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8. Die zarte Zicke
ОглавлениеDie Dame war als Irrwisch der Szene gut bekannt, weil sie tatsächlich keine Gelegenheit ausließ, einen nachhaltigen Eindruck zu hinterlassen. Eines war sicher, dass sie für ihr Gesicht mehr Farbe und Zeit verbrauchte als für ihre Bilder. Die wenigen, die es deshalb von ihr gab, hatten das Grundthema „Gewalt gegen Frauen“. Die wurde dem Betrachter so schonungslos auf die Netzhaut gedroschen, dass schon mal ein Würgereiz ausgelöst werden konnte.
Auch ihre Tafelbilder kamen zunächst von der Zeichnung, die dann mal mehr, mal weniger mit feinster Malerei durchgearbeitet wurden. Die wahren Leckerbissen waren jedoch ihre Zeichnungen, die zwar auch unverkennbar ihr Thema bearbeiteten, aber eine absolut kontrollierte, dennoch feine Linienführung zeigten, zauberhafte Nuancen aufwiesen, die durch die reduzierte Farbigkeit noch betont wurden. Die Wucht der farbigen Gemälde machte die Verletzlichkeit der Zeichnungen und wohl auch die Verletztheit der Person noch deutlicher.
Wenn man diese zarte Zicke in den Endvierzigern vor sich sah, hatte man zunächst Schwierigkeiten, ihr diese gewaltigen Horrorszenarien zuzuordnen. Jeder Psychologe konnte da tief schürfen – die Nicht-Psychologen taten es aber auch. Mit einer düsteren Geschichte war sie vor Jahren mal durch den Blätterwald gerauscht, als sich ihr langjähriger Lover in der explosiven Mischung von Eifersucht, Verzweiflung und Suff ein ziemlich scheußliches Loch in den Kopf geschossen hatte. Dessen Unglück hatte seinen Kern in der Tatsache, dass sie nie auf die Idee gekommen wäre, tatsächlich eine enge Bindung einzugehen, ganz im Gegenteil sich jede Freiheit nahm, auch die, beim Kauf eines Bildes höchst persönlich den Sonderbonus zu verkörpern. Sie gewährte diese Freiheit auch – aber mancher kann Freiheit nicht ertragen. Das kommt vor, aber dass Brigitte Tappelt den Revolver des Unglücklichen in Gießharz eingebettet und als Kunstwerk in ihre Ausstellungen gehängt hatte, war doch eher ungewöhnlich. Sie hatte danach die Fronten gewechselt und lebte seit dem mit ihrer Partnerin zusammen.
Sie war sicher früher eine sehr hübsche Frau gewesen, war es eigentlich immer noch, wenn man unter der Deckschicht noch den Originalzustand hätte erkennen können. Plateausohlen dick wie Eisenbahnschwellen, künstliche Wimpern groß wie Laubbesen, abstruse Gestecke in kohlpechrabenschwarzem Haar und Klunker aller Art an allen dafür geeigneten Stellen – manchmal auch an den ungeeigneten. Ihr Erscheinen war jedes Mal ein Auftritt.
Die Frau, die Frieder Kohoutek empfing, war so lange eine andere, bis er sie doch an der Stimme eindeutig identifizieren konnte. Ein kleines, eher zerbrechlich wirkendes Wesen, keine Takelage, keine Maske, kein fauler Zauber.
„Frau Tappelt! Danke, dass Sie mir die Zeit schenken – und ich Sie ein wenig befragen darf“
„Sollte ich mich querlegen, wenn die ars longa ein Portrait über mich bringen will? Kommen Sie, wir gehen in mein Atelier. Da habe ich meine Interview-Lounge. Sie kommen allein?“
Diese Lounge war eher eine überdimensionale Kuschelecke dekoriert wie Dantes Inferno, dessen Kern eine knallrote Liegefläche war, um die herum ganz viele Puppen durcheinander lagen. Vielen davon fehlten Gliedmaßen, Perücken oder Glasaugen. Selbst ohne große Vorkenntnisse der Seelenforschung konnte man unschwer erkennen, dass hier Einiges im Argen lag.
„Zunächst ja. Ich will Sie nicht mit einem Blitzlichtgewitter überfallen. Wenn es sich ergibt und Sie damit einverstanden sind, kann ich selbst einige Stimmungsbilder in Ihrem Atelier machen. Wenn Sie Ihre Arbeiten gut dokumentiert haben sollten, nehmen wir gerne Ihre eigenen Fotos für die Abbildungen Ihrer Arbeiten. Ansonsten schicke ich Ihnen in den nächsten Tagen unser Fotografen-Team ins Atelier. Diese rein technischen Dinge nehmen immer so viel Raum ein und stören nur.“
„Damit bin ich gerne einverstanden. So bin ich ja ohnehin nicht präsentabel.“
Ganz offensichtlich fühlte sie sich ohne ihre Tarnung fast nackt.
„Das wiederum ist mir sehr recht. Die bereits veröffentlichte Person interessiert mich weit weniger als die echte Brigitte Tappelt.“
Die echte Brigitte Tappelt war sich dessen natürlich bewusst, dass die beste Tarnung nutzlos ist, wenn sie als solche sofort erkannt wird.
„Whow – gleich aufs Ganze! Glauben Sie denn, dass da ein Unterschied besteht?“
„Dessen bin ich mir ziemlich sicher. Ich kenne Ihre Arbeiten seit Jahren. Ich bewundere mehr noch als Ihre unglaubliche handwerkliche Perfektion Ihre Fähigkeit, stärkste Emotionen in einem einzigen zeichnerischen Detail zu verdichten. Das beeindruckt mich weit mehr als die stilisierte Attitüde.“
„Wenn Sie mir versprechen, auf den letzten Satz zu verzichten, möchte ich das schriftlich haben.“
„Kriegen Sie – kriegen sie. Ich muss nur noch einen Artikel drum herum schreiben.“
Sie schaute einen langen Blick nirgendwohin und damit in sich selbst.
„Drum herum?! Kennen Sie die Zwiebel-Metapher?“
„Ich könnte mir was darunter vorstellen, aber Sie werden Ihre eigene Variante haben.“
„Nach unserer eigenen Haut ist die Kleidung die nächste Haut, dann kommt die Wohnung, die Stadt und so weiter. Weil meine erste Haut so dünn ist, muss die zweite umso dicker sein.“
Kohoutek verglich diese Zwiebel-Metapher mit seiner ersten eigenen Haut, die für ihn ganz und gar keinen übertragenden Sinn mehr hatte, sondern von den Zahlen einer Waage klar definiert wurde.
„Aber wenn man die Zwiebel schneidet, fließen Tränen.“
„Damit habe ich diesen roten Plüsch schon oft getränkt.“
Was einmal Anlass für dieses Interview gewesen sein mochte, war hiermit beantwortet. In Folgenden ergab sich ein Gespräch der besseren Art, indem sie offenbarte, dass die Kunst das Messer sei, mit dem man Fesseln durchschneiden kann, dass Bilder so sind wie sie sind, weil Väter nicht immer gute Väter sind, und dass Partner, die man nicht so lieben kann wie erwartet, eine letzte Strafe setzen, die man nicht absitzen kann, um danach frei zu sein, aber dass man Hoffnungen malen kann, selbst wenn der Verstand sie nicht mehr erkennt.