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III. Rechtsquellen des Finanzrechts
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Das deutsche öffentliche Finanzrecht hat seinen normativen Ursprung im Grundgesetz, genauer: im X. Abschnitt des Grundgesetzes, der sog. Finanzverfassung (Art. 104a–115 GG). Das BVerfG versteht diese Finanzverfassung „aus zwingenden bundesstaatsrechtlichen Gründen als eine für Bund und Länder abschließende Regelung“[63]. Als „eine in sich geschlossene Rahmen- und Verfahrensordnung“ zeichne sich die Finanzverfassung „durch Formenklarheit aus“ und sei „auf Formenbindung angelegt“[64].
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Die Forderung nach Formenklarheit und Formenbindung richtet sich v.a. gegen die Erfindung neuer (Sonder-)Abgaben, die, wenn sie an Bedeutung gewinnen, das „Prinzip des Steuerstaates“ (Rn 205) und die austarierten Verteilungsmechanismen des bundesstaatlichen Finanzausgleichs (Rn 347 ff) aushöhlen können. Allerdings gibt es keinen „numerus clausus“ der Abgabetypen (Rn 210, 275, 947). Auch wird die Sozialversicherung (Rn 313) als eigenständiges System staatlicher Abgabenerhebung begriffen, das neben dem in die Finanzverfassung eingebundenen Steuersystem steht[65].
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Das (Finanz-)Verfassungsrecht genießt gegenüber den einfach-gesetzlichen Normen des (Finanz-)Rechts Geltungsvorrang. Steuer- oder Haushaltsgesetze, die gegen zwingende verfassungsrechtliche Vorgaben verstoßen, sind daher grds nichtig (Rn 761, 776). Besonderheiten gelten aber beim Verstoß von zB Steuergesetzen gegen den nur relativ wirkenden allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG, s. Rn 765) und bei einem Verstoß des (verspäteten) Haushaltsgesetzes gegen das Gebot der Vorherigkeit (Art. 110 Abs. 1 Satz 2 GG, s. Rn 573).
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Neben die Bindungen der grundgesetzlichen Vorgaben treten die Regelungen des europäischen Unionsrechts. Weil die EU wegen des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung (Art. 4 Abs. 1, 5 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 EUV) nur in bestimmten Bereichen Kompetenzen hat und sie sich diese Kompetenzen auch nicht selbst verschaffen kann (keine Kompetenz-Kompetenz), ist die Relevanz des Europarechts im Finanzrecht und der Grad der Harmonisierung recht unterschiedlich.
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So finden sich im Bereich der Verbrauchsteuern (Rn 234), die an den innergemeinschaftlichen Waren- und Dienstleistungsverkehr anknüpfen und diesen beeinträchtigen können, sehr enge primär- und sekundärrechtliche Vorgaben für das nationale Recht (zB bei der Umsatzsteuer, s. Rn 864 ff). Im Bereich der direkten Steuern (zB der Einkommensteuer, s. Rn 230) gibt es praktisch keine Harmonisierung; hier können aber Diskriminierungen oder Maßnahmen gleicher Wirkung unter Rückgriff auf die Grundfreiheiten (Art. 34, 45, 49, 56 und 63 AEUV) abgewehrt werden (Rn 876 ff).
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Das europäische Unionsrecht hat, soweit es Anwendung findet, Vorrang vor dem nationalen Recht (jeder Stufe, also auch gegenüber dem Verfassungsrecht). Es hat allerdings im Vergleich zum nationalen Verfassungsrecht nur sog. Anwendungsvorrang, dh das nationale Recht wird nicht nichtig, sondern bleibt noch insoweit anwendbar als das Europarecht nicht eingreift (zB im Verhältnis zu Drittstaaten, s. näher Rn 886 ff).
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Seit der Einführung der gemeinsamen Währung, des Euro, hat das europäische Unionsrecht insb im Bereich des Währungsrechts sowie des Haushalts- bzw Staatsschuldenrechts an Bedeutung gewonnen (Rn 485, 819 ff). Dies liegt vor allem daran, dass eine gemeinsame Währung in ganz erheblichem Maße das erfordert, was die europäischen Verträge seit Maastricht als wirtschaftliche „Konvergenz“ (Art. 126, 140 AEUV) bezeichnen, ein wirtschaftliches und politisches „Annähern“ (Rn 488).
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Innerhalb des durch europäisches Unions- und deutsches Verfassungsrecht vorgegebenen Rahmens haben Bund, Länder und Gemeinden sowie die übrigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts teils gemeinsames (HGrG iVm Art. 109 Abs. 4 GG), teils ihr eigenes Finanzrecht. Bund und Länder können Abgabengesetze (zB EStG), die Gemeinden Abgabensatzungen (zB Hundesteuersatzung) erlassen; jede Gebietskörperschaft hat ihren eigenen Haushalt (Haushaltsgesetz bzw Haushaltssatzung). Die Gemeinden, die keine Staatsqualität, sondern nur das Recht der Selbstverwaltung haben (Art. 28 Abs. 2 GG), müssen zusätzlich die Vorgaben des jeweiligen Landesrechts beachten.
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Neben den geschriebenen Rechtsnormen speist sich das Finanzrecht auch aus Gewohnheits- und Richterrecht[66]. Die seit Langem tradierte Technik der Haushaltsführung (Kameralistik) hat sich in der Staatspraxis zT bis heute gehalten, und für einige gesetzlich nicht geregelte Instrumente der Haushaltspraxis lässt sich das Vorliegen von Gewohnheitsrecht zumindest diskutieren[67]. Mit seiner Rspr zu den Art. 104a ff GG hat das BVerfG (auf Ebene der Länder auch die Landesverfassungsgerichte bzw Staatsgerichtshöfe) den teils wenig konkreten Vorgaben des Finanzverfassungsrechts richterrechtlich schärfere Konturen verliehen[68].
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Eine wichtige Rolle spielen auch Verwaltungsvorschriften, die im Bereich des Steuerrechts[69] (zB AEAO, EStR) und des Haushaltsrechts[70] (zB VV-BHO) vor allem ergänzend zur Norminterpretation herangezogen werden können. Weil große Teile des öffentlichen Finanzrechts Innenrecht sind, das Staat-Bürger-Verhältnis also nicht unmittelbar betreffen (vgl § 3 Abs. 2 HGrG), sind Regelungen durch Verwaltungsvorschriften, die keine Außenwirkung haben allerdings weniger problematisch als in anderen Rechtbereichen und können zB haushaltsrechtliche Normen konkretisieren und ergänzen[71].