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1.3 Aufbau dieser Einführung

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Vorab ein Wort zur Personenreferenz: Da ein generisches Maskulinum (Kap. 5) nur beschränkte Gültigkeit hat, werden wir es weitgehend meiden. Wir verwenden stattdessen verschiedene Formen der BeidnennungBeidnennung, meistens das große Binnen-I. Daneben praktizieren wir das, wofür uns „Das kleine Etymologicum“ von Kristin Kopf (2014) als praktikables Vorbild erscheint. Hier die betreffende Passage:

Bei generischer Verwendung von Personenbezeichnungen (wenn keine konkreten Individuen gemeint sind) wird in diesem Buch die weibliche oder die männliche Form gebraucht. Die Zuweisung erfolgt per Zufall, über eine randomisierte Liste. Gemeint sind aber immer alle Menschen, egal welchem Geschlecht sie sich zugehörig fühlen (oder ob sie das überhaupt tun). Auch die Fälle, in denen unklar ist, ob beide Geschlechter gemeint sind, wurden großzügig den generischen Bezeichnungen zugeschlagen. Sie werden im Folgenden also auf Vorfahrinnen, Griechinnen, Lexikografinnen … stoßen, die alle Nicht-Frauen mitmeinen – und auf Ahnen, Goten und Sprachwissenschaftler, die die Nicht-Männer mit einschließen (11).

Eine der häufigsten Reaktionen auf dieses Buch bestand in dem interessanten Vorwurf, Frauen genannt zu haben, wo angeblich eindeutig nur Männer gemeint sein können. So bestand man bspw. ohne Rücksicht auf historische Tatsachen darauf, dass an der Völkerwanderung nur Männer beteiligt waren. Hinzu kam, dass die weiblichen Formen, obwohl sie im Buch genau 50 % ausmachen, als dominierend kritisiert wurden. Dies deutet auf einen gravierenden allgemeinen male-bias hin. Dem kann man, wie mittlerweile erwiesen ist, nur mit der Sichtbarmachung von Frauen begegnen. In dieser Einführung praktizieren wir also verschiedene Mischverfahren, die den Text nicht schwerfälliger werden lassen.

Unser Band enthält neben dieser Einleitung 14 Kapitel, die kurz skizziert werden.

Kap. 2, „Doing, undoing und indexing gender“ stellt die Konzepte des doing gender und indexing gender vor. Gesellschaften haben Vorstellungen davon, welches kommunikative Verhaltensrepertoire eher als weiblich oder als eher männlich gilt, und auch Praktiken, Kindern und Erwachsenen diesbezügliche Erwartungen zu spiegeln. Hat sich im Laufe seiner Enkulturation ein Kind etwa über Kleidungs- und andere Verhaltenssemiotiken zu einem erkennbaren Mädchen oder Jungen gemacht, braucht diese Mitgliedschaftskategorie nur noch mitzulaufen, kann aber auf unterschiedliche Art und Weise salient gemacht werden. Viele Anzeigeverfahren von Gender sind bspw. über die Mode habitualisiert. In der Kommunikationsstilistik gibt es keine strenge Genderexklusivität, sehr wohl aber in manchen Bereichen höhere Auftretensfrequenzen (z.B. freundliches Lachen bei Frauen). Dies indiziert Unterstützung des Gegenübers, die weiblich konnotiert ist. Alle Geschlechter können sich so verhalten und erlangen darüber spezifische Identitätsprofile.

Kap. 3, „Prosodie und Phonologie“, befasst sich mit der Stimme, die man (wie kaum sonst etwas an der Sprache) für etwas so Biologisches und Angeborenes hält wie Haare oder Körperteile. Forschungen zeigen jedoch, dass auch die Stimme, ihre Tonhöhe und ihr Verlauf (Modulation) weitaus mehr Kultur als Natur enthält. Auch werden Frauen- und Männerstimmen durch Höher- bzw. Tieferlegung voneinander differenziert, ihr Überschneidungsbereich wird schärfer abgetrennt als natürlichweise der Fall. Frauen- und Männerstimmen verändern sich auch historisch, und sie unterscheiden sich im interkulturellen Vergleich. Als noch konstruierter erweist sich die Singstimme. Ab dem 19. Jh. wurden Tenor und Alt voneinander separiert und Frauen- und Männerstimmen außerdem klanglich polarisiert (Koloraturen werden weiblich).

Kap. 4, „Nominalklassifikation“, widmet sich der zweifachen Klassifikation der Substantive durch Genus und durch Deklinationsklasse (als der Art und Weise, Kasus und Numerus auszudrücken). In diesen Tiefen der deutschen Grammatik sind (historische) Geschlechtervorstellungen fest verankert, ohne dass wir uns dessen bewusst sind. Hier legen wir die Bezüge sowohl von Genus als auch von Deklinationsklasse zu Geschlecht offen. Beide Klassifikationen haben massiven Anteil an der Produktion der Zweigeschlechtlichkeit und der asymmetrischen sprachlichen Ausstattung entsprechender Personenbezeichnungen. So ist es kein sprachgeschichtlicher Zufall, dass maskuline Personenreferenzen am Nomen drei bis vier Kasus unterscheiden, feminine dagegen gar keinen. Dies weist subtil auf handlungsmächtige Männer und ohnmächtige Frauen hin. Beim Genus erweisen sich die Frauenbezeichnungen im Neutrum (WeibWeib, MädchenMädchen, FräuleinFräulein) als Hinweise auf unreife oder unangenehme Frauen, in jedem Fall auf solche, die ihre soziale Funktion (Ehe, Mutterschaft) (noch) nicht erreicht oder verfehlt haben.

Kap. 5 zum sog. generischen Maskulinum behandelt genaugenommen einen Teil von Kap. 4, nämlich die vieldiskutierte Frage, ob das grammatische Maskulinum bei Personenbezeichnungen (wie der Zuschauer) sich auf beide Geschlechter zu beziehen in der Lage ist, wie dies manche Grammatiken und viele Laien behaupten. Um diese Frage linguistisch anzugehen, referieren wir zehn (psycho-)linguistische Untersuchungen, die die öffentliche Diskussion bislang nicht zur Kenntnis genommen hat und die wir abschließend interpretieren und einordnen. Vor allem nehmen wir grammatische und referenzsemantische Unterscheidungen vor, die den Numerus und die syntaktische Einbettung dieser Maskulina berücksichtigen und maßgeblich darüber entscheiden, ob sie geschlechtsübergreifend referieren können. Auch IndefinitpronomenIndefinitpronomen wie man, jemand, keiner werden berücksichtigt.

Kap. 6 thematisiert die Morphologie, vor allem die Wortbildung. Hier wird das breite Spektrum an morphologischen und morphosyntaktischen Verfahren der Geschlechtsspezifikation und der Geschlechtsabstraktion vorgestellt, z.B. (häufige) Feminin- und (seltene) Maskulinmovierungen (KöchinWitwer), substantivierte Partizipien und Adjektive (Behinderte, Arbeitslose), Attribute wie weiblich/männlich etc. und die Frage, wann und zu welchem Zweck welche Strategie gewählt wird. Auch wird der Frage nachgegangen, warum viele einen Satz wie sie ist Raucher akzeptabel, andere inakzeptabel finden. Dass und warum Diminution mehr mit weiblichem als mit männlichem Geschlecht zu tun hat, wird ebenfalls erhellt.

Kap. 7 thematisiert die Syntax. Zunächst werden syntaktische Verfestigungen in Form sog. Formulierungs- oder SprachgebrauchsmusterSprachgebrauchsmuster erfasst, so das häufige Faktum, dass die (Ehe-)Frau syntaktisch hinter ihrem Mann herläuft und dabei in seinem Schatten bleibt, denn meist wird sie nicht (anonym) oder weniger individualisiert als er (etwa durch den bloßen Vornamen), z.B. Helmut Kohl und Frau (Hannelore). Die bei Katastrophenmeldungen zu lesende Wendung darunter auch Frauen und Kinder weist dagegen Männer als weniger wichtig und wertvoll aus. Anschließend wenden wir uns sog. BinomialenBinomial (Koordinationen) zu, die – je nach Kontext – den Mann vor die Frau (Mann und Frau) oder die Frau vor den Mann stellen (Mama und Papa). Hier zeigen wir, dass soziale GeschlechterrollenGeschlechterrolle die jeweilige Abfolge bestimmen und dass es im Laufe der Zeit zu Lockerungen kommen kann.

Kap. 8 adressiert den Kernbereich sprachlicher Bausteine, die Lexeme. Es klärt zunächst die Etymologie von Geschlecht sowie der wichtigsten Frauen- und Männerbezeichnungen. Dann wendet es sich der PejorisierungPejorisierung und ihren Qualitäten zu, die die meisten Frauenbezeichnungen im Laufe ihrer Geschichte erfahren haben. Auch werden Geschlechterstereotype in Sprich- und SchimpfwörternSchimpfwörter herausgearbeitet. Anschließend werden lexikalische Asymmetrien identifiziert, etwa dass ein Liebhaber etwas anderes ist als eine Liebhaberin, aber auch dass MutterMutter und VaterVater sich durch mehr als ihr Geschlecht unterscheiden. Abschließend wird das lexikografische doing gender in Wörterbüchern aufgezeigt, in denen oft jahrhundertealte Stereotypen unreflektiert überdauert haben. Nicht unerwähnt bleiben darf das linguistische doing gender, das durch diese Disziplin selbst betrieben wird.

Kap. 9 befasst sich mit einer der größten Bühnen der Geschlechterdarstellung, den PersonennamenPersonenname. Bekanntlich verweisen Rufnamen direkt auf ein bestimmtes Geschlecht, UnisexnamenUnisexnamen sind selten und führen immer noch zu Irritationen. Geschlecht lässt sich dabei der Phonologie von Rufnamen entnehmen, d.h. es ist tief in diese Strukturen eingelassen. Bis ins 18. und 19. Jh. hinein war es üblich, die Familiennamen von Frauen zu movieren (die Lutherin). Dieser sprachlich markierten Zugehörigkeit zu einem Mann entspricht noch heute die Praxis, dass bei der Eheschließung in der großen Mehrzahl der Fälle die Frau den Namen des Mannes annimmt. Schließlich wird auch mit der dialektal gegebenen Möglichkeit der NeutralisierungNeutralisierung weiblicher Rufnamen (das Heidi), aber auch von Familiennamen (das Merkel) ein namengrammatisches Thema aufgegriffen und der Ratio dahinter nachgegangen.

Mit der Schreibung in Kap. 10 beschließen wir den systemlinguistischen Teil. Auch die Schreibung leistet einen beträchtlichen Beitrag zur Geschlechterunterscheidung. So gibt es erste Hinweise darauf, dass sich die Substantivgroßschreibung bei Lexemen für Männer früher durchgesetzt hat als bei solchen für Frauen. Auch bei KosenamenKosename auf –[i] lässt sich bei sonst gleich klingenden Namen beobachten, dass die Schreibung doch das Geschlecht verrät, vgl. Bobbie für Frauen vs. Bobby für Männer. Schließlich werden die verschiedenen grafischen Strategien (wie SchrägstrichSchrägstriche, SterneSterne, UnterstricheUnterstrich) behandelt, die entweder Frauen und Männer sichtbar machen sollen oder Personen, die sich jenseits der Zweigeschlechtlichkeit verorten.

Kap. 11, „Gender, Sozialisation, Kommunikation“, fragt danach, wie das Kind die Kategorie Gender erwirbt. Beim Hineinwachsen in eine Kultur begegnen dem Kind implizite und explizite Verfahren, die auf Gender hindeuten. In Westeuropa und Amerika ist eine kontextuelle Diversität beobachbar, bspw. wird in Kindergartenstudien keine starke Genderdifferenzierung in Interaktion und Verhalten der Erzieher/innen gegenüber den Kindern mehr belegt. Gleichzeitig ist Gender Marketing zu einem unübersehbaren Faktor geworden: Die Produktwelt besonders für Kinder ist in den letzten Jahren einer absurden Zweiteilung ausgesetzt worden, gegen die die rosa und blauen Strampelhosen von vor 50 Jahren harmlos sind. In diesem Kapitel wird ein Überblick über Familieninteraktionen, Gender in KindercliquenKinderclique, in der Schule und im Konsumsektor gegeben.

In Kap. 12, „Gender in der Soziolinguistik“, rekapitulieren wir die Forschung zu Gender in der korrelationalenkorrelationale Soziolinguistik und interaktionalen Soziolinguistikinteraktionale Soziolinguistik. Sehr oft hat diese gezeigt, dass phonetische, syntaktische und auch pragmatische Variablen nicht nur eine SchichtenprägungSchichtendifferenz aufweisen, sondern auch zwischen den Geschlechtern systematisch variieren. Die im englischen Sprachraum durchgeführten Studien zeigen, dass Menschen sich mittels einer bestimmten Aussprache oder eines Satzbaus mehr oder weniger unbewusst als einen sozialen Typussoziale Typisierung entwerfen. So spielt bspw. auch kulturelle Widerständigkeit in solche Selbstinszenierungen hinein. Die deutschsprachige Soziolinguistik ist im Hinblick auf die Integration sprachlicher Indices in eine soziale Semiotiksoziale Semiotik viel zurückhaltender und liefert deshalb in Bezug auf Gender wenig Erhellendes.

In Kap. 13, „Gender im Gespräch“, wird kurz auf verschiedene Sprachverhaltensbereiche eingegangen, die in der nun fast fünfzigjährigen Geschichte der linguistischen Genderforschung als mehr oder weniger typisch für das eine oder andere Geschlecht angesehen wurden: Unterbrechungen, hohe Direktheitsstufen bei Aufforderungen und humoristischen Frotzelaktivitäten, Eingehen auf Themen, Herausstreichen eigener Kompetenzen usw. Dabei muss feministische Folklore an manchen Stellen zurückgewiesen werden, so die des Unterbrechens als männlicher Verhaltensstrategie. Als sehr relevant zeigt sich, dass jeweils gleiche Sprachverhaltensweisen oftmals von der sozialen Umgebung nicht gleich rezipiert werden. Tatsächlich ist beispielsweise die Autorität weiblicher Führungspersonen weniger gesichert als die männlicher. Die StatusdimensionStatus (sozialer) ist durchgängig mit Gender verquickt. Hohe Redezeiten und Themengestaltungen in Gesprächen sind primär mit Status verbunden. Auch die Genderdimensionen von ScherzkommunikationScherzkommunikation werden erhellt. Aus der Beobachtung, wer sich wem gegenüber welche Scherze erlauben kann und ob und wie diese von den Interagierenden goutiert werden, lässt sich die soziale Mikrostruktur einer Situation ablesen.

In Kap. 14, „Fernsehen, Radio und Printmedien“, stellen wir interdisziplinäre Zugänge zu verschiedenen Bereichen der massenmedialen Kommunikation vor. Frauen sind noch immer viel weniger nachrichtenwürdig als Männer, was die Machtverteilung in der Welt unmittelbar ausdrückt. Männer in bedeutenden Positionen dominieren nach wie vor die Massenmedien. So rekreieren Fernsehen, Radio und Zeitungen assoziative Verbindungen von Männlichkeit und Macht. Unterhaltungs- und Wettkampfshows wie „Germany’s next Topmodel“ und die Werbung werden etwas genauer betrachtet, z.B. die Entwicklung der RadiowerbungRadiowerbung unter Einschluss der Analyse einiger Spots. Vor allem in der TV- und Bühnencomedy finden sich graduell unterschiedlich starke Inszenierungen widerständiger weiblicher Typen, deren Spektrum sich enorm erweitert hat. Wir arbeiten bei der Beschreibung komischer Figuren weiterhin mit dem Ansatz der sozialen Indexikalisierungsozialer IndexIndexikalisierung.

Im letzten Kap. 15 wird danach gefragt, inwieweit die durch die Neuen Medien geschaffenen vielfältigen Kommunikationsmöglichkeiten mit z.T. spezifischer sprachlicher Ausgestaltung Geschlechtsunterschiede in der Nutzung aufweisen, welche StilisierungenStilisierung (Selbst- und Fremd-S.) von Gender sich herausgebildet haben und ob die sprachlichen Handlungsmöglichkeiten im Netz die Binarität der Geschlechter verstärken oder zu ihrer Auflösung beitragen. Einbezogen werden auch Analysen multimodaler Texte, da visuelle Daten Aufschluss darüber geben können, wie die Gestaltung des Köpers zu Genderkonstruktionen beiträgt. Hier wird vor allem auf die Funktion und Gestaltung von SelfiesSelfies eingegangen. Berücksichtigt werden neben (internet-)linguistischen Arbeiten Forschungsergebnisse aus den Medienwissenschaften.

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