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12. Die dritte Kopie

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Hagenau war oft in seiner Ausstellung – auch jetzt noch in der vierten Woche nach der Eröffnung und genau eine Woche nach dem letzten Fund. Er fühlte sich wie jemand, der ein großes Werk vollbracht hat, ähnlich einem Architekten, der ein Gebäude entworfen und gebaut hat, und der sich dann unerkannt unter die Besucher mischt, um ihnen aufs Maul zu schauen, Stimmen und Meinungen einzufangen, die noch durch keinen Filter gegangen sind.

Dem Aufsichtspersonal hatte es schon imponiert, dass er selbst mit Hand angelegt hatte beim Aufbau der eigens dafür angeschafften Vitrinen und sorgfältig darauf achtete, was wohin kam, was ja ansonsten Aufgabe der Museumshandwerker ist. Das allerletzte Wort hatten aber diese englischen Aufpasser gehabt, die während der gesamten Zeit des Aufbaus die Zeichnungen nicht eine Sekunde aus den Augen gelassen hatten, bis diese in den Vitrinen eingeschlossen waren.

Stratenkötter war auch immer dabei gewesen, Schauerte gelegentlich. Die Fregatte kam natürlich immer erst, wenn die Arbeit getan war. Aber keiner hatte sich so um jedes Detail gekümmert wie Hagenau – die Ausstellung war ja auch sein Kind. Deshalb war er sich auch nicht zu schade, hin und wider Gruppen höchst persönlich durch die Ausstellung zu führen. Er war als Führer sogar begehrt, weil seine Kompetenz außer Frage stand, er aber zudem seine Ausführungen mit Witz vorzutragen wusste. Wenn eine Gruppe mal zu groß war, empfing er sie mit den Worten „Oh – ich wusste nicht, dass Sie so viele Häupter zählen.“ Oder wenn Besucher sein Foto im Katalog entdeckten, sprach er von einen „garstigen Konterfei“. Immer wenn der Mann in seiner Lieblingsepoche abtauchte, lebte er in einer anderen Zeit.

Die meisten Führungen machte allerdings Stratenkötter. Der war auch nicht schlecht. Der versuchte auch schon, den Hagenau nachzuahmen – brauchte er aber eigentlich gar nicht. Die Damen jeglichen Alters lächelten sowieso immer irgendwie beseelt, wenn der Strahlemann ihnen etwas über den Streit zwischen Leonardo und dem Papst oder über die Medici, die Sforza und sonstige Schurken erzählte.

Schauerte machte keine Führungen, kam aber trotzdem täglich in die Box, um eine Blitzrunde um die Vitrinen zu machen oder nach Hagenau und Stratenkötter zu fragen oder auch nur, um Hallo zu sagen. Fiel das auf einen Sonntag oder Dienstag – montags sind ja alle Museen der Welt geschlossen – gab es auch immer einen Plausch über die aktuellen Fußballergebnisse vom Samstag. Darüber im Besonderen und Sport im Allgemeinen redete er oft mit Stratenkötter. Das Sportmonster schien dem Schauerte sympathisch zu sein und er ließ sich gern von ihm „Maunten beiking“, „Fri Cleimbing“ oder „Keit sörfing“ erklären.

Hagenau machte seine Runde durch die verdunkelte Box nie im Schweinsgalopp, sondern schaute sehr genau, ob alles seine Ordnung hatte – meistens morgens bei Beginn der Öffnungszeit, hauchte mal eine Scheibe an und putzte sie dann mit dem Ärmel ab oder fand die Fluse wieder, die er doch am Vortag schon runter gepustet hatte. Beim Verlassen vergaß er nie, der Aufsicht Pflichtbewusstsein einzuschärfen – so auch heute Morgen.

„Don Alfonso – haben Sie ein Auge auf Elisabethens Schätze!“

„Ha ick – Chef – ha ick!“ antwortete Wisgalle.

Außenstehende haben ja keine Vorstellung davon, wie anstrengend es sein kann, nur da zu sein. Aufpassen ist ja eigentlich keine Arbeit, geht aber trotzdem mächtig in die Beine. Der verdunkelte Raum tat ein Übriges. Die Müdigkeit legte sich wie ein Bleimäntelchen um die Schultern. Im Wechsel mal die lange Distanz, mal die kurze, fünf Minuten hinsetzen, kurze Distanz, lange Distanz, hinsetzen. Da war es schon ganz wichtig, um wach zu bleiben, in regelmäßigen Abständen mal einen Besucher anzuspitzen, wenn der seine verschwitzte pelzige Pfote auf eine Scheibe legte – das tat aber auch dem eigenen Selbstwertgefühl wohl. Die Hälfte der Schicht war rum – die zweite Hälfte ist aber immer die längere. Gerade als Alfons Wisgalle das Ritual des Schichtwechsels einleiten wollte, fragte ihn im Vorbeigehen ein Mittfünfziger in Nadelstreifen scherzhaft.

„Verkauft Ihr die Zeichnungen auch?“

„Nee – wat soll det denn heeßen? Det weeß doch jedet Kind, dat man Leonardos nich koofen kann!“

„Ist aber ein roter Punkt dran.“

„Wat? Wie? Roter Punkt?“

„Wie in der Galerie, wenn ein Bild verkauft ist.“

„Wolln Se mich uffn Arm nehmen?“

„Nein, guter Mann! Kommen Sie. Ich zeige es Ihnen.“

Noch gänzlich ohne Aufregung fragte sich Wisgalle, warum so etwas immer kurz vor Schichtwechsel passiert. Der Besucher führte ihn zur letzten Innenvitrine in der rechten Doppelreihe und zeigte mit seinem spitzen knöcherigen Zeigefinger auf die Scheibe. Wisgalle heftete seine Augen auf das angegebene Ziel. Tatsächlich! Rechts unterhalb der Zeichnung „Knochenbau des Fußes und der Schulter“ Royal Collection RL 19011r, befand sich ein roter Klebepunkt auf dem mausgrauen Filzrahmen. Zur Kontrolle blickte er schnell in die benachbarte Vitrine und die nächste, ob die vielleicht auch alle Punkte hatten, die er vielleicht immer übersehen hatte. Nichts dergleichen. Nur auf diesem Filz, der seit dem Aufbau der Ausstellung und Scharfmachung der kombinierten Alarmanlage aller Vitrinen für niemanden mehr erreichbar war, prangte ein roter Punkt in der Größe einer Euro-Münze. Darauf standen in ziemlich kleinen Druckbuchstaben drei Worte:

NITEHARE

BIATTEALDEBUCHTE

VIVIMER

Der rote Punkt

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