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Einleitung

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«Katholisch von der Wiege bis zur Bahre» – dieser geflügelte Ausdruck wird oft bemüht, um die Lebenswelt von Katholiken früherer Generationen zu beschreiben. Die konfessionelle Zugehörigkeit und ihre spezifischen religiösen Praktiken prägten lange Zeit wichtige Übergangsrituale eines Lebenslaufs, den Jahresablauf, ja den Alltag vieler Katholiken. Die Art und Weise sowie das Ausmass dieser Prägung haben sich im Lauf der Zeit aber stark gewandelt. Der Ausdruck «katholisch von der Wiege bis zur Bahre» bezeichnet deshalb keine überhistorische Wahrheit, sondern bezieht sich auf eine spezifisch moderne Ausprägung des Katholizismus, wie sie sich etwa ab dem zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts entwickelte. Dieser «neue» oder «moderne» Katholizismus war uniformierter, zentralisierter und «römischer», als er noch im 18. Jahrhundert gewesen war, und durchdrang die Lebenswelt der Gläubigen stärker als in früheren Jahrhunderten.1 Dennoch war der Katholizismus mit seinen Milieus bei Weitem nicht so geschlossen und von der säkularen Umwelt abgetrennt, wie dies die ältere Forschung manchmal darstellte, und kein eindimensionales, antimodernes Bollwerk. Er wurde nicht einfach zentral «von oben» gesteuert, sondern erhielt auch «von unten» und aus der Peripherie Impulse. Insgesamt beteiligte sich eine Vielzahl von Akteuren mit ganz unterschiedlichen Anliegen, Ideen und Interessen an der Dynamik des modernen Katholizismus.

Akteure, deren Stimmen die historische Forschung bislang weitgehend ignorierte, waren katholische Verlage und Verleger, welche die Katholiken mit Devotionalien, frommen Bildern, belehrenden Büchern und unterhaltenden Kalendern und Zeitschriften versorgten. Katholische Verlagsunternehmen stellten in ihren Fabriken jene materielle Ware her, die dazu beitrug, den modernen Katholizismus gegen aussen zu repräsentieren und im Innern zusammenzuhalten. Dieses Buch erzählt die Geschichte eines solchen Unternehmens: Im abgelegenen Einsiedeln in den Schweizer Voralpen nutzte die Familie Benziger die ökonomischen Chancen des allgemeinen religiösen Aufschwungs und baute – sozusagen im Windschatten der ultramontanen, sich am Papsttum orientierenden Bewegung – einen transnationalen katholischen Medienkonzern mit Absatzgebieten in ganz Europa, Nord- und Südamerika auf. Die Publikation untersucht die Geschichte des Benziger Verlags aus verschiedenen Blickwinkeln. Die wechselseitigen Beziehungen zum lokalen Umfeld – in den Wirtschaftswissenschaften oft verkürzt «Standort» genannt – werden genauso in die Untersuchung einbezogen wie die internationale Expansion des Unternehmens mit ihren Voraussetzungen und Folgen, die sich wandelnde Produktion des Verlags genauso wie die Unternehmenskultur und die «Vergesellschaftung» der Verlegerfamilie. Die Leitfragen zielen auf die Katholizität des Unternehmens und der Unternehmer. Was soll das sein, ein «katholisches Unternehmen»? Was lässt sich anhand der Geschichte der Firma Benziger zum viel diskutierten Verhältnis zwischen Katholizismus, Moderne und Unternehmertum sagen? Und welche Rolle spielte ein katholisches Medienhaus wie Benziger bei der «katholischen Mobilisierung»? Die Studie ist thematisch und methodisch zwischen verschiedenen Disziplinen wie der Wirtschafts-, der Sozial- und der Kulturgeschichte angesiedelt; sie bewegt sich zwischen der modernen Religions- und Katholizismusgeschichte auf der einen und der modernen Unternehmensgeschichte auf der anderen Seite. Im Folgenden sollen deshalb einige Argumente aus diesen beiden grossen Forschungsfeldern aufgegriffen und diskutiert werden.

Fromme Industrie

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