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Heuristische Funktion in der Modellbildung

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Metaphern erschliessen das Unbekannte im Lichte des Bekannten

Viele wissenschaftliche Begriffe wie etwa «Welle», «Kern» oder «Feld» aus der Physik erinnern an ihre Herkunft aus der Alltagssprache. Um dies zu verstehen, muss man an den Punkt ihrer Einführung in die Wissenschaft zurückgehen. Viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler berichten, dass sie ihre Entdeckungen bildlichen Vorstellungen verdanken, die ihnen das Unbekannte erschlossen, und so zu Modellen wurden. Ein klassisches Beispiel ist die Entdeckung der Struktur des Benzols durch den Chemiker Friedrich Kekulé (1829–1896). Kekulé erklärt, die Idee der kreisförmigen Struktur des Benzolmoleküls sei ihm im Halbschlaf gekommen, als ihm das Bild einer Schlange, die sich in den Schwanz biss, erschien. Von dieser Bildhypothese ausgehend habe er dann das Modell der Kreisstruktur des Benzolmoleküls formuliert, das sich anschliessend experimentell bestätigen sollte.

Auffällig an diesem Vorgang ist das Muster der metaphorischen Übertragung, das ihm zu Grunde liegt: Das Unerforschte (Benzolstruktur) gewinnt Gestalt im Lichte des Bekannten (Schlange), das als «Filter» (Black) das Forschungsfeld strukturiert. Die Metapher (Schlange) liefert die Leitvorstellung, unter der ein Gegenstand (chemisches Phänomen) interpretiert wird. Die Metapher bleibt als Kern im Modell (der ringförmigen Benzolstruktur) enthalten.

Der metaphorische Entdeckungsvorgang besitzt folgende logische Struktur: Das für den Bildspender charakteristische Aussagesystem (Blacks System von assoziierten Gemeinplätzen: hier die Schlange) gibt in seinen Implikationen ein Modell ab für die dem Untersuchungsgegenstand (Bildempfänger: hier chemisches Phänomen) unterstellten Zuschreibungen. Der Untersuchungsgegenstand wird verstanden in Analogie zum Modell. Mit dem Modell stellt sich die Frage, worin sich Bildspender und Bildempfänger gleichen (positive Analogie: z.B. Kreisform der Schlange) und worin sie sich unterscheiden (negative Analogie: z.B. ihre Giftzähne). Modelle sind kontrollierte metaphorische Übertragungen von Merkmalen (Denotationen, Konnotationen, Assoziationen) des Bildspenders auf die zu erklärenden Gegenstände. Man kann auch sagen, sie sind explizite, dem Gegenstand adäquate Metaphern.

Metapher als Spitze eines untergetauchten Modells

Nach Max Black ist jede Metapher «die Spitze eines untergetauchten Modells», das im wissenschaftlichen Modell noch genauer ausgeführt wird (Black 1977, S. 396). Die Kraft der Metapher, Ungeklärtes in Begriffen des Bekannten vor Augen zu führen, macht sie zum unverzichtbaren Denkmittel des Forschens. Der ihr eigene Als-Ob-Vorbehalt kommt ihr hierbei zustatten: Die Metapher sagt nicht, wie die Dinge sind, sondern wie sie sein könnten, trägt also den Charakter einer Hypothese. Mary Hesse definiert Entdeckungen als «metaphorische Neubeschreibungen» (Hesse 1966 und Debatin 1996). Die oben genannten Beispiele (Welle, Kern, Feld) zeigen, dass diese Neubeschreibung häufig den Weg über metaphorische Anleihen aus der Alltagswelt nimmt; manchmal werden Metaphern aber auch aus anderen Wissenschaftsbereichen bezogen (z.B. Informatik → Psychologie).

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