Читать книгу Dem Freund, der mir das Leben nicht gerettet hat - Hervé Guibert - Страница 18

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Als ich Hals über Kopf aus Mexiko zurückkehrte, im Oktober 1983, nachdem ich den Leiter des Air-France-Büros Mexiko, der mich mit den Füßen auf dem Schreibtisch empfing und zuschaute, wie von der Decke Tropfen für Tropfen der Sintflut, die draußen tobte, in einen Topf platschte, ich war selber tropfnass und appellierte an das menschliche Mitleid, angefleht hatte, er möge mich umgehend nach Frankreich heimkehren lassen und das verfluchte Ferienticket mit festem Rückreisedatum und dreizehn Tagen Mindestaufenthalt verkürzen, nachdem ich noch im Flugzeug, das mich hilfreich in mein Heimatland brachte, schwere Fieberanfälle gehabt hatte, umgeben von mit Sombreros aufgeputzten, außer Rand und Band geratenen Touristen, die kreischend in großen Zügen den restlichen Tequila soffen, rief ich Jules vom Flugplatz an, und er berichtete mir, dass er die ganze Zeit, die ich in Mexiko war, im Krankenhaus zugebracht hatte, selber von schwerem Fieber geschüttelt, den ganzen Leib voll geschwollener Lymphknoten, und dass man im Universitätskrankenhaus unablässig Untersuchungen an ihm vorgenommen hatte, die zu nichts führten, bis man ihn schließlich nach Hause schickte. Während ich die grautrübe Pariser Vorstadtlandschaft hinter den Fenstern des Taxis, das mir wie ein Krankenwagen vorkam, vorüberziehen sah, und weil Jules mir eben die Symptome beschrieben hatte, die man allmählich mit der rätselhaften Krankheit verknüpfte, sagte ich mir, dass wir beide Aids hatten. Das änderte alles, augenblicklich, diese Gewissheit ließ alles, mitsamt der Landschaft, umkippen, und das lähmte mich zugleich und verlieh mir Flügel, nahm mir die Kraft und verzehnfachte sie, ich hatte Angst und war berauscht, ruhig gleichzeitig und zu Tode erschrocken, vielleicht hatte ich endlich mein Ziel erreicht. Natürlich gaben die anderen sich Mühe, mir meine Überzeugung auszureden. Zuerst Gustave, dem ich mich noch am selben Abend telefonisch anvertraute und der mir skeptisch von München aus riet, ich solle nicht aus einer schlichten Panik heraus urteilen. Dann sagte mir Muzil, bei dem ich Tags darauf zu Abend aß, und der sich selbst in einem ziemlich fortgeschrittenen Stadium der Krankheit befand, ihm sollte weniger als ein Jahr zu leben bleiben: „Mein armes Häschen, was willst du dir denn noch alles einbilden? Wären alle Viren tödlich, die in der Welt herumreisen, seit Charterflüge in Mode gekommen sind, dann wäre dieser Planet doch so gut wie entvölkert.“ Das war zu der Zeit, da über Aids die fantastischsten Gerüchte kursierten, die aber damals doch glaubwürdig schienen, so wenig wusste man noch über Art und Wirkung dessen, was noch nicht als Virus erkannt war, als Lenti- oder Retrovirus, ähnlich dem, der sich in Pferden verbirgt: Man fange ihn sich, indem man Amylnitrit schnüffelt, das auf einmal außer Gebrauch geriet, oder es handle sich dabei um die Waffe eines biologischen Kriegs, mal von Breschnew abgefeuert, mal von Reagan. Ganz am Jahresende ’83 sagte ich zu Muzil, weil er wieder mit alter Heftigkeit hustete, nachdem er die Antibiotika abgesetzt hatte, deren Dosierung, so hatte ihm ein Apotheker in seinem Viertel versichert, ausreichen würde, ein Pferd krepieren zu lassen: „In Wahrheit hoffst du, Aids zu haben.“ Er warf mir einen Blick zu, finster und voll herrischen Gleichmuts.

Dem Freund, der mir das Leben nicht gerettet hat

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