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10. Der schwarzweiße Perfektionist

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Josh Gorsky hieß mit bürgerlichem Namen Josef Gorschinsky. Dass hier ein Künstlername her musste, ist leicht einsehbar. Die Uniform war allerdings weniger originell als der neue Name: die schlanke drahtige Figur sah man immer nur in Schwarz; die Glatze war keine Notglatze wegen Kranzbildung, sondern eine absichtliche, was dem selbst auferlegten strengen Habitus einer lebenden SchwarzWeiß-Grafik konsequent entsprach; eine extrem dunkle Sonnenbrille mit der Lichtdurchlässigkeit von schwarzem Isolierband, die er vermutlich nicht einmal im Bett abnahm, rundete das äußere Erscheinungsbild trefflich ab; ein kluger Kerl, der seine Möglichkeiten auf ganz unterschiedlichen Betätigungsfeldern sehr genau und effektiv einsetzte. Er wusste sehr wohl, dass für einen Künstler seiner Generation ein sicherer Umgang mit Pinsel und Farbe allein nicht ausreichen konnte, um sich in den oberen Etagen des Kunstmarkts festzusetzen. Bei manchen seiner Arbeiten rätselten sogar erfahrene Kollegen, auf welche Art und Weise er diese zustande brachte. In irgendeiner Weise waren Computer und Drucker im Spiel – das war sicher. Es schien eine Kombination von beidem zu sein: Vorbereitung mit dem Rechner und individueller Duktus mit eigener Hand. Nachdem hier die Grenzen fließend geworden waren, hatte der Kunstmarkt seine anfänglichen Vorbehalte für Arbeiten dieser Art ja längst aufgegeben.

Da er mit den zeitgemäßen Werkzeugen umzugehen musste wie wenige seiner Kollegen, nutzte er dieses Wissen auch für Arbeiten, die zunächst mit Zeichnung nichts zu tun zu haben schienen. So konzipierte er zum Beispiel Lasershows und Lichtkunstinstallationen und war grundsätzlich immer für eine neue überraschende Wendung gut. Nur zu verständlich, dass er auf seinen technischen Tricks den Deckel hielt. Dennoch hatten seine Handzeichnungen den individuellen scharfen Strich, die besondere Klasse, die es braucht, um sich aus der Masse zu erheben, und seine Bilder zeigten nie gesehene Traumwelten, die eindrucksvoll bewiesen, das noch längst nicht alles totgemalt war. Sein Thema war sehr schwer einzugrenzen: alte Handschriften im Cyberspace, Hightech zwischen den Ruinen versunkener Kulturen und virtuelle Welten unter dem Brennglas. Er war ein Wandelnder zwischen den Zeiten und Welten. Und so wie ihr Schöpfer im übertragenden Sinne wandelte, so wandelten auch seine Protagonisten durch seine irrealen Bildwelten.

Die Neidlosen hielten ihn für clever, die Ausgebooteten stöhnten aber auch oft: nicht schon wieder! Er hatte nämlich die Fähigkeit, immer und überall dabei zu sein, wenn es in der Nähe der so genannten wichtigen Leute etwas zu holen gab. Den Kollegen war schon öfter übel aufgestoßen, dass auf verschlungenen, selten nachzuvollziehenden Wegen, Aufträge für Lightshows, Multimedias und Installationen aller Art bei ihm landeten. Gorsky wusste, dass er gut war, verdammt gut sogar – aber er wollte es mehr als die anderen, dass das auch jeder wusste. Dazu gehört natürlich die Nähe zu allen Medien. Er hatte dafür gesorgt, das die wichtigen Leute in den Redaktionen ihn kannten und er sie. Kohoutek und Gorsky waren sich daher schon oft begegnet. Kohoutek verstand auch, dass Gorsky nicht einfach mediengeil war oder eine Macke hatte, sondern sein Geschäft nur ganz konsequent verfolgte – vielleicht ein bisschen zu konsequent. Ohne dass Bekanntschaft zu Freundschaft geführt hätte, war irgendwann mal das Du gefallen.

Gorsky lebte und arbeitete in einem Loft, wie ein Atelier ja jetzt bei Künstlern seiner Altersgruppe heißen musste, mit Graffiti auf der Feuerschutztür, an der eine Schweineschnauze aus Bronze einen Ring anbot. Zur Sicherheit war aber neben der Tür noch ein stinknormaler Klingelknopf. Kohoutek entschied sich gleich für die elektrische Variante, da er um die Größe der Arbeitsräume wusste. Die Tür wurde langsam und offensichtlich nur mit Mühe einen Spalt aufgetan und darin erschien ein süßer kleiner Lockenkopf von vielleicht drei Jahren.

„Jooohosh – da is einer!“

Es kam nicht Josh, sondern Jana, die Lockenkopfmutter, für die der Besucher auch schon mal einen verregneten Dienstagnachmittag hätte opfern mögen.

„Herr Kohoutek nicht wahr. Gehen Sie ruhig durch. Josh ist in seiner Denkfabrik. Da hat er sich schon den ganzen Tag verkrochen, weil er irgendein Problem nicht lösen kann.“

Das „Hallo“ fand keinen Empfänger. Irgendwo unter Rechnern, Scannern und Druckern musste er sein. Deshalb versuchte es Kohoutek ein zweites Mal. Unter einem Arbeitstisch erschien zuerst eine schwarze Lederjeans und dann löste sich der ganze Josh Gorsky aus einer vielköpfigen Hydra aus Kabeln und Steckern – und erstmalig konnte Kohoutek in dessen stahlblaue Augen sehen.

„Hi, Frieder!“

„Wie kommt´s?“

„Was?“

„Ohne Sonnenbrille“

„Sehe ja sonst die Anschlüsse auf der Rückseite nicht. Ich fummele schon den ganzen Tag an der Kiste rum.“

„Größeres neues Projekt?“

„Nein – mein Rechner ist abgeschmiert.“

„Oooh – das kenne ich! Kleine Momente des Glücks können auch schon allein darin bestehen, dass man das eigene Elend mit anderen teilen kann.“

„Es treibt mich auf die Zinne, wenn dieses Schrottsystem ohne erkennbaren Grund nicht mehr funktioniert“

„Dann komme ich bestimmt ungelegen.“

„Ich müsste lügen. Aber wenn ich Dich jetzt wegschicke, kommst Du so schnell nicht wieder. Dann weiß ich nicht, was Du über mich schreibst.“

„Ich wusste gar nicht, dass Du eine Familie hast.“

„Es gibt auch einen privaten Gorsky.“

„Den man durchaus beneiden möchte.“

Bei diesem Satz verglich Kohoutek unfairer Weise Jana mit den 78 Kilo Lebendgewicht zuhause. Gorskys Antwort war ein kleines verliebtes Lächeln.

„Sag mal! Könntest Du mit Deinem ganzen Maschinenpark eigentlich Geldscheine drucken?“

„Ich habe es noch nicht probiert. Sollte ich?“

„Mal im Ernst. Du würdest das doch hinkriegen?“

„Ich glaube schon, dass ich eine passable Druckqualität hinbekäme, wenn ich denn wollte. Das Problem ist aber nicht der Druck, sondern das Papier, der Silberfaden und das Hologramm. Das ist mir aber zu langweilig und außerdem kriegt man dafür ganz schön was auf die Finger. Was soll das überhaupt?“

„Ich stelle mir das ziemlich schwierig vor. Handwerklich ist doch eine perfekte Kopie fast anspruchsvoller als eine völlig freie künstlerische Arbeit.“

Gorsky neigte ein wenig den Kopf und drückte eine Braue auf halbe Höhe.

„Willst Du mich hier hinter die Fichte führen? Dann frag doch gleich, ob ich die Leonardo-Zeichnungen kopiert und in den Gropius-Bau geschmuggelt habe. Ich bin des Lesens mächtig. Ich weiß von den Kopien.“

Jetzt schoss viel Blut in Kohouteks Ohren. Ertappt! Das Verhör war aber auch einfach zu plump eingefädelt! Gorsky war für eine solche Nummer viel zu clever.

„Na ja, Du kannst Dir denken, dass der geheimnisvolle Unbekannte mit solch genialen Fähigkeiten für die Presse ein ganz dicker Fisch ist.“

„Und da kommt Ihr gerade auf mich?“

„Weil Du derjenige bist, dem man am ehesten die handwerkliche Fähigkeit zutraut. Da steckt doch schon mal eine Menge Respekt drin.“

„Da versucht man seit Jahren, eine richtig gute Arbeit abzuliefern. Das ist kein Zuckerschlecken, weil da draußen nämlich ein Haifischbecken ist. Da muss man sich durchwühlen, wenn man sein Ding machen will und da muss man mehr als alle anderen davon überzeugt sein, dass dieses Ding gut ist – und durchhalten, wenn es mal dicke kommt. Da ist es endlich mal an der Zeit, dass Deine Scheiß-Zeitung auf den Trichter kommt, was Richtiges über mich zu bringen – und in Wirklichkeit wollt Ihr nur wissen, ob ich so nebenher noch ein paar Leonardos produziere.“

Im gleichen Maße, wie ihm sein Ansinnen immer schäbiger vorkam, wuchs auch Kohouteks Ärger über sich selbst. Jetzt ging es hier nur noch um Schadensbegrenzung.

„Entschuldige bitte! Ich habe wirklich nicht damit gerechnet, dass ausgerechnet Du da so empfindlich reagierst. Ich habe eher angenommen, dass Du Dich geschmeichelt fühlst. Du suchst doch sonst jede Gelegenheit, um auf Deine Arbeit aufmerksam zu machen!“

„Ja genau: auf meine Arbeit. Das ist eben der kleine Unterschied. Da bin ich nicht anders als meine Kollegen – wenn sie gut sind jedenfalls oder überhaupt Künstler. Eine gute Arbeit kommt immer aus Kopf, Herz und Bauch – mein Kopf, mein Herz, mein Bauch! Ein langer Weg, x mal vom Kopf zur Hand und zurück – durch meinen Arm, ganz egal ob unten ein Stift, ein Pinsel oder eine PC-Maus dranhängt! Und das ist die einsamste Beschäftigung, die Du Dir vorstellen kannst, weil Du nur mit Dir selber ausmachen musst, wann etwas gelungen ist und wann Du es in die Tonne kloppen musst!“

Tatsächlich benötigten beide jetzt eine kurze Pause: der eine, weil er sich in Rage geredet hatte: der andere, weil auch Scham Kraft verzehrt. Kohoutek wurde das Gefühl nicht los, dass er selber derjenige war, der hier von irgendjemandem hinter die Fichte geführt worden ist.

„Wärest Du damit einverstanden, wenn ich Dein Portrait mit „Hart, aber fair“ überschreibe?“

Der rote Punkt

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