Читать книгу Dem Freund, der mir das Leben nicht gerettet hat - Hervé Guibert - Страница 9
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ОглавлениеIch spürte das Nahen des Todes im Spiegel, in meinem Blick im Spiegel, schon lange bevor er sich in ihm wirklich festgesetzt hatte. Trieb ich diesen Tod schon mit meinem Blick in die Augen der anderen? Ich habe es nicht allen gesagt. Bis jetzt, bis zum Buch, hatte ich es nicht allen gesagt. Wie Muzil hätte ich gern die Kraft gehabt, den unsinnigen Stolz und auch die Großmut, es überhaupt niemandem zu sagen, um die Freundschaften frei wie die Luft leben zu lassen und sorglos und ewig. Doch wie soll das gehen, wenn man erschöpft ist und es der Krankheit gelingt, sogar die Freundschaft zu bedrohen? Einigen habe ich es gesagt: Jules, dann David, dann Gustave, dann Berthe, Edwige wollte ich es nicht sagen, doch ich spürte schon beim ersten Frühstück, wie das Schweigen und die Lüge sie grauenhaft weit von mir entfernten, und dass, würden wir uns nicht augenblicklich wieder der Wahrheit unterordnen, es unwiederbringlich zu spät sein würde, also habe ich es ihr gesagt, um treu zu bleiben, ich habe es unter dem Druck der Ereignisse Bill sagen müssen, und mir schien es, als verliere ich im selben Augenblick alle Freiheit und alle Kontrolle über meine Krankheit, und dann habe ich es Suzanne gesagt, denn sie ist so alt, dass ihr vor nichts mehr graut, sie hat niemals jemanden geliebt außer einem Hund, um den sie an dem Tag weinte, als sie ihn ins Tierheim abschob, Suzanne, die dreiundneunzig Jahre alt ist und deren Lebenserwartung ich mit diesem Bekenntnis einholte, welches ihr Gedächtnis auch unwirklich werden lassen oder von einem Augenblick zum anderen auslöschen konnte, Suzanne, die ohne Weiteres bereit war, etwas so Ungeheures auf der Stelle zu vergessen. Ich habe es Eugénie nicht gesagt, ich esse mit ihr in der Closerie, sieht sie es mir an den Augen an? Ihre Gesellschaft langweilt mich mehr und mehr. Ich habe den Eindruck, nur noch zu Menschen interessante Beziehungen zu haben, die Bescheid wissen, alles ist null und nichtig geworden und zusammengebrochen, wertlos und reizlos, alles rings um diese Mitteilung, wenn ihr nicht mehr Tag um Tag freundschaftlich begegnet wird, wenn mein Sträuben mich im Stich lässt. Es meinen Eltern sagen, das hieße mich dem aussetzen, dass mir die ganze Welt im selben Augenblick die Fresse zuscheißt, es hieße, mir von allen Arschlöchern dieser Erde die Fresse vollscheißen, mir die Fresse mit ihrer stinkenden Scheiße zukacken zu lassen. Meine allererste Sorge in dieser Geschichte ist, vor den Blicken meiner Eltern geschützt zu sterben.