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III. Rom ist zu klein
ОглавлениеDas Gespräch mit dem Papst hatte die Situation nicht verbessert. Der Vatikan war die Vorhölle der Intrige, der Bosheit und der Häme. Dass Papst Leo X. den jüngeren Künstlern den Vorzug gab, war eine Kränkung wie sie Leonardo bisher nie erfahren hatte – und das Wortbild wurde zur Realität. Leonardo fühlte sich krank an Leib und Seele. Salai, Francesco und seine anderen Schüler Lorenzo und Fanfoja waren auch schon von den Schleppenträgern der Konkurrenten böse hergenommen worden. Rom blieb eine einzige Enttäuschung. Im Windschatten der großen Politik bahnte sich aber schon die Wende an – die letzte in seinem Leben.
Ende des Jahres 1514 war der französische König, sein großer Gönner Ludwig XII. gestorben. Dessen Nachfolger Franz I. war im folgenden Jahr schon mit seiner Streitmacht nach Norditalien gezogen, um seine Ansprüche zur Geltung zu bringen. Mit der Schlacht von Marignano hatte er das Herzogtum Mailand zurück gewonnen, das bisher vom Fürstengeschlecht der Sforza regiert worden war. Unter den wechselnden Herren, mal den Sforza, mal den Franzosen, hatte Leonardo immerhin siebzehn Jahre in Mailand gearbeitet. Im Sommer entschloss sich der Papst, dem Franzosen seine Truppen unter der Führung seines Bruders Guiliano entgegen zu schicken, nicht um ihn zum Kampf zu stellen, sondern eher als Demonstration der Macht. Als mehr den irdischen Dingen zugewandter Papst der Renaissance wusste auch Leo nur zu gut wie man Bündnisse schmiedet. Die Hauptpersonen Leo X. und Franz I. trafen sich dann 1516 in Bologna. Das Konkordat, das sie dort vereinbarten, war von überschaubarer zeitlicher Gültigkeit. Guiliano jedoch erlag noch im gleichen Jahr der Schwindsucht – genau in dem Alter, welches für seinen Bruder gereicht hatte, um Papst zu werden.
Ohne die schützende Hand Guilianos erschien Leonardo der weitere Aufenthalt in Rom nun gänzlich ohne jegliche Perspektive. Der Papst hatte seine Favoriten gekürt – für drei Genies solcher Klasse war auch Rom zu klein. Leonardo ließ seinen beweglichen Besitz verpacken, vor allen Dingen seine Gemälde und Tausende von Seiten mit Zeichnungen und Texten über Architektur und Technik, Skizzen zur Natur, Menschen und Tiere und die anatomischen Aufzeichnungen – ein gewaltiges Konvolut, das etlichen Maultieren auf dem Weg nach Florenz und dann weiter nach Mailand den Rücken krumm machen sollte.
Schon kurz danach kam es dann zu der entscheidenden Begegnung mit dem neuen Herrn des Herzogtums Mailand. Der König erhob sich augenblicklich, als der bewunderte Meister den Saal im Castello Visconteo zu Pavia betrat – eine Gestalt, nach deren Eintritt der Saal als gefüllt erschien. Franz I. war ein junger Mann von 21 Jahren und einer durchaus stattlichen Erscheinung. Er ging durch das Spalier seiner Offiziere und der Stadtpatrizier auf den wesentlich Älteren zu, umarmte ihn wie einen alten Freund seiner Familie – nicht ahnend, dass dieser Fürst der Kunst in nicht allzu ferner Zukunft in ihrer letzten Umarmung sterben sollte.
„Verehrtester Meister. Ich schätze mich überaus glücklich, Euch endlich kennen zu lernen!“
Leonardo deutete eine Ehrbezeugung an.
„Edler König – auch ich bin hocherfreut, Euch, von dem alle Welt mit so viel Respekt spricht, zu begegnen.“
„Ich kenne Eure Bilder von Jugend an. Am französischen Hof sind leider wenige Werke von Eurer Hand, aber doch genügend, um mir zu beweisen, dass der größte Künstler unserer Zeit vor mir steht. Wie Ihr wisst, war mein Schwiegervater Ludwig XII. ein großer Verehrer Eurer Kunst, weshalb er Euch ja auch zu seinem Hofmaler ernannt hat.“
„Majestät – Eure warmen Worte tun mir gut! Komme ich doch gerade aus Rom, wo meine Arbeit anscheinend nicht die gleiche Wertschätzung erfährt!“
„Papst Leo ist zwar mein neuer Verbündeter, aber manchmal dennoch ein Narr – nicht nur was diesen Sachverhalt anbelangt. Fortan sollt Ihr Euch keine Gedanken mehr machen, was man in Rom über Euch denkt. Ich will Sorge tragen, dass Ihr alle Freiheiten habt, die Ihr für Eure Arbeit benötigt, und auch die Mittel haben werdet, weiter große Werke zu vollbringen. Nehmt dies als königliches Versprechen!“
Auch für einen lebenserfahrenen Mann wie Leonardo war dieses königliche Angebot beeindruckend. Er brauchte deshalb einige Augenblicke, um seine Antwort abzuwägen.
„Welche Ehre für einen Künstler, der Freund eines Königs zu sein! Allein – mein König möge mir verzeihen. In Zeiten wie diesen – und die waren auf meine Lebensjahre gesehen schon immer so – bot kein Hafen auf Dauer einen ruhigen Ankerplatz. Lorenzo di Medici gab einst ein solches Wort – nun weilt er seit vielen Jahren nicht mehr unter uns. Auch der Mailänder Ludovico Sforza, der alte Gegner Eures Schwiegervaters, wollte mich für alle Zeiten sorgenfrei stellen. Stattdessen ließ er die Bronze zu Kanonen schmieden, die eigentlich für das Sforza-Reiterstandbild bereitgestellt war. Er starb vor acht Jahren als Gefangener Ludwigs. Lorenzos Sohn Guiliano, der Bruder des Papstes, rief mich nach Rom. Im Focus des Abendlandes würden die größten Aufgaben auf mich warten. Nun liegt auch Guiliano in seinem frischen Grab. Was wird sein, wenn Ihr Eure Geschäfte in Italien geordnet habt und an Euren heimatlichen Königshof zurückgekehrt seid?“
Franz nutzte einen Blick zum Fenster, um einen Moment über Leonardos Worte nachzudenken.
„Werter Leonardo! Nur ein starker Geist wie Eurer kann es wagen, das Wort eines Königs anzuzweifeln. Und nur einem solchen will ich es zubilligen. Nun denn – so mache ich Euch einen Vorschlag, der in gleicher Weise auch eine Bitte ist. Ihr kennt unser Ansinnen, denn es war schon Ludwigs Wunsch. Begleitet mich auf alle Zeit nach Frankreich. Alles was Ihr für Eure Belange erwünscht, soll Euch gewährt sein – und das nur um die eine Bedingung, mir mit Euren Talenten und Kenntnissen in so vielen Bereichen als Berater zur Seite zu stehen.“
„Mein König – Eure Großzügigkeit überwältigt mich. So viele Jahre werde ich nicht mehr erleben. Da will eine solche sicher endgültige Entscheidung wohl abgewogen sein.“
„Meister Leonardo – nur zu verständlich, dass Ihr Eure Angelegenheiten überdenken müsst. Es hat keine Eile mit Eurer Entscheidung. Gleichwohl will ich schon von Eurem Wissensschatz zehren, solange ich in Italien weile. Wir werden Gelegenheiten zum gemeinsamen Disput haben. Fangen wir gleich damit an: Da Mailand ja nun wieder französisch ist, kümmert mich `mein Abendmahl` der Santa Maria delle Grazie. Warum will die Farbe nicht halten?“
Leonardo versuchte, die ja eher unangenehme Frage erschöpfend zu beantworten, zumal Franz ja wohl die Schäden an seinem „Mailänder Abendmahl“ schon kennen musste. Er erklärte, dass die klassische Fresko-Maltechnik, also der unmittelbare Farbauftrag auf frischem Putz, nicht seiner bedächtigen und sorgfältigen Arbeitsweise entspräche. Die nötige Eile sei ihm unangenehm. Er habe deshalb eine andere Methode entwickelt, die aber leider noch nicht ausgereift sei. Der erste Disput ging also über Maltechnik und Beschaffenheit von Wänden. Beide Männer werden nicht die geringste Ahnung davon gehabt haben, wie viele Restauratoren über die Jahrhunderte nur mit diesem einen Werk gut zu tun haben würden.
Leonardo war sicher, dass Franz auch Kunde vom Desaster der „Anghiari-Schlacht“ im Palazzo Vecchio zu Florenz hatte. Und so erklärte er auch dieses Missgeschick: dort war der Versuch, den Farbauftrag durch Erhitzen der Wand mit offenem Feuer haltbarer zu machen, nur im unteren Bereich erfolgreich gewesen. Darüber war es zum Streit mit der Stadtregierung, der Signoria, gekommen, weshalb er das Werk ja ohnehin nicht hatte vollenden können.
Nur wenige Jahrzehnte später sollte der Verfall des auch später nie vollendeten Werkes so deutlich werden, dass die Signoria der Stadt Florenz beschloss, eines der bedeutendsten Werke Leonardos von Giorgio Vasari mit neuen Schlachtenbildern späterer Heldentaten übermalen zu lassen – eben jener Vasari, der in seiner zweiten Profession als erster Kunsthistoriker von Rang der Nachwelt so wichtige Begriffe schenkte wie Gotik, Manierismus und schon 1550 den Begriff, der die Epoche der großen Künstler Leonardo und Michelangelo bezeichnet – Rinascimento oder besser bekannt als Renaissance.
Da aber Vasari ein Verehrer Leonardos war und es deshalb eher unwahrscheinlich ist, dass er das Werk des großen Meisters zerstört haben sollte, kam später, sehr viel später, als man ganze Wände mit geheimnisvollen Strahlen durchschauen konnte, die Theorie auf, dass Vasari vor das berühmte Werk seines geschätzten Kollegen eine neue Wand hochgezogen haben könnte, um damit die „Anghiari-Schlacht“ durch einen schmalen Hohlraum zu schützen. Das verloren geglaubte Werk könnte sich demnach immer noch an seinem Platz befinden – geschützt, aber unsichtbar.
Der ungeheure Eindruck, den das frische Gemälde auf seine Betrachter gehabt haben muss, ist deshalb nur noch durch Kopien vermittelbar. Die berühmteste von Peter Paul Rubens in der Sammlung des Louvre aus dem Jahre 1603 ist allerdings schon die Kopie nach einer Kopie, denn zu dieser Zeit war ja das Original schon längst nicht mehr sichtbar.
Während seiner Ausführungen sah Leonardo Anzahl und Bedeutung der Gegenargumente hinsichtlich des königlichen Vorschlags schon merklich schwinden.
Einige Monate später zog ein langer Tross Richtung Frankreich. Der König kehrte mit großem Gefolge und Teilen seines Heeres nach Frankreich zurück. Franz war es gelungen, das größte Genie seiner Zeit an sich zu binden. Leonardo reiste in Begleitung seines jungen Assistenten Francesco Melzi und seines treuen Dieners Battista Villani. Salai hingegen war in Italien zurückgeblieben. Anders als bei Melzi ging bei dem Luftikus die Wertschätzung des künstlerischen Genies nicht so tief. Vielmehr hatte der immer schon andere Hintergedanken gehabt. Deshalb hatte Leonardo ihm ja den Spitznamen Salai – Teufelchen – gegeben. Eigentlich hieß er Giacomo Caprotti di Oreno.
Im Gepäck der besonderen Reisegäste waren drei Bilder, von denen sich Leonardo niemals trennen wollte: die „Anna Selbdritt“, die „Mona Lisa“ und der „Täufer Johannes“ – und die auch später, zurzeit der geheimnisvollen Strahlen, alle drei im Louvre unter dickem Panzerglas wieder vereint sein sollten – wobei jedes auf seinem Weg von Besitzer zu Besitzer seine eigene Geschichte haben sollte. Im Gepäck befanden sich auch mehrere tausend Blätter mit Leonardos Aufzeichnungen, die schon im Zahlenverhältnis zu seinen gerade mal zwölf sicher zugeschriebenen Gemälden den bedeutenderen Teil seines Lebenswerkes darstellten. Die Reise war für Leonardo anstrengend, denn nach den Maßstäben seiner Zeit war er bereits ein alter Mann. Dafür war es auch seine letzte. Er sollte Italien nicht mehr wiedersehen.