Читать книгу Genderlinguistik - Helga Kotthoff - Страница 4

1. Wozu Genderlinguistik?

Оглавление

Das Geschlecht, nicht die Religion, ist das Opium des Volkes. (Goffman 1994, 131)

Diese Einführung ist kein feministischer Leitfaden. Sie ist auch keine Einführung in die feministische Linguistik, da sie keinen sprachpolitischen Anspruch verfolgt (hierzu Samel 2000; Pusch 1984). Als eine der wichtigsten Vertreterinnen der feministischen Linguistik schreibt Pusch (1990, 13):

Als feministische Wissenschaft ist die feministische Systemlinguistik ‚parteilich‘, d.h., sie bewertet und kritisiert ihre Befunde, begnügt sich nicht mit der Beschreibung, sondern zielt auf Änderung des Systems in Richtung auf eine gründliche Entpatrifizierung und partielle Feminisierung, damit aus Männersprachen humane Sprachen werden.

Diese Haltung ist legitim. Dennoch versuchen wir in dieser Einführung eine möglichst unparteiliche Position einzunehmen. Dabei thematisieren wir durchaus sprachpolitische Vorschläge, da sie den öffentlichen Diskurs bestimmen und bereits zu greifbaren Effekten in Form von Sprachwandel geführt haben. Um ein Beispiel zu nennen: Wir bewerten das IndefinitpronomenIndefinitpronomen man, obwohl es an Mann anklingt, damit etymologisch verwandt ist und maskulines Genus hat, mit Referenz auf Frauen nicht als ‚falsch‘ oder ‚inkongruent‘, auch wenn dies die feministische Sprachwissenschaft tut und das feminine Indefinitpronomen frau kreiert hat. Viele haben an dem Satz „Wie kann man seine Schwangerschaft feststellen?“ nichts auszusetzen und verwenden ihn selbstverständlich mit Bezug auf sich selbst oder auf andere Frauen. Dies gilt es festzustellen und nicht zu bewerten. Zur Wirkung feministischer Neuerungen kann man als Beispiel maskuline Formen (wie Student, jeder) anführen, die durch die Etablierung und Empfehlung femininer Formen stärker auf die männliche Referenz reduziert wurden und werden.

Was für das Deutsche fehlt, ist eine möglichst wertungsfreie Genderlinguistik, die den Einfluss der sozialen Variablen Geschlecht auf ‚die Sprache‘ (das System) und ‚das Sprechen‘ (Sprachverwendung, Gespräche) untersucht, und, wenn ein solcher Einfluss gegeben ist, diesen (möglichst) bemisst. Dass es dabei zur Feststellung von Asymmetrien kommt und zur Bestätigung von vielem, was die feministische Linguistik bereits erforscht und beschrieben hat, bedeutet nicht, auf sprachpolitische Maßnahmen abzuzielen, so sinnvoll und berechtigt sie sein mögen (hierzu gibt es mittlerweile viel Literatur, s. jüngst von Duden „Richtig Gendern“). Natürlich haben jahrhundertelang praktizierte Geschlechterunterscheidungen, Ungleichbewertungen und Hierarchisierungen nicht nur das Sprachsystem geprägt, sie wirken auch bis heute auf unser Sprachverhalten, in unsere Interaktionen ein. Diese Einführung behandelt daher einerseits den Sprachgebrauch, wie er sich im Sprechen über und durch die Geschlechter manifestiert; die gesprächs- und medienanalytische Genderforschung wird dabei auf den neuesten Stand gebracht. Andererseits analysieren wir das Sprachsystem, das in seinen erhärteten lexikalischen und grammatischen Strukturen frühere Gespräche, Geschlechterordnungen und das Sprechen über die Geschlechter konserviert, perpetuiert und reproduziert. Seit einigen Jahrzehnten werden Unterscheidungen nach Geschlecht politisch unterbunden, Geschlecht darf z.B. bei Bewerbungen und beruflichen Zugängen (außer dem Beruf des Priesters) keine Rolle spielen (undoing gender). Auch in vielen gesellschaftlichen Bereichen verliert diese Unterscheidung an Relevanz, sie wird zunehmend zurückgewiesen. Mütter gehen immer öfter arbeiten und Väter kümmern sich zunehmend um die Kinderversorgung. Auch hier stellt sich die Frage, ob solcher gesellschaftlicher Wandel sich bereits in ‚Sprache und Gespräch‘ niedergeschlagen hat oder dies derzeit tut.

Genderlinguistik

Подняться наверх