Читать книгу Dem Freund, der mir das Leben nicht gerettet hat - Hervé Guibert - Страница 11
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ОглавлениеDr. Chandi, den ich seit mindestens einem Jahr konsultierte, nachdem ich Dr. Nacier, ohne ihn davon in Kenntnis zu setzen, verlassen hatte, ich hatte ihn der Indiskretion bezichtigt, weil er über die mehr oder weniger hängenden Eier einiger berühmter Patienten tratschte, in Wahrheit aber nahm ich ihm noch viel stärker übel, dass er, als er bei mir die Gürtelrose diagnostizierte, bemerkte, man könne bei HIV-positiven Patienten mit zunehmender Häufigkeit diese erneute Äußerung des Windpocken-Virus feststellen, während ich bis dahin den Test verweigert und seit Jahren in irgendwelchen Schubladen seine diversen, auf meinen eigenen oder auf Decknamen ausgestellten Rezepte für den Test zum Nachweis des Aids-Virus gesammelt hatte, das zuerst LAV, dann HIV genannt wurde, unter dem Vorwand, das hieße ein ohnehin unruhiges Gemüt wie mich in den Selbstmord zu treiben, überzeugt wie ich war, das Ergebnis des Tests zu kennen, ohne ihn überhaupt durchführen zu müssen, schön klarsichtig oder schön genasführt, und zugleich der Ansicht, die mindeste Verantwortung bestehe darin, sich bei Intimkontakten, die wohl mit dem Alter seltener würden, wie ein Infizierter zu verhalten, in Phasen der Hoffnung insgeheim mit dem Hintergedanken, dies sei auch das Mittel, sich selbst zu schützen, doch stets darauf beharrend, der Test sei zu nichts nutze, als die Unglückseligen in die schlimmste Hoffnungslosigkeit zu stürzen, solange noch kein Heilmittel gefunden sei, genau das hatte ich meiner Mutter entgegnet, der grässlichen Egoistin, die mich in einem Brief gebeten hatte, ihr diese Sorge zu nehmen, Dr. Chandi, der praktische Arzt, zu dem ich jetzt also ging und den Bill mir empfohlen hatte, indem er seine Verschwiegenheit rühmte und dabei sogar ausdrücklich zu verstehen gab, ein gemeinsamer Freund, der an Aids erkrankt sei, befinde sich bei ihm in Behandlung, wodurch mir sofort klar war, um wen es sich handelte, und den die unbedingte Verschwiegenheit des Arztes, trotz des Bekanntheitsgrades seines Patienten, bislang vor der Gerüchteküche bewahrt habe, unterzog mich jedesmal, wenn er mich untersuchte, in derselben Reihenfolge denselben Prozeduren: Nachdem er mir wie üblich den Blutdruck gemessen und mich abgehört hatte, inspizierte er die Fußsohlen und die Hautritzen zwischen den Zehen, zog dann behutsam den Ausgang der besonders empfindlichen Harnröhre auseinander, dann erinnerte ich ihn, nachdem er mir die Leistengegend, den Bauch, die Achselhöhlen und den Hals unter dem Kiefer abgetastet hatte, daran, dass es zwecklos sei, mir das helle Holzstäbchen hinzuhalten, mit dem meine Zunge seit meiner Kindheit jede Berührung beharrlich verweigert, und dass ich es vorzöge, den Mund bei der Annäherung des Lichtkegels sehr weit zu öffnen und durch eine Kontraktion der Rachenmuskeln das Zäpfchen ganz nach hinten an den Gaumen zu drücken, doch Dr. Chandi vergaß jedesmal, wie viel leichteren Zugang ihm das verschaffte als das glatte, mit mentalen Splittern gespickte Stäbchen, er hatte im Verlauf der Untersuchung nicht nur das Gaumensegel inspiziert, sondern hatte auch, und zwar recht nachdrücklich, als läge es fortan bei mir, durch stete eigene Beobachtung zu kontrollieren, ob sich in dieser Region ein deutliches Zeichen für die Entfaltung der unheilvollen Krankheit eingenistet hat, aufmerksam den Zustand der Schleimhaut in Augenschein genommen, die das oft bläulich oder lebhaft rot gefärbte Gewebe umkleidet, welches die Zunge mit dem Bändchen verbindet. Indem er dann meinen Hinterkopf mit der einen Hand festhielt und Daumen und Zeigefinger der anderen mit starkem Druck mitten auf die Stirn presste, fragte er mich, ob das schmerze, und beobachtete dabei die Reaktionen meiner Iris. Er beschloss die Untersuchung, indem er sich erkundigte, ob ich letzthin häufige, andauernde Durchfälle gehabt hätte. Nein, alles war in Ordnung, dank der Einnahme von Trophisan-Ampullen auf Glycolbasis hatte ich mein Gewicht aus der Zeit vor der Abmagerung während der Gürtelrose wiedererlangt, nämlich siebzig Kilo.