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3. Strafverfahren

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Sondervorschriften über die Jugendgerichtsverfassung und das Jugendstrafverfahren finden sich in den §§ 33–81a. Die StPO-Regelungen über Strafbefehl und beschleunigtes Verfahren, Privatklage und Nebenklage sowie Entschädigung des Verletzten sind für die Gruppe der Jugendlichen nach den §§ 79–81 ausdrücklich ausgeschlossen. Die Nebenklage ist aber gemäß § 80 Abs. 3 S. 2 durch das 2. Opferrechtsreformgesetz seit dem 1.10.2009 begrenzt zugelassen und durch das Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens vom 10.12.2019 ausgeweitet worden. Für die Gruppe der Heranwachsenden gilt § 109 Abs. 2.

Zur Anwendungsdifferenzierung bzw. Sperrung von Normen der StPO durch Grundsätze des JGG vgl. Eisenberg NStZ 1999, 281 ff.

§ 35 Abs. 1 StPO: Die Einlegungsfrist für eine Verfassungsbeschwerde gegen eine gerichtliche Entscheidung beginnt mit der Verkündung der angegriffenen Entscheidung. Das JGG sieht eine hiervon abweichende Regelung nicht mit der für § 93 Abs. 1 S. 2 BVerfGG gebotenen Eindeutigkeit vor, BVerfG v. 1.3.2010 – 1 BvR 249/10.
§ 81b StPO: Kein öffentliches Interesse am Sofortvollzug einer angeordneten ED-Behandlung, wenn es sich um die einmalige Tat eines Jugendlichen handelt und dessen Familie angemessen auf die Straftat reagiert hat, BayVG München StraFo 2004, 52. Nach dem VG Göttingen ZJJ 2010, 71 f. soll eine erneute Erhebung erkennungsdienstlicher Maßnahmen bei einem 17-Jährigen trotz eingestellter Verfahren wegen des Restverdachts zulässig sein. Notwendig sei die Erhebung, weil die Verfahren nicht wegen erwiesener Unschuld eingestellt worden sind und nach kriminalistischer Erfahrung prognostiziert werden könne, dass der Betroffene künftig wieder Straftaten begehen werde. Diese Entscheidung lässt aber jede jugendstrafrechtliche Orientierung vermissen, die im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsprinzips unter dem Aspekt der Angemessenheit zu berücksichtigen war, wie Bezjak und Sommerfeld zutreffend kritisieren (ZJJ 2010, 71–74).
§ 81g StPO: Die DNA-Identitätsfeststellung aufgrund eines Sexualdelikts bedarf einer einzelfallbezogenen Prognoseentscheidung in Bezug auf künftige Straftaten von erheblicher Bedeutung. Dies ist bei einer jugendtypischen Verfehlung, die mit einer Verwarnung zuzüglich 60 Stunden gemeinnütziger Arbeit sanktioniert worden ist, eher fernliegend (BVerfG StV 2014, 578 = ZJJ 2014, 42: Durch die dauerhafte Speicherung eines unverwechselbaren Erkennungsmerkmals eines Jugendlichen droht eine „Brandmarkung“, „welche als determinierendes Element die Möglichkeit andauernder Straffreiheit als Grundvoraussetzung sozialer Integration einschränken kann“ – ein Beschluss, der Zustimmung verdient.
Ob der Haftgrund der Wiederholungsgefahr bei gemeinschaftlichen Körperverletzungen, die nur mit Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmitteln (also nicht mit einer Jugendstrafe) geahndet worden sind, überhaupt gegeben ist, hat das HansOLG Bremen bejaht (Beschl. v. 1.3.2013 – Ws 5/13): § 112a StPO und § 17 JGG sind Normen mit unterschiedlicher Zielrichtung. Eine Herausnahme von Straftaten, die nicht mit Jugendstrafe geahndet worden sind, würde dazu führen, dass der Schutz der Bevölkerung vor heranwachsenden Serienstraftätern nicht in gleichem Maße möglich wäre wie der Schutz vor erwachsenen Straftätern, zutreffend a.A. OLG Oldenburg StV 2012, 352.
§ 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO: Überlange Terminierungsfristen und unzureichende Angebote der Jugendhilfe im Bereich ambulanter Möglichkeiten in den neuen Bundesländern rechtfertigen keine Sicherungshaft wegen Wiederholungsgefahr gegen einen bisher nicht verurteilten, aber in 19 Fällen angeklagten jugendlichen „Mehrfachtäter“, LG Magdeburg DVJJ-J 1993, 413 m. zust. Anm. Breymann.
§ 121 StPO: Das berechtigte Anliegen, dass bei Jugendlichen auch in Nichthaftsachen auf eine möglichst rasche Aburteilung hinzuwirken ist, hat keinen Vorrang vor dem besonderen Beschleunigungsgebot in Haftsachen, OLG Köln StV 1997, 148.
§ 153 StPO gilt auf Grund des Vorranges der milderen Regelung (keine Registereintragung) auch im Jugendverfahren, LG Itzehoe StV 1993, 537 m. zust. Anm. Ostendorf; aus Gründen des Vorranges des Erziehungsgedankens a.A. § 47 Rn. 5 und KK-Diemer § 153a, Rn. 7.
§ 257c StPO: Das seit dem 4.8.2009 geltende Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren vom 29.7.2009 hat Absprachen im Jugendstrafrecht zwar nicht ausdrücklich ausgeschlossen, aber in den Gesetzesmaterialien (BT-Drucks. 16/11736, 8) auf besondere Ausnahmen beschränkt („in geeigneten Fällen“); Knauer ZJJ 2010, 15–20; Nowak JR 2010, 248–256; Zieger/Nöding Rn. 221f, ausführlich § 5 Rn. 26 u. 27.
§ 258 StPO: Letzes Wort für Erziehungsberechtigte (Vormund), BGH Beschl. v. 26.4.2017 – 4 StR 645/16.
§ 267 Abs. 3 S. 1 StPO: Aus § 54 ergibt sich eine erweiterte Begründungspflicht. Bei der Verhängung von Jugendstrafe ist eine besonders sorgfältige Sanktionsbegründung erforderlich, OLG Jena NStZ-RR 1998, 199, OLG Celle Beschl. v. 24.8.2016 – 2 Ss 94/16, speziell zu den Darstellungserfordernissen bei § 27.
§ 302 StPO: Die Rechtsmittelrücknahme von jugendlichen und heranwachsenden Angeklagten ist nach allgemeinem Strafverfahrensrecht zu beurteilen. Verminderte Schuldfähigkeit gem. §§ 20, 21 StGB muss die prozessuale Fähigkeit, sich sachgerecht zu verteidigen und die Bedeutung einer Rechtsmittelrücknahme zu erfassen, nicht in Frage stellen, BGH NStZ-RR 1998, 60. Unwiderruflicher und unanfechtbarer Rechtsmittelverzicht eines Heranwachsenden, auf den Jugendstrafrecht angewendet worden ist, BGH Beschl. v. 20.12.2016, – 2 StR 432/16 – juris.
§ 337 StPO: Es ist rechtsfehlerhaft, wenn das LG in einem Jugendstrafverfahren eine Jugendstrafe verhängt, obwohl die Anordnung einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt in Betracht gekommen wäre (BGH NStZ-RR 2009, 277). Bei fehlender Therapiemotivation muss geprüft werden, ob eine konkrete Aussicht besteht, mit therapeutischen Bemühungen eine positive Beeinflussung zu erreichen.
§ 396 StPO: Entsprechende Anwendung der Grundsätze für die Zulassung der Nebenklage bzw. deren Widerruf im Strafverfahren gegen Jugendliche nach § 80 Abs. 3 S. 1, OLG Celle StraFo 2017, 283 mit ablehnender Anmerkung Eisenberg.
§ 432 StPO: Aus erzieherischen Gründen können die notwendigen Auslagen der Nebenklage einem verurteilten Jugendlichen auferlegt werden, BGH StraFo 2019, 73 m. ablehnender Anmerkung (Kölbel/Bannenberg).
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