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2.2.6 Gender bemerkbar in den Vordergrund der Interaktion bringen?
ОглавлениеEinige EthnomethodologenEthnomethodologie (so z.B. E. Schegloff 1997) plädieren dafür, nur von doing gender zu sprechen, wenn die Interagierenden eine erkennbare Orientierung auf diese IdentitätskategorieIdentitätskategorie selbst vornehmen, wenn beispielsweise die Geschlechteretikette im Gespräch ausdrücklich angesprochen wird (z.B. als Regel „Ladies first“). Nur dann werde gender von den Beteiligten selbst als IdentitätskategorieIdentitätskategorie relevant gesetzt, denn wir alle haben viele solche Identitäten, die prinzipiell in den Vordergrund der Interaktion geholt werden können oder eben nicht (siehe die Zeitschriften Discourse&Society 7 (1997), 8 (1998), und 10 (1999)). Solche expliziten Referenzen auf Geschlechternormen spielen aber im Alltag nur eine untergeordnete Rolle im Vergleich zu StilisierungenStilisierung (Selbst- und Fremd-S.), die quasi immer mitlaufen und von den Mitgliedern einer Gesellschaft als Normalität angenommen worden sind (wenngleich sie kulturell hergestellt sind). Thematisierungen von Gender lassen sich bei expliziten Zuordnungen („Das ist Männersache“ oder „Jetzt reden wir mal von Frau zu Frau“) und anderen Bezugnahmen auf die soziale Kategorie Geschlecht finden. Pavlidou (2015) diskutiert informelle Gesprächsszenen unter guten Bekannten in Griechenland und analysiert, wie über Themen wie Körpergewicht oder Schönheit eine Relevanz von Gender hergestellt wird. Der Themenkomplex der Gestaltung des Äußeren setzt Gender relevant. Die Konversationsanalytikerin Stokoe (1998) stellte in englischen Diskussionen junger Leute über ihre Zukunft fest, dass Gender oft im Zusammenhang mit Familienplanung und Kinderbetreuung thematisiert wurde. Kinderbetreuung werde oft als Frauensache besprochen. Damit würde Gender im Gespräch selbst salient. Salienz/AuffälligkeitSalienz scheint für doing gender von großer Bedeutung zu sein. Auf solche Fokussierungen können wir aber die Alltagsbedeutung von Gender nicht beschränken, wie verschiedene Genderforscher/innen aus dem großen Feld der Diskursanalyse deutlich gemacht haben (z.B. Günthner/Kotthoff 1991; Bucholtz 2003; Spreckels 2012).
Andere Ethnomethodolog/inn/en, z.B. West und Zimmerman (1987, 126), sehen Gender als „fortlaufende Leistung“, die in alle Alltagssituationen eingeschrieben ist:
When we view gender as an accomplishment, an achieved property of situated conduct, our attention shifts from matters internal to the individual and focuses on interactional and, ultimately, institutional arenas. In one sense, of course, it is individuals who “do” gender. But it is a situated doing, carried out in the virtual or real presence of others, who are presumed to be oriented to its production. Rather than as a property of individuals, we conceive of gender as an emergent feature of the social situations: both as an outcome of and a rationale for various social arrangements and as a means of legitimating one of the most fundamental divisions of society.
Es ergibt sich ein Spannungsverhältnis zu Schegloffs Konzept von doing gender als im Vordergrund der Interaktion stattfindende, bemerkbare Aktivität und dem fortlaufenden „accomplishment“, das durchaus im Hintergrund bleiben kann. Gender kann als soziale Kategorie im Agieren von Gesellschaftsmitgliedern nicht immer die wichtigste sein. West und Zimmerman (1987) schreiben, im Unterschied zu anderen situativen Identitäten (z.B. beruflicher Art) sei Gender aber eine „Meisteridentität“, die sich durch alle Situationen ziehe. Soziale Kategorien wie „Nachbarin“ oder „Verkäufer“ seien eben auch genderisiert. Dem möchten wir nicht widersprechen; aber auch Alter wirkt sich beispielsweise auf die Repräsentation solcher Kategorien aus; es muss also von mehreren „master categories“ ausgegangen werden. In Kap. 7 wird herausgearbeitet, wie tief Alter und Geschlecht auch im Sprachsystem sedimentiert sind. Die Interagierenden müssen nicht unbedingt selbst bemerken, dass ihre Verhaltens- und Denkweisen auf Alter oder Geschlecht verweisen. Die mehr oder weniger hervorgehobene Relevanz solcher Kategorien zeigt sich oft nur den Forschenden, die systematische Vergleiche anstellen, z.B. zwischen Freizeitinteraktionen unter Männern oder unter Frauen oder unter jüngeren und älteren Menschen. Gerade in der feministischen Gesprächsforschung wurden für einige Kontexte subtile Gesprächsverhaltensunterschiede beschrieben, z.B. bezüglich der Themensteuerung weiblicher und männlicher Studierender in Arbeitsgruppen (Schmidt 1992) oder in der kommunikativen Darstellung eigener beruflicher Kompetenzen (Schlyter 1992), die für die Agierenden selbst nicht salient sind, nicht offen zu Tage treten. Die Sprecher/innen orientieren sich aber nicht offen an einer Geschlechterrelevanz, sondern versteckt und hintergründig. Wir halten also zunächst fest, dass innerhalb der EthnomethodologieEthnomethodologie keine Einigkeit darüber herrscht, ob doing gender in der Situation salient sein muss oder ob es genügt, über Vergleiche aus einer Forschungsperspektive heraus zeigen zu können, dass Gender neben anderen Kategorien irgendwie bemerkbar war.
Versteckte Genderrelevanzen: In Schmidts Studie zu studentischen Arbeitsgruppen (1992) wurde auf die von den Studenten eingebrachten Themen stärker reagiert als auf die von den Studentinnen eingebrachten. Solche Subtilitäten sind kaum salient. In Schlyters Aufzeichnungen von Gleichstellungsverhandlungen für schwedische FormularentwicklerInnen zeigte sich, dass die Frauen ihre Kompetenzen weniger herausgestrichen und betont hatten als die Männer. Sie bezogen weniger Lohn, weil ihre Arbeit bei den Vorgesetzten nicht als genauso anspruchsvoll galt wie die der Männer. Schlyter verfolgte Gerichtsverhandlungen und zeigt, dass die Frauen andere verbale Selbstdarstellungstechniken verwendeten als die Männer (1992). In dem Prozess war Gender somit von großer Bedeutung. Trotzdem war die bescheidene berufliche Selbstdarstellung der Entwicklerinnen von Behördenformularen zunächst auch hier nicht salient. Sie setzten Gender durchaus thematisch relevant, weil sie ja für gleichen Lohn für gleiche Arbeit klagten. Dass sie außerdem noch Gender „taten/aufführten“, indem sie ihren Erfolg durch ihr eigenes konversationelles Auftretenkonversationeller Stil behinderten, erschloss sich erst durch Schlyters vergleichende Analysen.