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2.2.1 Der EthnomethodologeEthnomethodologie Harald Garfinkel und seine Agnes-Studie

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In den Sozialwissenschaften arbeiten wir zur Erfassung der Relevantsetzung mit dem Konzept des doing gender, das auf Harold Garfinkels „Agnes-Studie“ (1967) fußt. Agnes (Pseudonym) wurde 1958 an das Medical Center der University of California Los Angeles überwiesen. Sie besaß weder Eierstöcke noch Gebärmutter. Die männlichen GenitalienGenitalien, die für Agnes einen grausamen Schlag des Schicksals darstellten, wurden ihr entfernt. Um die Operation herum wurde das Lernen weiblicher Verhaltensweisen zentral. Agnes war fortwährend damit beschäftigt, sich als Frau zu präsentieren und dies zu routinisieren. Diesen Vorgang nennt Garfinkel (1967, 118) „passing“. Ihr Geschlecht verlangt nun eine Ausübung, die Kinder meist ohne hohe Bewusstheit allmählich erwerben. Diese Ausübung („doing“) von Femininität verlangt beispielsweise als weiblich geltende Kleidungs- und Haarstile und Arbeit an der Stimme (Kap. 3). „Doing“ (tun) erfasst zunächst die Alltagsbeobachtung, dass Geschlecht einer Inszenierung bedarf, wenn es bemerkbar sein und Konsequenzen haben soll, die für alle interpretierbar sind.

Der Soziologe Garfinkel verfolgte, wie sich die TransfrauTransfrauen Agnes nach ihrer Operation (vom Mann zur Frau) auf allen Ebenen des Verhaltens in das kulturelle Frau-Sein im Kalifornien der sechziger Jahre einübte, darunter auch das Gesprächsverhalten. Zunächst einmal hatte Agnes sich nach der Entscheidung, als Frau leben zu wollen und nach Operationen, mittels Kleidungs- und Körpergestaltungssemiotik als erkennbare Frau umstilisiert. Auf dieser Ebene liegen auch heute noch die auffälligsten GenderstilisierungenStilisierung (Selbst- und Fremd-S.).

Auf dem Terrain des Gesprächsverhaltens musste und wollte Agnes z.B. lernen, sich in argumentativen Gesprächen nicht durchzusetzen, sondern stattdessen einzulenken, was sie und ihr Umfeld als typisch für Frauen erkannt hatte. Vor allem ihr Freund lehrte sie, nicht zu insistieren und nicht so stark ihre Meinung zu verteidigen, weil das unweiblich sei. Ihr soziales Umfeld fungierte dabei als Ratgeber für das Aufführen von Frau-Sein. Sie musste und wollte es lernen, sich von Männern bestimmte Höflichkeiten angedeihen zu lassen und andere selbst zu praktizieren. Agnes hörte auf, Frauen zur Zigarette Feuer zu geben und hielt stattdessen selbst einem Mann sichtbar ihre der Anzündung harrende Zigarette hin, damit dieser sein Feuerzeug zücke. Agnes verwendete viele Euphemismen, weil sie das als frauentypisches Sprechen empfand. Garfinkel diskutierte Verhaltensweisen, die damals noch gemeinhin als natürlich galten, als in kultureller Praxis wechselseitig erzeugtes „accomplishment“ (Leistung). Die Komponenten der Genderpraxis konnten in Agnes’ Umfeld gut in ihrer Machart und Bedeutung erkannt werden.

Der Gedanke der interaktiven Wechselseitigkeit ist für die gesamte EthnomethodologieEthnomethodologie sehr bedeutungsvoll. Ayaß (2007) verdeutlicht, dass auch Garfinkel selbst am doing gender rund um Agnes beteiligt war, weil auch er sie genderspezifisch behandelte (z.B. durch spezifische Höflichkeiten als Frau bestätigte und sich selbst gleichzeitig als Mann).

Ayaß (2008, 152) widmet der Rezeptionsgeschichte dieser klassischen Studie, die diesseits- und jenseits des Atlantiks lange ignoriert wurde, einige Ausführungen. Mit Hirschauer (1993b, 58) konstatiert Ayaß, dass „ein Gutteil feministischer Grundlagenforschung außerhalb der Frauenforschung stattfand.“ Butlers theoretisches Buch „Gender Trouble“ lese sich wie ein spätes Echo auf Garfinkels und Goffmans Studien. Allerdings nehme Butler gar nicht zur Kenntnis, dass ihre wesentlichen Thesen von der sozialen Konstruiertheit des Geschlechts bereits bei Garfinkel zu finden seien, der solche Prozesse auch empirisch rekonstruiert habe. Wir möchten diese bedenkliche wissenschaftsgeschichtliche Unterschlagung, der sich leider auch in der Folge Forscher/innen blind angeschlossen haben (z.B. betreibt Villa (2003) in ihrer Einführung in Butlers Werk keine Richtigstellung bezüglich der Entwicklung konstruktivistischen Denkens über Gender), nicht fortsetzen und kommen auf andere Kritikpunkte an dem einflussreichen Buch „Gender Trouble“ später zurück.

Hirschauer (1993a) hat etwa dreißig Jahre später mittels einer ethnografischen Studie darüber, wie die Transition sowohl von Frau zu Mann wie von Mann zu Frau vor sich geht, sehr genau beschrieben, was medizinische und psychologische ExpertInnen leisten, um diese durch ihr professionelles Engagement eine soziale Wirklichkeit werden zu lassen. Dabei belegt er mit einer Fülle ethnografischer Daten die allgemeine These, „daß die medizinische Konstruktion der Transsexualität ein immanenter Bestandteil der zeitgenössischen Konstruktion der Zweigeschlechtlichkeit ist“ (ebd., 9). Gerade weil die Trennung der Geschlechter im Alltag immer weniger gelebt werde, erweise sich die „GeschlechtsidentitätGeschlechtsidentität“ als „letzte Bastion des Glaubens an ein wahres Geschlecht“ (1993, 115). Dieser Glaube findet sich nicht nur bei Stimmexperten und Kosmetikerinnen, die beim passing zu Werke gehen.

Genderlinguistik

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