt, dass die Zeit bis etwa 1850 nur sehr lückenhaft dokumentiert ist. Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts steigt die Materialdichte – analog zur Expansion des Unternehmens – sprunghaft an, was insbesondere mit der Modernisierung und der Professionalisierung der firmeninternen Verwaltungsstrukturen zusammenhängen dürfte. Die Darstellung der Zeit nach 1920 stützt sich weitestgehend auf Sekundärliteratur, Zeitungsartikel sowie Fest- und Jubiläumsschriften; für diesen Zeitraum wurde Material aus dem Nachlassarchiv nur punktuell hinzugezogen.
Das Material aus dem Nachlassarchiv wurde ergänzt mit Quellen aus weiteren Archiven: so etwa dem Klosterarchiv Einsiedeln und dem Bezirksarchiv Einsiedeln. Im Staatsarchiv Schwyz wurde unter anderem der Nachlass von Direktor Oskar Bettschart (1882–1960) konsultiert, in dem sich vereinzelt auch Quellenmaterial aus der Zeit vor 1850 befindet; im Staatsarchiv Nidwalden die Briefsammlung von Kunstmaler Melchior Paul von Deschwanden (1811–1881); in der Sondersammlung der Zentral- und Hochschulbibliothek Luzern ein Briefnachlass von Nikolaus Benziger (1830–1908); im Literaturarchiv in Bern ein Teilnachlass des Verlags für die Zeit ab 1948.27 Insgesamt wenig ergiebig waren die Recherchen im Vatikanischen Geheimarchiv, wo sich nur vereinzelte, für unser Thema wenig gehaltvolle Quellen finden liessen.28 Hinzugezogen wurden indes zahlreiche Nekrologe von Mitgliedern der Verlegerfamilie Benziger, die zwischen 1864 und 1972 in verschiedenen Zeitungen erschienen.29
Literatur
Es gibt bislang keine umfangreichere Untersuchung zum Benziger Verlag, die wissenschaftlichen Kriterien entspricht und mehr als einen einzelnen Aspekt der Verlagsgeschichte im Blick hat. In der religions- und kirchenhistorischen, der volkskundlichen Literatur sowie in der Buchgeschichte fristete der Benziger Verlag bislang eine Art Fussnotenexistenz. Man hat, sich in der Regel auf ältere Jubiläumsschriften beziehend, immer wieder auf den Verlag und seine Bedeutung verwiesen, ohne allerdings länger bei seiner Geschichte zu verweilen.30 In der lokal- und regionalhistorischen Forschung ist der Benziger Verlag etwas ausführlicher thematisiert worden. Bereits Odilo Ringholz verfasste für seine 1896 erschienene Einsiedler Wallfahrtsgeschichte einen kurzen Abriss der Firmengeschichte.31 Auch in der jüngeren Vergangenheit wurde die ehemalige wirtschaftliche, soziale und kulturelle Bedeutung des Verlags in mehreren Publikationen hervorgehoben, beispielsweise in verschiedenen Beiträgen der Schwyzer Kantonsgeschichte von 2012;32 2010 war die Verlagsgeschichte auch Thema einer Ausstellung in Einsiedeln zum populären Zeitgeschmack um 1900, die vor allem die Produktion religiösen «Kitschs» thematisierte;33 2003 erschienen in der Reihe «Die Kunstdenkmäler der Schweiz» zwei Bände über das Kloster und das Dorf Einsiedeln, in denen die beiden Autoren Werner Oechslin und Anja Buschow der Firma Benziger viel Raum zugestehen. Neben dem Einfluss von Benziger auf die bauliche Entwicklung Einsiedelns thematisieren sie in anregender Weise auch kulturhistorische Aspekte der Verlagsgeschichte, die weit über das Lokale hinausreichen.34
Daneben bestehen einige Untersuchungen zu einzelnen Aspekten der Verlagsgeschichte: Ursula Brunold-Bigler widmete in einer 1982 erschienenen Studie über religiöse Volkskalender in der Schweiz dem «Einsiedler Kalender» von Benziger mehrere Seiten; Elisabeth Joris thematisiert in ihrer 2011 erschienenen Doppelbiografie von Josephine Stadlin und Emilie Paravicini-Blumer auf einigen Seiten die Schulpolitik, welche die Gebrüder Benziger in den 1840er-Jahren in Einsiedeln betrieben;35 Matthias Christen gibt in einem 2010 erschienenen Buch über fotografische Totengedenken in der Zentralschweiz einige Hinweise auf die Produktion von Totenbildern bei Benziger, wobei er sich teils auf Quellenmaterial aus dem Nachlassarchiv stützt;36 2001 verfasste Dominik Feusi eine Lizenziatsarbeit zur Konfessionalisierung im Kanton Schwyz am Beispiel der politischen Tätigkeit von Josef Karl B.-Meyer (1799–1873); Daniel Meienberg schrieb 2009 eine sozialhistorisch orientierte Lizenziatsarbeit zum Arbeiterstreik bei Benziger im Jahr 1900; 1999 und 2004 erschienen in Chicago zwei kunsthistorisch orientierte Aufsätze von Rachel Bean beziehungsweise Saul Zalesch zur von Benziger um 1900 in den USA produzierten und vertriebenen religiösen Kunst.37
Den narrativen Rahmen bezüglich der allgemeinen Verlagsgeschichte bilden in den genannten Arbeiten in der Regel ältere Jubiläumsschriften sowie Familiengeschichten. Vor allem zu nennen ist eine 1923 von Carl Josef B.-Berling (1877–1951) für die noch deutsch lesende Verwandtschaft in den USA verfasste Familiengeschichte, die umfangreiche Porträts und eine insgesamt ziemlich ausgewogene Darstellung der Verlagsgeschichte für die Zeit bis etwa 1900 enthält. Diese Arbeit ist bis heute die wichtigste Referenz zur Verlagsgeschichte des 19. Jahrhunderts geblieben. Carl Josef B.-Berling, Sohn des letzten Verlagsdirektors aus der Gründerfamilie, Historiker und während Jahrzehnten in der eidgenössischen Diplomatie tätig, verfasste zuvor bereits ein Werk über die Geschichte des Buchgewerbes im Kloster Einsiedeln, worin er auch auf die Anfänge des Benziger Verlags zu sprechen kommt. 1971 erschien das Buch «Beiträge zur Geschichte der Benziger von Einsiedeln und der ersten Buchdruckereien im Dorfe» von Bruno Lienhardt-Schnyder, der mit der Familie Benziger verwandtschaftlich verbunden war. Das Buch stützt sich teils auf die Familiengeschichte von 1923, teils auf eigenes Quellenstudium.38 Zu Adelrich Benziger (1864–1942), dem späteren Erzbischof Alois Maria Benziger in Indien, gibt es zwei Biografien aus den Jahren 1944 und 1977;39 zu seinem Bruder August Benziger (1867–1955), einem erfolgreichen Porträtmaler, erschienen 1922 und 1958 ebenfalls zwei Biografien.40 Die Biografien der beiden Brüder enthalten, in der Regel anekdotisch gehaltene, Informationen über das familiäre und geschäftliche Milieu, in das sie hineingeboren wurden. Zu erwähnen sind insbesondere auch mehrere Schriften anlässlich von Firmenjubiläen.41 Auch erschienen zu den Direktoren Oskar Bettschart-Spörri (1882–1960), seinem Sohn Oscar Bettschart-Fahrländer (1921–1990) sowie Gustav Keckeis-Barth (1884–1967), welche die Geschicke des Verlags im 20. Jahrhundert massgeblich prägten, zwischen 1951 und 1990 mehrere, teilweise gehaltvolle Festschriften und Nachrufe.
Zusammen mit weiteren kleineren Schriften, familienhistorischen und familieninternen Arbeiten ergibt sich das Bild einer insgesamt äusserst disparaten, aber auch reichhaltigen Literatur zum Thema. Alle Texte zusammengenommen bilden ein vielstimmiges und differenziertes Mosaik der Verlagsgeschichte von seinen Anfängen bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts. Diese Arbeit stützt sich auf die genannte familien- und unternehmensnahe Literatur, geht in vielerlei Hinsicht aber darüber hinaus. Revisionsbedürftig ist insbesondere das eindimensionale Fortschrittsnarrativ, das in diesen Texten konstruiert wird. Es ist – insbesondere für das 19. Jahrhundert – weitestgehend die Erzählung von Generationen von «grossen Männern», und ganz am Rande auch von deren Frauen und Töchtern: Im abgeschiedenen Hochtal von Einsiedeln bauen sie durch schiere Tatkraft und gestützt durch ihren unerschütterlichen Glauben ein Unternehmen auf, das sie wie durch Vorsehung steuern und auch durch harte Arbeit von Generation zu Generation weiter ausdehnen. Die Umwelt des Unternehmens und der grössere historische Kontext werden dabei weitgehend ausgeblendet. Es ist indes nicht mein Anspruch, mit dieser Arbeit ältere Erzählungen der Verlagsgeschichte aufzuheben oder zu ersetzen. Doch soll der Blick auf das Thema geweitet, einige Lücken geschlossen, neue Schwerpunkte gesetzt und Fragen gestellt, die Verlagsgeschichte in gewisser Weise also vergegenwärtigt werden.