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6. Italienisch Essen

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Wenn es um italienische Küche ging, kannte sich Hagenau ebenso gut aus wie in der Renaissance. Zudem war er ein passabler Hobbykoch. Mit anderen Worten, wenn ein italienisches Restaurant seinem Anspruch genügen wollte, musste es schon wirklich gut sein. Als ersten Lackmus-Test bestellte er immer Saltimbocca – nur um auszuprobieren, ob es wenigstens genauso gut war wie sein von ihm selbst zubereitetes. War es besser als seines, wurde der persönliche Stern verliehen. In den wenigen Restaurants, die das Kriterium erfüllten, war er ein gern gesehener Gast, weil er schon mal eine miese Tagesbilanz hochreißen konnte. Das „Pestello“ war zurzeit sein Favorit.

Er hatte schon an seinem Lieblingstisch gesessen, stand aber wieder auf, als Kohoutek zum verabredeten Zeitpunkt eintraf, um ihn zu begrüßen.

„Hallo Herr Dr. Kohoutek – es freut mich, dass sie meiner Einladung gefolgt sind! Nehmen Sie Platz!“

„Wer mich ins `Pestello` einlädt, muss bei mir keinen Widerstand befürchten, Herr Dr. Hagenau. Schauen Sie mich an, dann kennen Sie schon eine schwache Seite von mir!“

Kohoutek umschrieb mit beiden Händen seinen runden Leib. Sein Blick nach unten kam über den Äquator nicht hinaus.

„Na – ich sollte auch mal mehr auf die Linie achten. Kleiner Aperitif vorab?“

„Ja gerne.“

„Kennen Sie Trinkessig – so eine Art Balsamico, nur besser?“

„Nein, aber ich folge Ihrer Empfehlung gerne.“

Hagenau bestellte auf Italienisch. Im gleichen Moment bedauerte Kohoutek eine verpasste Chance.

„Als ich meine Dissertation über Mantegna geschrieben habe, war ich auch eine Zeit lang in Italien und kam da auch einigermaßen mit dem Italienischen zurecht: Essen bestellen, nach dem Weg oder dem Preis fragen. Ein abstraktes Gespräch habe ich aber nie führen können. Ich hätte mir ein langhaariges Wörterbuch zulegen sollen, aber das habe ich nicht hingekriegt. Jetzt komme ich nur noch alle zwei Jahre zur Biennale nach Venedig und da spricht man ja fast nur noch Englisch.“

„Da habe ich vielleicht einen kleinen Vorteil. Ich habe ein Häuschen in der Toskana und da fahre ich auch so oft hin wie ich kann.“

Hagenaus Gesicht verriet das Glück des Augenblicks, wenn Bilder von angenehmen Menschen, Orten oder Situation vor dem geistigen Auge aufblitzen.

„Und wo?“

„In Campiglia.“

„Kenne ich gar nicht.“

„Muss man auch nicht. Campiglia ist ein schöner kleiner Ort etwa zehn Kilometer landeinwärts von Piombino.“

„Das kenne ich natürlich – da geht’s nach Elba rüber. Übrigens sehr lecker dieser Trinkessig.“

Er schleckte die letzten Tröpfchen aus dem langstieligen kleinen Gläschen und schmeckte schnalzend nach.

„Was möchten Sie als Vorspeise?“

„Sie kennen sich ja hier bestens aus. Nach der ersten Empfehlung begebe ich mich in Ihre Hände.“

„Ihr Vertrauen ehrt mich – Sie werden es nicht bereuen! Dann nehmen wir als Vorspeise das Vitello tonnato und dazu einen Vernaccia di San Gimignano. Den man hier in unseren Läden kaufen kann, können Sie vergessen, aber ich habe dort selbst eine sehr gute Bezugsquelle aufgetan und dafür gesorgt, dass dieser Wein auch hier serviert wird.“

Hagenau setzte die Bestellung ab, wobei Wein und Wasser sofort kommen sollten. Dann setzte er das Vorspiel fort.

„Thematisch liegen wir beide ja gar nicht so weit auseinander. Mantegna und Leonardo waren Zeitgenossen. Meines Wissens sind sie sich aber nie begegnet.“

„Darüber gibt es jedenfalls keine gesicherte Quelle.“

„Aus der Wahl eines Malers der Früh-Renaissance schließe ich, dass Ihre Sicht der Kunst sich von der meinen nicht grundsätzlich unterscheiden kann.“

„Mein Wissensstand über Mantegna kann sich mit Ihrem über Leonardo nicht messen, aber ich glaube sagen zu können, dass Mantegna so etwas wie ein Vorläufer Leonardos gewesen ist. Denken Sie an die anatomische Körperlichkeit seiner Figuren, die ihre Vorbilder auch schon in der Antike suchte, und seine Perspektive. Alles das ist in seinem bekanntesten Bild, der `Beweinung Christ`, schon vorweggenommen.“

„Absolut. Es ist sicher, dass Leonardo Mantegnas Werk kannte. Schließlich hat der ja Teile des vatikanischen Belvederes ausgemalt, in dem Leonardo während seines Romaufenthaltes wohnte.“

Es entstand eine kleine Gesprächspause, die Kohoutek nutzte, um endlich den Grund für diese unerwartete Einladung in Erfahrung zu bringen. Um den heißen Brei waren sie nun schon lange genug herum gelaufen.

„Herr Dr. Hagenau! Was kann ich für Sie tun? Diese Einladung dient ja nicht der Fellpflege.“

„Nett wie Sie das ausdrücken. Ja in der Tat können sie vielleicht etwas tun. Als Freund und Kenner großer Epochen habe ich natürlich so meine Schwierigkeiten mit mancher Erscheinung am heutigen Kunstmarkt. Ich suche immer noch das Wahre, Gute und Schöne. Meine Interpretation von Qualität mag sicher manchmal altbacken sein, aber ich will es einfach mal wissen, ob es das noch gibt. Sie haben ja mitbekommen, dass bei uns im Haus merkwürdige Dinge geschehen.“

„Sie meinen die Leonardo-Kopien, die Ihnen zugesteckt wurden? Darüber wird morgen ein kleiner Artikel in unserer Zeitung stehen:“

„Warum auch nicht? Das kann ja nicht schaden!“

„Aber was wollen Sie konkret von mir?“

„Wer über Andrea Mantegna promoviert hat und heute für das führende Magazin der Gegenwartskunst arbeitet, ist genau der Richtige für eine kleine Spezialaufgabe. Sie sollen für mich herausfinden, wer sie gemacht hat. Ich will es einfach wissen!“

Dünn geschnittenes Kalbfleisch mit delikater Thunfischsoße wurde serviert. Während dessen betrat eine exotische Dreiergruppe das Lokal und steuerte den Tisch gegenüber an: eine üppige Blondine als alternder Tiger, overdressed und zu bunt bemalt, sowie ein jüngeres Paar, er Typ Schiffschaukelbremser mit Popelbremse und Goldkettchen am fleischigen Hals, sie schriller Hungerhaken auf Stilettos. Bei ihr war das Goldkettchen über dem Knöchel und ein Chihuahua an der Leine.

„Da sehen Sie ja, was ich meine. Alles wird nur noch billig und peinlich. Ich glaube, ich muss doch mal wieder mein Lieblingsrestaurant wechseln. Den gewichtsmäßigen Gegenwert von diesem Tippelköter da haben Sie gerade auf dem Teller.“

Sein sichtliches Unbehagen spülte Hagenau mit einem großen Schluck Weißwein hinunter. Kohoutek wollte jetzt beim Thema bleiben.

„Den großen unbekannten Meister werden Sie doch vermutlich bald auch ohne mich kennen lernen, wenn der seine Belohnung abholen will. Einen anderen Zweck wird die ganze Sache nicht haben. Irgendeiner will damit unbedingt berühmt werden.“

Hagenau schaute sein Glas leicht enttäuscht an, weil sein Inhalt für eine zweite Spülung nicht mehr reichte. Ein Handzeichen an den Kellner sollte Abhilfe schaffen.

„So weit waren wir auch schon. Trotzdem können wir nicht sicher sein, ob dabei am Ende nicht doch etwas herauskommt, womit keiner gerechnet hat. Es wird einen Knalleffekt geben, aber es widerstrebt uns dazusitzen, bis es knallt. Und dann stehen wir ziemlich belämmert da, wenn es heißt: man hat Euch doch zwei deutliche Warnungen ins Haus geschickt.“

„Der Aspekt ist natürlich auch nicht von der Hand zu weisen.“

„Dann verstehen wir uns ja. Keiner kennt die Berliner Szene so wie Sie. Besuchen Sie doch einfach mal ein paar Leute. Stichwort Portrait-Serie `Künstler in Berlin` und bei der Gelegenheit horchen Sie den Buschfunk ab. Zum Hauptgang empfehle ich cinghiale – Wildschwein mit schwarzen Oliven a la Pestello – ein Gedicht sage ich Ihnen. Dazu passt am besten ein guter Brunello.“

„Das hört sich gut an.“

„Den Wein können wir ja schon mal kosten.“

Alle Wünsche wurden dem Personal in seiner Muttersprache serviert.

„Ich kann jetzt aber nicht so mir nichts dir nichts in der Redaktionsleitung verkünden: ich möchte jetzt mal höchst selbst eine schöne Serie machen und für mehrere Ausgaben Platz reservieren, wenn es für das Thema eigentlich keinen Anlass gibt.“

„Dann machen Sie es doch einfach auf eigene Kappe!“

„Wie stellen Sie sich das denn vor? Das kann eine ziemlich zeitaufwendige Veranstaltung werden.“

„Ich bitte Sie! Das sollen Sie doch nicht für Gotteslohn machen. Sagen Sie, was Ihre Arbeit wert ist.“

„Aus dem Alter eines Journalisten, der noch nach Zeilen bezahlt wird, bin ich raus.“

Hagenau wusste, dass dieser Punkt jetzt kritisch werden könnte, einem promovierten Redaktionsleiter der führenden deutschen Kunstzeitschrift einen Nebenverdienst anzubieten.

„Dessen bin ich mir doch voll bewusst. Ich habe eine viel bessere Idee. Wie wäre es, wenn Sie einfach mal mit ihrer Frau in der Toskana ihr Italienisch wieder etwas auffrischen mit allem drum und dran. Ich wüsste da ein Plätzchen.“

„Da können wir schon eher drüber reden.“

Während der Wartezeit auf die Spezialität des Hauses beschrieb Hagenau sein Häuschen in der Toskana – Häuschen mit Gästehaus – und Weinberg, um so die Qualität seines Angebotes mit der Schilderung einiger Details weiter aufzuwerten - bis endlich der angepriesene Schwarzkittel des Weges kam. Sofort hatte der Zauber des Südens an Strahlkraft verloren, weil jetzt das Wildschwein mit schwarzen Oliven a la Pestello ins Zentrum des Interesses geriet. Es passte prima zum Brunello, danach auch zum Barolo als Vergleich, dann doch wieder Brunello ohne Wildschwein. Bei der Tiramisu als Nachspeise wurden wie bei einer mathematischen Gleichung zuerst auf beiden Seiten die Doktortitel gekürzt und beim Schlussakkord mit Espresso und Grappa auch noch die Nachnamen.

Der rote Punkt

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