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3.3.1 Losungen, Lektüreund Bibliodrama

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Die Herrnhuter Losungen bieten in der heutigen Gestaltung für jeden Tag eine biblische »Losung« aus dem AT und einen sog. ›Lehrtext‹ aus dem NT, dazu einen meditativen Text als Betrachtung oder Gebet. Sie gehen auf die Anfänge der Brüdergemeine zurück:21 Zinzendorf gab seit 1728 Tageslosungen als Parolen für die Gemeinde aus; seit 1731 erscheinen die Losungen in Buchform; ab 1763 wurden sie aus den Sammlungen Zinzendorfs, seit 1788 werden sie aus einer ständig überarbeiteten Sammlung geeigneter biblischer Sprüche ausgelost; Lehrtext und meditativer Text werden dann dem ausgelosten Bibelspruch zugeordnet. Heute erscheinen die Losungsbücher in 51 Sprachen, sind über das Internet zugänglich22 oder werden als SMS versandt. Sie verbinden Christinnen und Christen über Sprach- und Konfessionsgrenzen hinweg, dienen in vielen Gemeinden und Gruppen als Grundlage von Andachten und intendieren, den Reichtum der biblischen Überlieferung zu erschließen, also über die Meditation eines alttestamentlichen und eines neutestamentlichen Spruches auch auf den jeweiligen Kontext und die innerbiblischen Referenzen zu verweisen. Eine latente Gefährdung solcher Bibelfrömmigkeit besteht in der unkritischen und direkten Anwendung biblischer Einzelsprüche auf persönliche Lebenssituationen und -entscheidungen.

Verbreitetes Hilfsmittel für die regelmäßige Bibellektüre ist der Bibelleseplan der Ökumenischen Arbeitsgemeinschaft für Bibellesen,23 der für jeden Tag überschaubare Abschnitte zur Lektüre vorsieht, so dass nach vier Jahren das ganze NT und nach acht Jahren das AT gelesen worden ist. Die Arbeitsgemeinschaft verantwortet auch die Festsetzung der jeweiligen Jahreslosung und Monatssprüche. Durch sie soll ein Jahr bzw. Monat unter eine knappe biblische Losung gestellt werden, die zur Glaubensstärkung und Orientierung dient und durch Spruchkarten und Plakate bekannt gemacht wird.

Viele, die die Bibel als Einzelne lesen, erfahren Unterstützung durch Hauskreise und Gemeindegruppen. Daiber / Lukatis haben in ihrer empirischen Untersuchung aus den 1980er Jahren herausgestellt, dass individuelle Bibellektüre »plausibilisierende Stützungen, insbesondere durch Gruppen«24 benötigt, um langfristig praktiziert zu werden. Während die traditionelle Form einer »Bibelstunde« wohl nur noch selten zu finden ist, beschäftigen sich auf Gemeindeebene Bibelkreise und theologische Gesprächskreise regelmäßig mit der Bibel und veranstalten Bibelwochen und Kinderbibeltage in ökumenischer oder übergemeindlicher Kooperation.25

Unübersichtlich und schwer zu systematisieren sind die unterschiedlichen neuen Zugänge zur Bibel, die in Gemeinden, Kirchenbezirken, Akademien oder auf Kirchentagen meist in Projektgruppen oder Workshops praktiziert werden, sich aber auch zu Netzwerken und Bewegungen verdichten können.26 Waren in den 1970er- und 1980er-Jahren die neuen Zugänge zur Bibel, die die seit den 1920er-Jahren vor allem im Bereich der Jugendarbeit praktizierte »Bibelarbeit«27 ablöste, befreiungstheologisch – vor allem durch Ernesto Cardenals Bücher angeregt – und narrativ – durch Walter Hollenweger inspiriert –, so nehmen heutige Zugänge die in diesen Ansätzen angelegte Erfahrungsbezogenheit auf und votieren für eine auf Ganzheitlichkeit bedachte Spiritualität. Hierzu dienen unterschiedliche kreative Methoden28 ebenso wie musikalische, tänzerische, bildnerische oder literarische Projekte, die gleichzeitig die kulturelle Wirksamkeit der Bibel aufgreifen. Herausragend ist heute das Bibliodrama.29 Die Vielschichtigkeit der derzeitigen Bibliodrama-Bewegung zeigt sich an der Integration unterschiedlicher hermeneutischer, spieltheoretischer, pastoralpsychologischer und therapeutischer Konzepte; gleichzeitig werden auch befreiungstheologische und feministisch-theologische Anregungen aufgenommen.30 Die Textorientierung wird heute deutlicher als zu Beginn hervorgehoben. Wolfgang Drechsel hat in seinem Grundlagenwerk für den Bereich pastoralpsychologischer Bibelarbeit und vor allem für das Bibliodrama dafür votiert, dass nach den Spielphasen, in denen der Bibeltext als »Übergangsobjekt« (im Sinne der Theorie Donald W. Winnicotts) ge- und verbraucht wird, am Spielende der Objektcharakter des Textes durch Reflexion und erneutes Lesen des Textes zurück zu gewinnen ist.31 Dies beendet Verschmelzungs- und Vereinnahmungsstrategien32 und lässt den Bibeltext als differentes Gegenüber neu hervortreten.

Gottes Menschenfreundlichkeit und das Fest des Lebens

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