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2.2.2 Goffmans Sicht auf Arrangements der Geschlechter1
ОглавлениеNur kurz nach Erscheinen von Garfinkels Studie hat Erving Goffman die Betrachtungsweise von Geschlecht innerhalb der Soziologie und den Kommunikationswissenschaften weiter revolutioniert. Er kritisiert im „Arrangement der Geschlechter“ (1977) die Sozialwissenschaften, welche bis dato die Prozesse der fortlaufenden Geschlechterkonstruktion kaum erforscht hätten. Für viele Wissenschaftler/innen war die Bedeutung des Faktors Geschlecht ein Phänomen, welches im Rahmen von Rolle, Privileg und Benachteilung erfassbar schien. Mit der Untersuchung von „Rollenverhalten“ seien sie, so Goffman, der immensen Bedeutung des geschlossenen Bündels an Glaubensvorstellungen und PraktikenKommunikative Aktivität nicht gerecht geworden, welche geltend gemacht werden, um das gesellschaftliche Arrangement der Geschlechter als natürliches auszugeben und abzusichern.
Goffman ist hauptsächlich in seinem Buch „Gender Advertisement“ (1976, dt. „Geschlecht und Werbung“ 1981) und in seinem Aufsatz „The Arrangement between the Sexes“ (1977, dt. 1994) auf die Methoden der GeschlechterstilisierungStilisierung (Selbst- und Fremd-S.) eingegangen. Wir verdanken ihm die Betrachtungsweise von Geschlecht als naturalisiertem Ordnungsfaktor von Interaktionen, eine Konzeption, welche weit reichende theoretische und empirisch-forschungspraktische Ausblicke auf Fragen von Geschlechterverhältnissen und Kommunikation eröffnete.
Seine Genderanalysen fügen sich konsequent in seine Studien zu InteraktionsritualenInteraktionsritual ein. Sein Forschungsprogramm lässt sich als das Studium der direkten und unmittelbaren Interaktion umreißen, wie es Knoblauch im Vorwort zur Herausgabe seiner Schriften zu Gender (1994) herausgearbeitet hat. Im Zusammenhang mit der Erforschung der Interaktionsordnung hat er sich auch Fragen der Darstellung von Männlichkeit und Weiblichkeit gewidmet; diese Darstellungen implizieren immer auch normative Zuweisungsakte für die gesellschaftlichen Plätze der Individuen. Verschiedentlich ist Goffman dem Vorwurf begegnet, er analysiere nicht die Gesellschaft mit ihren Schichten-, Klassen- und Einkommensstrukturen, sondern Verhalten von Individuen. Dieser Vorwurf könnte potentiell auch die Genderanalysen betreffen. Kaum je ist bei ihm die Rede davon, dass Männer weltweit den Großteil der Produktionsmittel besitzen und Frauen schlechter bezahlt werden und außerdem in der Regel die Familienarbeit auf ihren Schultern lastet. Hier gilt, was er in der „Rahmen Analyse“ süffisant zu Bedenken gab: „Persönlich halte ich die Gesellschaft in jeder Hinsicht für das Primäre und die jeweiligen Beziehungen eines einzelnen für das Sekundäre; die vorliegende Untersuchung beschäftigt sich nur mit Sekundärem (22ff.).“
Goffman geht davon aus, dass sich die Verhaltenssymbolik der Geschlechter zu einem gewichtigen Teil an der Mittelschichts-Idealversion des Eltern-Kind-Komplexes orientiere. Zu diesem humanen Grundmuster gehöre das hilflose Kind und der es beschützende Erwachsene. Da Goffman glaubt, dass Männlichkeitsrituale sich eher am Elternstatus orientieren und Weiblichkeitsrituale sich eher am Kindstatus, belasse ich es bei der Redeweise „der Erwachsene“. Wir zählen ein paar Bereiche auf, in denen Rituale des Genderismus Elemente aus dem Eltern-Kind-Komplex in Szene setzen.
Das Kind ist bewegungsmäßig instabil. Es wird vom Erwachsenen gestützt. Weibliche Kleidung (Stöckelschuhe, enge und komplizierte Röcke) ritualisiert Instabilität.
Der Erwachsene erklärt dem Kind die Welt; er belehrt und das Kind nimmt die Belehrungen an. In unserer Berufswelt gelangen Frauen seltener in die Positionen und Institutionen, welche die Welt erklären.
Das Kind darf sich emotional freier ausdrücken als der beherrschte Erwachsene. Es darf weinen, herumalbern und euphorische Bewegtheit ausdrücken. Starke Gefühlsbewegungen gelten bei uns als unmännlich, aber durchaus als weiblich.
Der Erwachsene muss immer bereit sein zur Selbstverteidigung, Frauen und Kinder nicht. Männer bewaffnen sich auch in Bedrohungssituationen mehr als Frauen.