Читать книгу Jugendgerichtsgesetz - Herbert Diemer - Страница 349
1. Weisungen
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Weisungen sind Gebote und Verbote, welche die Lebensführung des jungen Menschen regeln und dadurch seine Erziehung fördern und sichern sollen. § 23 Abs. 1 verweist auf § 10 und damit auch auf die Möglichkeiten der Betreuungsweisung, des sozialen Trainingskurses und des Täter-Opfer-Ausgleichs. Bewährungsweisungen sollen, Auflagen können erteilt werden. Durch Soll- und Kann-Bestimmung verdeutlicht der Gesetzgeber das Abstufungsverhältnis. Im Regelfall werden Weisungen erteilt, wobei der Katalog des § 10 nur exemplarischen Charakter hat. Art und Umfang sind vom Richter konkret zu bestimmen. Eine Untersuchung zu der tatsächlichen Praxis im Landgerichtsbezirk Stuttgart in den Jahren 1954 bis 1960 hat ergeben, dass in fast jedem vierten Fall gegen dieses Bestimmtheitsprinzip verstoßen worden ist (Ulmschneider 1966, S. 233). Die allgemeine Weisung, allen Anordnungen des Bewährungshelfers Folge zu leisten, ist nicht hinreichend genug bestimmt und damit gesetzwidrig (Schaffstein/Beulke/Swoboda S. 193). Gleichwohl arbeitet die Praxis in fast jedem zweiten Fall mit einer solchen unzulässigen Weisung (Vogt 1972, S. 102), Hintergrund ist die schwierige, bis zum Rollenkonflikt führende Abstimmung zwischen richterlicher Anordnung und eigenständiger sozialarbeiterischer und sozialpädagogischer Kompetenz von Bewährungshelferinnen und -helfern. Aus rechtsstaatlichen Gründen und im Hinblick auf die Möglichkeit des Widerrufs dürfen richterliche Aufgaben nicht auf die Bewährungshilfe übertragen werden, z.B. mit der Weisung, allen Weisungen der Bewährungshilfe nachzukommen. Die Weisung, zum Nachweis der Drogenfreiheit nach näherer Bestimmung durch den Bewährungshelfer Urinproben abzugeben, soll nach OLG Zweibrücken NStZ 1989, 578, LG Detmold StV 1999, 662 sowie LG Cottbus Beschl. v. 9.3.2009 – 24 jug Qs 4/09 (juris) zulässig sein, stellt aber zumindest einen problematischen Grenzfall dar (vgl. auch die Anm. von Stree JR 1990, 121, Ostendorf § 23 Rn. 3 und Hoferer NStZ 1997, 172, die die zum allgemeinen Strafrecht ergangenen einschlägigen Beschlüsse OLG Stuttgart Justiz 1987, 234 und BVerfG NStZ 1993, 482 nicht auf das Jugendstrafrecht für übertragbar hält – Urinprobe als Verstoß gegen das Verbot des Selbstbezichtigungszwanges). Das Gericht stellt nur und insoweit zutreffend darauf ab, dass an den Verurteilten keine unzumutbaren Anforderungen gestellt werden, hätte jedoch auf das Verhältnis Gericht-Bewährungshilfe unter dem Gesichtspunkt hinreichender Bestimmtheit eingehen müssen. Immerhin ist aber der Rahmen konkreter bestimmt als die allgemeine Weisung, sich von Drogen fernzuhalten. Zulässig soll die Weisung gegenüber einer drogenabhängigen jungen Frau sein, sich vom alten Bekanntenkreis und dem üblichen Szenetreff fernzuhalten und die Zeit der (Vor-)Bewährung zu nutzen, um einen Therapieplatz zu finden, AG Halle-Saale-Kreis NK 2000, 38 m. Anm. Sonnen. Zur Praxis der Urinkontrolle als Bewährungsauflage bei Drogendelinquenten vgl. Leber/Friedrich/Weigend 1993, S. 186 und LG Detmold StV 1999, 662; Schwerpunkt Drogen und Alkohol, ZJJ 4/2009.
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Die Weisung, keinen Alkohol zu trinken, ist in Verbindung mit einer Kontrollmöglichkeit hinreichend konkret und zielführend, um den Risikofaktor zu beseitigen: Monatlicher Atemalkoholtest bei der Polizei und Ergebnismitteilung an das Gericht, LG Cottbus Beschl. v. 9.3.2009 – 24 jug Qs 4/09. Eine Anordnung, dem Gericht alle zwei Wochen unaufgefordert schriftlich und lückenlos Aufenthaltsorte mit Anschrift für jede Tag- und Nachtzeit jeden Tages anzugeben, dient ausschließlich der Kontrolle, ist nicht überprüfbar und nicht geeignet, den Verurteilten erzieherisch zu beeinflussen, um ihn von rechtsextremen Gruppen mit ausländerfeindlichen und antisemitischen Zielen fernzuhalten (LG Cottbus Beschl. v. 9.3.2009).
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Die Bewährungsweisung, durch die einer werdenden Mutter aufgegeben wird, sich nach der Entbindung um eine versicherungspflichtige Tätigkeit zu bemühen, um „durch eine sozialversicherungspflichtige Arbeit soziales Verhalten zu erlernen und eine solche Arbeitsstelle als Grundlage einer Reintegration nach Straffälligkeit anzustreben“, ist gesetzmäßig (LG Würzburg NJW 1983, 464). Der Begründungszusammenhang von Sozialversicherungspflicht und (Re)Sozialisierung ist zwar kriminologisch angreifbar, das Ergebnis bleibt aber unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten vertretbar. Der Vorprüfungsausschuss des Bundesverfassungsgerichts hat die entsprechende Verfassungsbeschwerde mangels Erfolgsaussicht nicht zur Entscheidung angenommen (BVerfG NJW 1983, 442; vgl. auch BVerfG NStZ 1981, 21 zur Weisung, einer vom Bewährungshelfer gebilligten, grundsätzlich versicherungspflichtigen Arbeit nachzugehen und Arbeits- oder Ausbildungsstellen nur mit vorheriger Zustimmung des Bewährungshelfers zu wechseln).
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Gesetzwidrig ist die Weisung, sich in eine ambulante psychiatrische Behandlung zu begeben, wenn der Proband seine Einwilligung hierzu ausdrücklich versagt hat (OLG Hamm StV 1990, 308). Das gilt auch für die Anordnung, monatlich ein Negativattest über eine Blutuntersuchung zur Frage eines eventuellen Alkoholkonsums vorzulegen, OLG Cottbus Beschl. v. 9.3.2009 – 24 jug Qs 4/09 (juris). Das mit der zulässigen Weisung, den Wohnsitz bei seiner Mutter in den Niederlanden (grenznah) zu nehmen, verbundene Verbot, für die Dauer der Bewährungszeit in das Gebiet der Bundesrepublik einzureisen, dort durchzureisen oder sich dort aufzuhalten (mit Anordnung der nationalen Ausschreibung zur Aufenthaltsermittlung) ist gesetzwidrig, LG Aachen StraFo 2018, 359: „Bei einem verurteilten jugendlichen Straftäter, der seinen Wohnsitz in einem Anreinerstaat in einer Stadt an der deutschen Grenze hat und zudem die deutsche Sprache in Wort und Schrift beherrscht, kann nicht davon ausgegangen werden, dass das in Form einer Weisung ergangene Einreise- und Durchreiseverbot in Deutschland während der Bewährungszeit im Interesse des Betroffenen liegt“.
Weitere Einzelheiten in der Kommentierung zu § 10.