Читать книгу Dem Freund, der mir das Leben nicht gerettet hat - Hervé Guibert - Страница 14
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ОглавлениеSein Name war für Muzil zum Schreckgespenst geworden. Er wollte ihn tilgen. Ich hatte bei ihm für die Zeitung, bei der ich arbeitete, einen Text über die Kritik bestellt, er sträubte sich, wollte mich gleichzeitig nicht enttäuschen, schob entsetzliches Kopfweh vor, das seine Arbeit lähme, bis ich ihm schließlich vorschlug, diesen Artikel unter falschem Namen zu veröffentlichen, zwei Tage darauf erhielt ich mit der Post einen Text von seiner Hand, klar und scharf, mit diesem Brief: „Welches Wunder an Verständnis hat dir eingegeben, dass nicht der Kopf Ärger macht, sondern der Name?“ Als Deckname schlug er Julien de l’Hôpital vor, und jedes Mal wenn ich ihn zwei, drei Jahre später im Krankenhaus besuchte, wo er im Sterben lag, dachte ich an jenes düstere Pseudonym, das nie das Licht des Tages erblickte, denn natürlich scherte sich die große Tageszeitung, bei der ich angestellt war, nicht im Geringsten um einen Text über die Kritik aus der Feder eines Julien de l’Hôpital, eine Kopie lag noch lange im Ordner einer Sekretärin, als Muzil sie von mir zurückverlangte, war sie daraus verschwunden, ich fand das Original bei mir zu Hause und gab es ihm, Stéphane stellte nach seinem Tod fest, dass er es vernichtet hatte, wie so viele Schriften, überstürzt, in den wenigen Monaten, die seinem Zusammenbruch vorausgegangen waren. Ich trug zweifellos die Schuld an der Vernichtung eines kompletten Manuskripts über Manet, dessen Existenz er einmal erwähnte und um das ich ihn bei anderer Gelegenheit anging, mit der Bitte, es mir leihweise anzuvertrauen, denn es könne mir vielleicht Stoff zu einer Arbeit liefern, die ich unter dem Titel „Die Malerei der Toten“ begonnen hatte und die unvollendet blieb. Um meiner Bitte nachzukommen, nahm Muzil, der mir versprochen hatte, sie zu erfüllen, die Mühe auf sich, das Manuskript in seinem Durcheinander zu suchen, spürte es auf, las es erneut und vernichtete es noch am selben Tag. Seine Zerstörung bedeutete für Stéphane den Verlust von mehreren Zehntausend Francs, obgleich Muzil als einziges Testament ein paar lakonische, ohne Zweifel reiflich überlegte Sätze hinterließ, die seine Arbeit vor jedem Zugriff bewahrten, materiell vor dem der Familie, indem er die Manuskripte seinem Gefährten vermachte, und zugleich ideell vor dem seines Gefährten, indem er ihn durch das Verbot jeglicher posthumer Veröffentlichung daran hinderte, die eigene Arbeit auf den Trümmern der seinen zu errichten, und ihn so zwang, einen deutlich getrennten Weg zu verfolgen, wodurch er von vornherein den Schaden, den man seinem Werk etwa zuzufügen die Absicht hatte, begrenzte. Hingegen gelang es Stéphane, Muzils Tod zu seiner Arbeit zu machen, vielleicht hatte Muzil ihm auf genau diese Weise seinen Tod zum Geschenk machen wollen, indem er den Posten des Verteidigers dieses neuen, originellen und schrecklichen Todes erfand.