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Kapitel 18
ОглавлениеSteffi erwachte am nächsten Morgen ziemlich gerädert, weil die Matratze die Eigenschaft gehabt hatte, immer wieder die Schlafenden in die Mitte rollen zu lassen. So genossen sie zwar viel Körperwärme, aber wenig geruhsamen Schlaf.
Das Frühstück in der guten Stube wurde ihnen von der Hausherrin serviert, die sich als sehr nette englische Lady mit viel Unterhaltungswert herausstellte. Sie war die Mutter des jungen Mädchens, das, wie sie ihnen erzählte, jeden Morgen nach London fuhr, wo es in einer Bank lernte. Ihr Mann dagegen arbeitete auf einer der Fähren, die zwischen Dover und Calais verkehrten.
Dann wollte sie über die Pläne der beiden wissen und war höchst entzückt, als sie von der geplanten Route erfuhr. Sie genossen das Gespräch mit der Lady ebenso wie das reichhaltige englische Frühstück und brachen später als geplant, aber trotz schlechtem Schlaf mit guter Laune auf.
Eine gute Stunde später parkten sie vor dem alten Backsteingebäude am Rande von Portsmouth, wo Birgit während ihrer letzten Tage als Campbetreuung untergebracht gewesen war, ebenso wie ein Dutzend anderer Studenten aus aller Welt.
Zu ihrer Überraschung stellten sie fest, dass Henno schon vor ihnen angekommen war. Er saß mit Birgit in der Eingangshalle. Beide strahlten augenscheinlich vor Glück und unterhielten sich temperamentvoll. Steffi blieb an der Tür stehen und beobachtete sie. Nach dem Erlebnis mit Claire Marie war sie sehr in Zweifel geraten, ob diese Beziehung in Ordnung war. Doch was sie jetzt sah, war ein Paar, das einfach zusammengehörte.
Als Birgit aufblickte und sie sah, sprang sie mit einem Jubelschrei auf und fiel Steffi um den Hals.
„Ich freue mich so euch zu sehen“, rief sie. „Henno hat mir schon einiges von eurer gemeinsamen Reise erzählt, aber jetzt seid ihr endlich alle da.“
Steffi schob sie ein bisschen zurück, um sie zu mustern.
„Der Aufenthalt hier scheint dir gut bekommen zu sein.“
„Ach was, Urlaub war das bisher wahrhaftig nicht! Es wird Zeit, dass wir gemeinsam was unternehmen können.“
Während sie zu Volker eilte, um auch ihn zu begrüßen, kam Henno auf Steffi zu und nahm sie in den Arm.
„Na, habt ihr die Zweisamkeit heute Nacht genossen?“ flüsterte er ihr ins Ohr.
Sie schaute ihn an, um zu sehen, ob er sich über sie lustig machte, und tatsächlich – er grinste sie frech an.
„Danke der Nachfrage“, versetzte sie kühl. „Wir wussten deine Rücksicht wirklich sehr zu schätzen.“
„Es war mir ein Vergnügen“, lächelte er doppeldeutig. Doch dann wurde er ernst. „Wir haben Birgits Sachen schon ins Auto gepackt. Also wenn ihr fit seid, können wir starten.“
Der kleine Mini, der vor der Tür stand, war also Hennos Mietauto. Steffi hatte sich zwar vorgestellt, sie würden die Reise in einem Auto machen können, aber sie sah ein, dass es zu viert doch sehr eng wäre für zwei Wochen in Volkers R4.
Die Reise wurde ein tolles Erlebnis. Zwar brauchte Steffi einige Tage, um Claire Maries Bild aus dem Kopf zu bekommen, aber Birgit war so glücklich und Henno so liebevoll, dass dieser Vorfall immer mehr verblasste.
Auch Volker genoss die Tage, das musste einfach anstecken. Mit dem Wetter hatten sie ebenfalls Glück, und es gab so viel zu sehen und zu entdecken, dass kein Platz für trübe Gedanken blieb. Stonehenge, Plymouth, die wunderbare Küsten- landschaft, St. Michael Mount, Bath, Bristol, Cardiff, Swansea, Stratford-upon-Avon, Oxford, London und schließlich noch ein Abstecher nach Canterbury – eine gesunde Mischung aus Kultur, Sport und Bummeln.
Doch auch die schönste Reise geht zu Ende. Am vorletzten Tag meinte Henno:
„Ich habe für Birgit und mich schon ein Zimmer reserviert für die letzte Nacht. Dazu müssten wir bis Hastings fahren. Falls euch das Recht ist, könnte Claire Maries Oma bei einer Bekannten nachfragen, ob diese ebenfalls ihr „Bed and breakfast“-Zimmer frei hat. Die Hauptsaison ist vorbei, es dürfte kein Problem sein unterzukommen.“
Sofort hatte Steffi wieder die Bilder vor Augen: Henno kommt mit Claire Marie zum Auto, Henno mit ihr auf dem Rücksitz, der Abgang der beiden vor der Autoleasing-Firma und alles in dieser eigenartigen Vertrautheit… Sie musterte Birgit neugierig, konnte aber nichts aus deren Miene entnehmen.
„Du kennst Claire Marie?“ fragte sie schließlich.
Birgit schüttelte den Kopf.
„Nein, aber Henno hat mir von ihr erzählt. Muss eine interessante Person sein.“
„Und wie“, dachte Steffi verärgert und schaute zu Henno hin. Der beobachtete sie, wobei ein eigenartiges Lächeln um seinen Mund spielte. Rasch schaute Steffi wieder weg und suchte Volkers Blick.
„Was meinst du?“
„Mir soll`s Recht sein, wenn wir uns die Zimmersuche erleichtern können“, meinte dieser pragmatisch.
„Ist Claire Marie denn noch bei ihrer Oma?“ wollte sie schließlich wissen, nur um etwas zu sagen.
„Wahrscheinlich nicht“, gab Henno zur Antwort. „Sie macht immer nur kurze Stippvisiten bei ihr. Wenn es klappt, findet sie recht preiswerte Wege für die Überfahrt, wie du ja mitgekriegt hast. Davon macht sie die Besuche bei ihrer Großmutter abhängig. Ihre Familie wohnt nämlich bei Calais.“
Damit war das Thema erschöpft, obwohl Steffi gerne noch mehr erfahren hätte. Aber sie wollte nicht neugierig erscheinen. Wahrscheinlich hatte sie sich in Hennos Augen eh schon lächerlich gemacht mit ihrem Misstrauen. Und wenn Birgit von der Existenz dieses Mädchens wusste und keines hegte, dann war es ja wirklich unnötig, dass sie etwas hinter der Sache suchte, was gar nicht da war!
Als sich später die Gelegenheit zu einem Vieraugengespräch mit Birgit ergab, erfuhr sie doch noch ein bisschen mehr. Claire Marie Owell war die Tochter eines Engländers und einer Französin, wobei die Ehe nicht allzu lange gedauert hatte. Der Vater ging zurück nach England, doch sie hatte eine besonders innige Beziehung zu dessen Mutter entwickelt und nutzte deshalb jede Gelegenheit, sie zu besuchen.
„Findest du das nicht leichtsinnig, sich immer bei wildfremden Leuten zu einer Überfahrt zu verhelfen?“ wunderte sich Steffi, was Birgit mal wieder zum Lachen brachte.
„Du bist einfach zu behütet aufgewachsen. Wenn man nicht viel Geld hat, muss man eben auch mal ein Risiko eingehen, um was zu erreichen. Glaube mir, ich würde das genauso wie dieses Mädchen machen.“
Ob Birgit auch noch so gelassen wäre, wenn sie die Beiden erlebt hätte? Aber jetzt wollte Steffi wirklich nicht weiterbohren. Wahrscheinlich hatte sie nur eine falsche Vorstellung von Partnerschaft und Liebe – alles viel zu idealistisch! Sie konnte froh sein, dass Volker nur für sie da zu sein schien.
Und doch nagte es an ihr. Sie konnte zwar volles Vertrauen in ihn setzen, aber irgendetwas fehlte in ihrer Beziehung. Richtige Liebe sollte sich einfach anders anfühlen, nicht so selbstverständlich, dafür mit mehr Leidenschaft und Kribbeln im Bauch! So, wie sie es bei Henno und Birgit beobachtete.
Claire Maries Oma lebte in einer typischen englischen Reihenhaussiedlung und hatte tatsächlich im Nachbarhaus ein Zimmer für Steffi und Volker organisiert. Sie begrüßte Henno wie einen alten Bekannten und bestand darauf, dass Steffi und Volker am nächsten Morgen zum Frühstück zu ihr kämen - das sei sie Claire Maries Freunden schuldig! Steffi war beeindruckt von soviel Herzlichkeit und bekam geradezu ein schlechtes Gewissen wegen ihrer Verdächtigungen. Jetzt genoss sie einfach die Situation. Auch Volker fühlte sich sichtlich wohl.
Nachdem sie ihre Sachen in den Zimmern abgestellt hatten, fuhren sie gemeinsam zu der Leasingfirma, um das Auto abzugeben und anschließend in einem kleinen Inn noch ein letztes englisches Abendessen zu sich zu nehmen. Noch einmal ließen sie die Eindrücke der Reise aufleben und waren übereinstimmend der Meinung, dass sie ein voller Erfolg war.
Abschließend machten sie einen kleinen Strandbummel. Birgit und Volker suchten Muscheln, während Henno und Steffi sich mehr dem Sonnenuntergang widmeten. Plötzlich nahm er ihren Arm, was einen eigenartigen Schauder in ihr hervorrief.
„Und“, fragte er, „bist du zufrieden mit dem Verlauf?“
Verwundert schaute sie zu ihm hoch.
„Es war eine tolle Reise. Wieso sollte ich nicht zufrieden sein?“
Er lachte leise in sich hinein, was ihr wie schon oft das Gefühl vermittelte, er könne bis in ihr Innerstes sehen.
„Weißt du, ich werde das Gefühl nicht los, dass du glaubst, ich hätte es mit Claire Marie im Hause ihrer Großmutter getrieben. Könntest du dir das wirklich vorstellen?“
Steffi wand sich vor Verlegenheit.
„Wie kommst du denn auf so etwas?“
„Ich sehe dir das an der Nasenspitze an. Aber ich bin dir dankbar, dass du deinen Verdacht für dich behalten hast. Birgit legt nämlich viel Wert auf deine Meinung.“
Sie spürte, wie eine unangenehme Hitze in ihr hochstieg. Bestimmt war sie über und über rot geworden.
„Es tut mir Leid, wenn ich so überspannt reagiert habe. Aber dein Auftritt bei der Überfahrt- ach, ich weiß auch nicht, was ich mir dabei gedacht habe!“
„Ich bin halt ein netter Mensch, Steffi, und das beschränkt sich nicht nur auf Birgit. Aber sie ist der wichtigste Mensch in meinem Leben, das kannst du mir glauben.“
Jetzt kamen Volker und Birgit lachend zurück und zeigten ihre Ausbeute. Steffi war froh, dass das Zwiegespräch dadurch unterbrochen wurde und sie keine Antwort mehr geben musste.Sie bewunderte nur zu gerne die Muscheln, die die beiden als letztes Souvenir mit nach Hause nehmen wollten und füllte noch eine Plastiktüte mit Sand, um später alles stilgerecht als Deko in einer Glasschale aufbauen zu können.
Bei dem gemeinsamen Frühstück am nächsten Morgen setzte Claire Maries Großmutter sich zum Schluss noch kurz zu ihnen und unterhielt sie auf eine so reizende Art, dass Steffi sich richtig schäbig vorkam, dass sie überhaupt auf negative Gedanken in Bezug auf ihre Enkelin gekommen war. Mistress Owell war vor allem dankbar, dass es immer wieder nette Menschen gab, die durch ihr Entgegenkommen dieser eine günstige Möglichkeit boten, sie zu besuchen.
Der Abschied von der alten Dame war überaus herzlich. Dann machten sie sich mit einem bis obenhin gepackten R4 zu viert auf den Weg zur Fähre, wobei Henno und Volker die vorderen Sitze nutzten und Birgit und Steffi sich auf die Rücksitze quetschten. Aber sie hatten ja auch viel zu bereden!