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3. 72 Kostbarkeiten im Dunkel

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Auszug aus der Rede des Regierenden Bürgermeisters der Stadt Berlin Gert Uschkureit anlässlich der Leonardo da Vinci-Ausstellung im Gropius-Bau zu Berlin im Juli 2007

Als Regierender Bürgermeister von Berlin begrüße ich zur Eröffnung der Ausstellung Leonardo da Vinci: Anatomie

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Meine sehr verehrten Damen und Herren

Eine Leonardo da Vinci – Ausstellung ist auch für das mit kulturellen Höhepunkten verwöhnte Berlin ein Ereignis der Kategorie A. Ein solches Ereignis bedarf einer jahrelangen Vorbereitung und einer perfekten Logistik, was wir hier in Berlin aber beherrschen wie sonst nur noch wenige Städte in der Welt. Für das Zustandekommen dieser Ausstellung sind wir zu großem Dank verpflichtet zuallererst der Leihgeberin, Ihrer Majestät, der Königin von England Elisabeth II., aus deren Sammlung die kostbaren Zeichnungen von unschätzbarem Wert stammen. Als den Stellvertreter Ihrer Majestät begrüße ich deshalb besonders herzlich den Botschafter des Vereinigten Königreichs, seine Exzellenz Sir Baldwin Thurnball.

Ebenso herzlich begrüße ich die Sponsoren dieser Ausstellung, ohne die ein solches Ereignis niemals zustande kommen könnte. Als Repräsentanten der Deutschen Bank begrüße ich den Vorstandsprecher Herrn Dr. Geerschund und vom Konzern Gazprom den Aufsichtsratvorsitzenden Herrn Gregory Intalerow.

Es steht mir nicht zu, hier einen inhaltlichen Vortrag zum Thema zu halten – das wird nachfolgend Frau Dr. Marga Schiefmann-Wüllner tun – aber gestatten Sie mir ein Wort, das meiner ganz besonderen Wertschätzung dieses Künstlers Ausdruck verleihen soll.

Wenn auf einen Künstler der Begriff Universalgenie Anwendung finden darf, dann steht dieser unangefochten an der Spitze. Den ganzen Leonardo kann kein Museum der Welt präsentieren, weil das Werk zu vielfältig und, alle Teile gezählt, viel zu umfangreich ist. Der Versicherungswert wäre zudem so astronomisch hoch, dass sich ein solches Unternehmen finanziell einfach nicht darstellen ließe. Wir bescheiden uns hier also auf allerhöchstem Niveau. Hatten wir hier in dieser Stadt vor 24 Jahren die Ausstellung über die ihrer Zeit weit voraus gedachten Erfindungen Leonardos, so liegt der Schwerpunkt dieser Ausstellung auf Leonardos Anatomie-Zeichnungen. Nie zuvor ist mit solcher Intensität, aber auch dem Mut zum Risiko, ein solches Werk begonnen worden – ja Leonardo hat als Künstler mit seiner bahnbrechenden Leistung der Wissenschaft einen Weg gewiesen. …….

Frieder Kohoutek kannte die eigene stereotype Choreographie von Ausstellungseröffnungen berufsbedingt gut genug, ob Leonardo in Berlin gezeigt wurde oder ein lebendes Exemplar seiner Zunft in der Provinz. Meistens wurden so viele wichtige Leute begrüßt, dass den Gästen schon die Augen zufielen, bevor sie das erste Bild gesehen hatten. Die Höchststrafe war dann eine wissenschaftliche Einführung in das Thema von einem hochrangigen „Kunsthysteriker“.

Nachdem Schall und Rauch sich verzogen und Kleingruppen sich zum Small Talk auf der jeweils passenden Ebene gefunden hatten, gab es für die Interessierten endlich auch die Gelegenheit, die Ausstellung zu sehen. Schon übertrieben! Der Begriffsinhalt von Sehen war nur zum Teil erfüllt – zumindest ab Dioptrien plus/minus 2,5 und für Nachtblinde.

In die zentrale hohe Halle des Gropius-Baus hatte man eine Box eingebaut mit einem schwarz betuchten Eingang und einem ebensolchen Ausgang. Das gleißende Licht der Feierlichkeit noch auf der Retina, reagierte nicht der feinste Sehnerv auf die Welt hinter dem schwarzen Vorhang – oder zumindest dauerte es eine ganze Weile, bis sich das Auge auf die unerwartete Dunkelheit eingestellt hatte. Danach konnte man zwei Blöcke erkennen, in denen jeweils 24 Vitrinen standen, die in zwei Reihen zu je zwölf Stück Rücken an Rücken standen. Über jeder Vitrine schwebte ein Glühwürmchen stationär im Formationsflug mit 23 anderen. Unter leicht geneigten Glasscheiben, auf deren Innenseite jeweils oben rechts ein silbergraues Plättchen in der Größe einer Centmünze mit abgehendem Feindraht angebracht war, lagen die Unschätzbaren in Passepartouts, darüber wiederum ein feiner Filzrahmen in edlem Mausgrau. Die Wissenden mit ausreichender Sehkraft konnten nun eintauchen in die Aura des physischen Objektes – allen anderen hätte man auch Faxkopien anbieten können.

Wohl wissend, dass 500 Jahre alte Zeichnungen die nächsten 500 Jahre nicht aushalten würden, wenn bei jeder Ausstellung auch nur ein wenig zu viel Licht sie träfe, war Frieder Kohoutek dennoch etwas enttäuscht, weil er schon von Jugend an mit zwei Glasbausteinen auf der Nase herumlaufen musste und allein schon deshalb die Ausbeute für ihn hier ziemlich mager ausfiel.

Seinen Artikel hatte er ja schon nahezu fertig, inhaltlich sowieso, weil in der eigenen Bibliothek und auch in dem hervorragenden Katalog beste Reproduktionen und fein ziselierte Texte nur noch in Bausteine aufgeteilt und neu zusammengesetzt werden wollten. Außerdem hatte er im Kurator der Ausstellung Dr. Thomas Hagenau eine nie versiegende Informationsquelle. Der Mann wusste über Leonardo aber auch wirklich alles. Was noch fehlte, war der frische Glanz der großen Gala. Kohoutek hatte sich in die Materie eingelesen und war zurzeit in der Redaktion von ars longa der bestinformierte Mann zum Thema.

Frieder Kohoutek – Kohoutek wie der Komet – war einer von denen, die beim Sportabitur zwar viel langsamen Anlauf genommen hatten, aber dann vor dem Sprung über den Kasten doch lieber in Schockstarre verfielen. Über Barren oder Reck wollen wir lieber gar nicht erst reden. Wegen dieser Unsportlichkeit hatte sein Körper von 190 Zentimetern beim Stand von 38 Lebensjahren die Idealform der Birne angenommen. Die jüngste deutsche Geschichte hatte bewiesen, dass man auch damit zum Frauentyp werden konnte.

Damit war es dann aber doch nicht so weit her. Seine erste Ehe hatte er perfekt in den Sand gesetzt. Der zweite Versuch war der Triumph der Hoffnung über die Erfahrung. Sein Studium der Germanistik, Philosophie und Kunstgeschichte hatte er mit einem Doktortitel gekrönt, den er für seine Dissertation „Andrea Mantegna in Rom 1488/89“ cum laude erhielt. Es gab bisher keinen Grund anzunehmen, dass diese intellektuelle Schnecke von 105 Kilo Lebendgewicht bald auf die Überholspur wechseln würde.

Der rote Punkt

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