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I. Reichweite der Vorschrift und praktische Bedeutung

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§ 21 gilt bei Jugendstrafe gegenüber Jugendlichen und – wenn die Voraussetzungen des § 105 Abs. 1 gegeben sind – Heranwachsenden, und zwar sowohl vor den Jugendgerichten als auch vor den für allgemeine Strafsachen zuständigen Gerichten (§ 104 Abs. 1 Nr. 1 und § 112). In Verfahren vor den für allgemeine Strafsachen zuständigen Gerichten sind die Entscheidungen, die nach einer Aussetzung einer Jugendstrafe zur Bewährung erforderlich werden (§§ 22–26), dem Jugendrichter zu übertragen, in dessen Bezirk sich der Jugendliche/Heranwachsende aufhält (§§ 104 Abs. 5 S. 1, 112 S. 1).

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Der Anteil der zur Bewährung ausgesetzten Jugendstrafen bis zu einem Jahr lag 1960 bei 55 %, 1970 bei 73 %, 1980 bei 79,6 %, 1990 bei 79,0 %, 2000 bei 78,5 %, 2012 bei 80,8%und hat sich seitdem in dieser Größenordnung eingependelt (2017 = 84,8 % bei 6 Monaten, 81,6 % bei 6-9 Monaten und 75,2 % bei 9-12 Monaten). Der Anstieg der nach § 21 Abs. 2 ausgesetzten Jugendstrafe erfolgte von 18,7 % = 1975 über 42,7 % = 1985 auf 60,0 % = 1995 und liegt, nach einem Rückgang auf 55,5 % = 2005 bei nun 59,9 % = 2012. Nach der Reform des § 21 Abs. 2 durch das 1. JGGÄndG 1990 schwankt die Aussetzungsquote um 60 %, dies ist vergleichbar mit der Entwicklung zu § 21 Abs. 1.

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Jugendstrafe und Strafaussetzung zur Bewährung 2012 und 2017 siehe § 18 RN 3. Von allen Jugendstrafen sind 2010 =63,0 % und 2015 = 60,5%, von allen aussetzungsfähigen Jugendstrafen 2010=72,7% und 2015=70,8% zur Bewährung ausgesetzt worden.

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Die große praktische Bedeutung mit konstant hohen Aussetzungsquoten wirft die Frage auf, ob nicht schon die Zahl der verhängten Jugendstrafen deutlich reduziert werden müsste, so dass sich die Folgefrage nach der Strafaussetzung gar nicht mehr stellt (Eisenberg § 21 Rn. 9a). Die Reform in Richtung auf ambulante Sanktionen sollte weitgehend auf den Druck der Widerrufsmöglichkeit und damit einer zu vollstreckenden Jugendstrafe verzichten können zu Gunsten echter ambulanter Alternativen. Auf der anderen Seite ist zu fragen, ob die Obergrenze von zwei Jahren in § 21 Abs. 2 beizubehalten ist oder nach österreichischem Vorbild einer bedingten oder teilbedingten Strafnachsicht alle Strafen aussetzungsfähig sein sollten (so die Vorschläge auf dem Göttinger Jugendgerichtstag 1989, in: DVJJ (Hrsg.), 1990, S. 607 und 793). Andererseits wird aber befürchtet, dass bei einer generellen Aussetzungsfähigkeit der Trend zu zunehmend längeren Jugendstrafen anhalten dürfte (Dünkel 1990, S. 462). Dieses Problem lässt sich nicht isoliert, sondern nur im Zusammenhang mit einer Gesamtreform des jugendstrafrechtlichen Sanktionensystems z.B. durch drastische Absenkung der Höchststrafen regeln. Die Bundesregierung sieht dafür aber keinen Anlass und verweist auf die fehlende Akzeptanz in der Bevölkerung und die regelmäßig negative Prognose bei der entsprechenden Tätergruppe (BT-Drucks. 16/13142 v. 26.9.2009).

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Der Standort der Strafaussetzung zur Bewährung innerhalb der jugendstrafrechtlichen Sanktionen ist umstritten. Während Eisenberg § 21 Rn. 4, Schaffstein/Beulke/Swoboda Rn. 492, und Streng Rn. 465 (Modifikation der Vollstreckung) der Strafaussetzung keinen selbstständigen Charakter zuerkennen und sich gegen eine „Aussetzungsstrafe“ im Gegensatz zu einer „Vollstreckungsstrafe“ wenden, betont vor allem Ostendorf Grdl. z. §§ 21–26a Rn. 3 die Abweichungen in Zielsetzung und praktischer Bedeutung, so dass die Strafaussetzung als eigenständige Sanktion i.S. einer „Bewährung in Freiheit“ zu verstehen ist. Praktische Konsequenzen in dieser Streitfrage sehen Schaffstein/Beulke/Swoboda Rn. 495 hinsichtlich des Verschlechterungsverbots im Rechtsmittelverfahren (keine Umwandlung einer Jugendstrafe ohne Bewährung in eine höhere mit Bewährung und umgekehrt). Bei Anwendung der §§ 331, 358 Abs. 2 StPO kommt man jedoch auch zu diesen Ergebnissen, wenn man in der Strafaussetzung zur Bewährung eine selbstständige Rechtsfolge sieht. Für die kriminologische Sanktionsforschung handelt es sich um eine eigenständige Sanktion, hinsichtlich der kriminalpolitischen Orientierung mit der im 1. JGGÄndG 1990 ansatzweise verwirklichten Abkehr von den stationären Rechtsfolgen ebenfalls. Aus der JGG-Reform ergibt sich die dogmatische Folgerung, die Strafaussetzung zur Bewährung als eigenständige jugendstrafrechtliche Sanktion anzuerkennen.

Jugendgerichtsgesetz

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