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2.3.1 Jungen inszenieren eine weiblich assoziierte kommunikative Gattung
ОглавлениеGobiani/Kotthoff (2014) diskutieren einige Freizeitszenen aus einer georgischen Schülerclique, in der einige Jungen mit einem weiblich konnotierten Klagediskurs einen anderen Jungen aufziehen, der sich verletzt hatte und Schmerzenslaute von sich gab. Schmerzenslaute und -formeln sind in Georgien weiblich assoziiert (vgl. z.B. Kotthoff 2007). Dies streichen die Jungen heraus, indem sie im ironischen AufziehenAufziehen des verletzten Freundes Formeln verwenden, die sich in Georgien hochfrequent in den Lamentationen von trauernden Frauen finden (Kotthoff 2001). Für die Jungen ist es ein „weibliches Verhalten“, körperlichen Schmerz zu zeigen; sie beginnen in einer langen Interaktionssequenz, den verletzten Freund spöttisch mit den typischen Formeln lamentierender Frauen („Dein Leid mir“) indirekt zu verspotten. Sie imitieren Frauenstimmen und ihre Formeln aus rituellen Zusammenhängen der stark genderisierten Trauerklage. Solche Klageformeln verwenden georgische Mütter auch zur Warnung, wenn ihre Kinder gefährdet sind oder sich kritikwürdig verhalten, z.B.: deine MutterMutter soll dir sterben; warum bin ich am Leben; weh meinem Herzen (Kotthoff 2002b). Durch die Aufführung von mit Frauen assoziierten Lamentationselementen „verweiblichen“ die männlichen Jugendlichen den verletzten Freund symbolisch und beleidigen ihn scherzhaft, indem sie um ihn herum einen in der georgischen Kultur im Bereich weiblicher Aktivitäten angesiedelten Diskurs entfalten. Man muss wissen, dass auf dem georgischen Land bei einem Tod tagelange Lamentationen von Frauen aufgeführt werden. Es ist somit für die Jugendlichen leicht, eine Sprechweise zu parodieren, die mit den „fremden StimmenStimme“ der Frauen spielt. Jede/r in der georgischen Kultur kann diese Stimmen sozial zuordnen. Im deutschen Sprachraum gibt es kaum etwas Vergleichbares. Für unsere Argumentation ist bedeutsam, dass die Gattung der Lamentation, der Emotionsausdruck starker Trauer und ihr Formelrepertoire in Georgien weiblich assoziiert sind. Dieses Konglomerat an Aktivitäten und Emotionsausdrücken lässt sich zu verschiedenen Zwecken nutzen, z.B. dazu, dem demonstrativ bemitleideten Jungen indirekt die Männlichkeit abzusprechen (bei uns könnte man sagen, dass er zu einem „Weichei“ gemacht wird), indem man ihn in einen weiblich assoziierten Diskurs integriert. Sekundäre IndexikalisierungIndexikalisierung wird hier genutzt, um in einem bestimmten Kontext jemanden zu einem sozialen Typussoziale Typisierung zu machen, indem ihm ein genderisiertes Verhalten zugesprochen wird, das an seine Verletzung anknüpft und seine Geschlechtsklasse bedroht.