Читать книгу Fromme Industrie - Heinz Nauer - Страница 18
Die Jahre um 1800 als Take-off
ОглавлениеDer Franzoseneinfall war für die Einsiedler Bevölkerung traumatisch. Die Wallfahrtsströme versiegten fast vollständig. Die Bevölkerung sah sich so ihrer wichtigsten wirtschaftlichen Existenzgrundlage beraubt. Viele sahen sich zur vorübergehenden Emigration gezwungen. Auf längere Sicht stärkten die Umwälzungen in den Jahren um 1800 allerdings die politischen Rechte und die wirtschaftlichen Möglichkeiten Einsiedelns und seiner Bevölkerung. 1803 wurde die ehemalige «angehörige» Landschaft Einsiedeln zu einem von damals insgesamt sieben gleichberechtigten Bezirken im Kanton Schwyz.
Nachdem sie von den wirtschaftlichen Einschränkungen durch das Kloster befreit und innerhalb des Kantons rechtlich gleichgestellt war, blühte die regionale Wirtschaft regelrecht auf. Verschiedene Unternehmungen, auf die das Kloster früher ein Monopol beansprucht hatte, beispielsweise das Druckergewerbe, der Buch- und Bilderhandel sowie die Wachsproduktion, wurden nun «privatisiert» und gingen in die Hände von Dorfbewohnern über. Ehemalige Klosterangestellte beteiligten sich auffallend häufig an der Gründung neuer Geschäfte.71 Dies war kein Zufall, konnten sie doch direkt an die alte klösterliche Gewerbetradition anschliessen und auf einen gut ausgebildeten Stamm an Fachkräften unter anderen ehemaligen Klosterangestellten zurückgreifen. Einsiedeln bot für Fabrikanten eine «günstige Lage in Hinsicht der benöthigten Arbeiter», bemerkte Josef Karl B.-Meyer (1799–1873) im Jahr 1826 in einem Schreiben an den Einsiedler Abt Cölestin Müller.72
Auch in der Textilbranche versuchten Einheimische, das Heft selbst in die Hand zu nehmen und nicht mehr von auswärtigen Verlegern abhängig zu sein. 1821 gründeten Heinrich Wyss und Josef Karl B.-Fuchs (1762–1841) am Fluss Alp in Einsiedeln die mechanische Baumwollspinnerei mit dem klingenden Namen «Schöngarn». Es war eine der ersten mechanischen Spinnereien der Zentralschweiz.73 Zwei Jahre später folgte die Spinnerei «Zur Alpbrücke», die ebenfalls einheimische Unternehmer gründeten.74 Von anderen Regionen der Innerschweiz ist bekannt, dass die ersten Fabrikgründungen häufig mit Kapital aus dem Kanton Zürich angestossen wurden und ohne zürcherisches Know-how nicht überlebt hätten.75 Auch in Einsiedeln gab es Investitionen von Zürcher Unternehmern. 1854 beispielsweise übernahm Caspar Honegger, der «Weberkönig» aus Rüti ZH, die mechanische Baumwollspinnerei «Schöngarn» und unterzog sie einer tiefgreifenden Restrukturierung.76 Solche Fälle blieben allerdings die Ausnahme. Auch gab es in Einsiedeln kaum Zuwanderung von Fachkräften aus protestantischen Gebieten. Der Anteil von Protestanten blieb in Einsiedeln im 19. Jahrhundert stets unter einem Prozent der Gesamtbevölkerung und war somit deutlich geringer als beispielsweise in den Ausserschwyzer Bezirken March und Höfe.77 Im Falle des Benziger Verlags stammten auswärtige Fachkräfte ohnehin häufiger aus dem Ausland – vor allem aus Deutschland –, als aus den umliegenden Kantonen.78