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a) Sozialprognose

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Die Erwartung eines „rechtschaffenen Lebenswandels“ in § 21 Abs. 1 (sowie § 88) scheint über das Ziel, künftig keine Straftaten mehr zu begehen (§§ 56, 57 StGB), hinauszugehen und eher auf ein Leben ohne Straftaten „in sozialer Verantwortung“ (§ 2 StVollzG) abzustellen. Die weitergehende Forderung wird mit dem Erziehungsgedanken begründet und dient der „geistig-charakterlichen Formung des gesamten Menschen“ (Brunner/Dölling § 21 Rn. 6c). Da aber auch das Jugendstrafrecht Strafrecht ist und die Straftat den Anknüpfungspunkt für jugendstrafrechtliche Sanktionen bildet, kann auf Grund dieses rechtlichen Zusammenhangs Erziehung nach dem JGG nicht die charakterliche Heranbildung junger Menschen bezwecken, sondern nur die Verhinderung weiterer Straftaten (§ 5 Rn. 4; BVerfG NStZ 87, 275; Ostendorf § 21 Rn. 26). Der Begriff „rechtschaffener Lebenswandel“ ist deswegen restriktiv als „Leben ohne Straftaten“ zu interpretieren.

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Der Wahrscheinlichkeitsgrad künftig straffreien Verhaltens darf angesichts der Dynamik des Erwachsenwerdens nicht zu hoch angesetzt werden. Erwartung ist deutlich weniger als Gewissheit und etwas mehr als nur eine bloße Hoffnung. Brunner/Dölling § 21 Rn. 3 und 6c fordern zutreffend Mut zum Risiko und die Bereitschaft, auch Enttäuschungen auf sich zu nehmen. Nur „von vornherein zum Scheitern verurteilte Experimente“ sollen vermieden werden. Der BGH verlangt (für § 56 StGB), dass die Wahrscheinlichkeit künftiger Straffreiheit größer ist als die neuer Straftaten (BGH NStZ-RR 2005, 38).

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Einengend interpretiert, verlangt Erwartung nicht mehr als eine gewisse Chance der Legalbewährung, wobei das Wörtchen „gewisse“ auf eine Tatsachengrundlage hinweist. Bestehen hinsichtlich dieser Tatsachen Zweifel, müssen sie nicht ausgeräumt werden (Ostendorf § 21 Rn. 29). Im Zweifel ist die Jugendstrafe zur Bewährung auszusetzen, und zwar gerade auch, um mehrfach sozial Benachteiligte nicht zusätzlich auszugrenzen und zu stigmatisieren (Böhm/Feuerhelm S. 238).

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Da mit der Verhängung einer Jugendstrafe wegen schädlicher Neigungen bereits auf Grund einer „psycho-sozialen Täterdiagnose“ eine Rückfallgefahr für erhebliche Straftaten prognostiziert worden ist, kann es bei der Prognose i.S.v. § 21 Abs. 1 nur darum gehen, ob die erforderliche Gesamterziehung im Rahmen der Bewährungshilfe oder in der Jugendstrafanstalt erfolgen sollte. Auch bei der Jugendstrafe wegen Schwere der Schuld geht es um die Abwägung zwischen dem Grad der Rückfallwahrscheinlichkeit und den Bewährungshilfemöglichkeiten. Unter diesem Aspekt ist noch einmal eine Gesamtwürdigung der in der Tat und der Täterpersönlichkeit liegenden Umstände vorzunehmen. Wegen entwicklungsbedingter Gegebenheiten und im Hinblick auf den Erziehungsgedanken können sich günstigere Ergebnisse als bei Erwachsenen ergeben (BGHSt 24, 363; BGH NStZ 1984, 361; BGHR JGG § 21 Abs. 2 fehlerhafte Aussetzung 1; BGHR JGG § 21 Abs. 2 Gesamtwürdigung 1). Bei der Einschätzung der Rückfallwahrscheinlichkeit sind Prognoseverfahren zu vermeiden, die ausschließlich mit Schlechtpunkten arbeiten (zur Kritik u.a. Sonnen Kriminalität und Strafgewalt, 1978, S. 195 und JuS 1976, 364 sowie Walter 2005, Rn. 280 ff.). Positive Faktoren und Veränderungen erlangen ausschlaggebende Bedeutung (vgl. BGH ZJJ 2007, 217 ff.; StV 1996, 270; BGH StV 1986, 68 und BGH StV 1987, 306). In den sechs relevanten Bereichen (1. Sozialisationsentwicklung, 2. soziale Beziehungen, 3. Ausbildungs- und Arbeitsbereich, 4. Wohnung, 5. Freizeit, 6. Straffälligkeit) sind solche positiven Faktoren z.B. „Kein oder kein entscheidender Wechsel der Bezugspersonen; stabile, sozioökonomische Entwicklungsbedingungen in Familie und familienähnlichen Verhältnissen; ausgleichende konsequente Erziehungsmethode; keine Verhaltensauffälligkeiten in der Schule – tragfähige Beziehungen in der eigenen Familie, zu Freunden mit vorwiegend normkonformen Orientierungen – Lehre bzw. kontinuierliches Arbeitsverhältnis – eigenes Zimmer oder Wohnung, in dem/der man sich wohlfühlen kann – aktive Freizeitgestaltung, Kontrolle von Suchtgefahren, insb. von Alkohol und Drogen, ökonomischer Realismus – keine oder solche Straftaten, die strafrechtlich ohne prognostische Bedeutung sind“ (Ostendorf § 5 Rn. 16).

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Da Jugendkriminalität überwiegend normal, ubiquitär und episodenhaft ist (Sessar in: Walter/Koop (Hrsg.), Die Einstellung des Strafverfahrens im Jugendrecht, 1984, S. 26), haben Jugendstraftaten – sogar in der Wiederholung – sehr selten eine negative prognostische Bedeutung. Außerdem können, wie in BGHSt 24, 363 hervorgehoben wird, „bestimmte Situationen aus der andersartigen Vorstellungswelt eines Jugendlichen heraus eher als Konfliktslagen empfunden werden und zu einer das Strafgesetz verletzenden Lösung drängen als bei (...) Erwachsenen“. Frühere Verurteilungen und sog. Bewährungsversagen hindern eine erneute Strafaussetzung nicht (BGH StV 1996, 270; BGH NStZ 1988, 451; BGH BewHi 1989, 382 [Horstkotte]). Es gibt weder bestimmte Täter- noch Straftatengruppen, bei denen eine Strafaussetzung zur Bewährung nicht in Betracht kommt (so jetzt auch Brunner seit 9. Aufl. § 21 Rn. 6 und 6a, der noch in der Vorauflage „echt“ Kriminelle und Verwahrloste für nicht geeignet hielt, sondern nur „Täter mit einem guten Kern, die vorwiegend durch ungünstige Umwelteinflüsse gefährdet sind“).

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Bei der Prognose sind außer der Persönlichkeit, dem Vorleben und den Lebensverhältnissen auch die Umstände der Tat zu würdigen. Dazu zählen die Hintergründe und Entstehungszusammenhänge. Der BGH hat zu Recht ein Urteil aufgehoben, in dem einem bisher nicht bestraften Angeklagten Strafaussetzung zur Bewährung verweigert worden ist unter Hinweis auf Reifeverzögerungen, niedrigen Intelligenzquotienten, infantile Vertrauensseligkeit, Verspieltheit, mangelnden Ernst gegenüber Lebensproblemen und Leistungsunsicherheit. Der Hintergrund der Betäubungsmitteldelikte war, dass der Angeklagte nach dem Rauchen von Haschisch seine Sprachschwierigkeiten überwinden konnte und erstmals in einem geschlossenen Kreis akzeptiert wurde (BGH NStE Nr. 1 zu § 21 JGG). Bei Versagung der Aussetzung der Strafe zur Bewährung muss ausdrücklich begründet werden, warum keine günstige Prognose gestellt werden konnte, anderenfalls ist die Entscheidung nicht nachvollziehbar und hält insoweit rechtlicher Nachprüfung nicht stand (BGHR JGG § 21 Abs. 2 Gesamtwürdigung 2). Wenn ein Angekl. die Tat bestreitet und ein früheres Geständnis als von Polizeibeamten „aufgenötigt“ bezeichnet, darf dieses Verteidigungsverhalten nicht als fehlende Schuldeinsicht und mangelnde Reue gegen eine günstige Sozialprognose herangezogen werden, BGH StV 1993, 530 = BewHi 1994, 214; vgl. auch BGH StV 2009, 80. Weichen die Urteilsgründe („erschreckender Mangel an Unrechtsbewusstsein“, deswegen keine Bewährung) von einer verlesenen Urkunde ab („ich bedauere sehr, dass all das passiert ist“), kann die Verfahrensrüge auf Verletzung des § 261 StPO gestützt werden, BGH StV 1993, 459.

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Trotz fast 100 %iger Rückfallwahrscheinlichkeit ist eine Strafaussetzung zur Bewährung gegenüber sog. Gewissenstätern nicht ausgeschlossen, wenn sie nach dem Grundsatz „ne bis in idem“ nicht erneut bestraft werden dürfen (für Totalverweigerer: OLG Stuttgart MDR 1988, 1080; für Zeugen Jehovas: OLG Zweibrücken StV 1989, 397).

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Auch wenn eine günstige Legalbewährungsprognose nicht gestellt werden kann und damit eine Bewährung versagt werden müsste, eröffnet der (neue) § 21 Abs. 1 S. 3 über einen Jugendarrest eine solche Bewährungschance. Der Koppelungsarrestvollzug muss dazu die Voraussetzung schaffen, dass der Jugendliche sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und ohne Strafvollzug unter der erzieherischen Einwirkung in der Bewährungszeit ein Leben ohne Straftaten führen wird. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass es solche Fälle gibt, in denen eine günstige Prognose erst durch die zusätzliche Verhängung des Jugendarrestes möglich wird (Kritik bei Eisenberg Rn 14 „Spekualtionen über eine angebliche legalbewährungsbezogene Wirkung eines Kopplungsarrests): Unter dem ultima-ratio-Aspekt von Jugendstrafe und Jugendstrafvollzug dagegen letztmögliche Bewährungschance. Die Formulierung „erst dadurch“ verhindert einen unnötigen Kopplungsarrest i.S. eines net-widening Effektes (Verrel NK 2013, 67, 74 sieht die Bedeutung des § 21 Abs. 1 S. 3 in dem Umkehrschluss, dass der Kopplungsarrest in den Fällen nicht angeordnet werden darf, in denen es ohne die Arrestoption zu einer günstigen Beurteilung gekommen ist – keine „unnötige Koppelungsarrestdraufgabe“).

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