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Kapitel 2

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- Oktober 1978 –

Die Koffer waren schwer – aber selten vorher hatten Steffi Beck und Birgit Werstner eine Last so gerne getragen. In drei Tagen sollte das Studium an der Pädagogischen Hochschule beginnen. Nun waren sie dabei, ihre Studentenbuden zu beziehen. Sie hatten bei der Zimmersuche unglaubliches Glück gehabt und ihre Zimmer im gleichen Haus und auch noch nebeneinander ergattert. Sozusagen das große Los für zwei Freundinnen, die seit der fünften Klasse unzertrennlich waren!

Birgit war die größere der beiden, schlank mit langen blonden Haaren und großen braunen Augen ein echter Blickfang. Sie war kontaktfreudig, strahlte ein ungeheures Selbstvertrauen aus und kam oft auf die verrücktesten Ideen, die sie durchaus auch auszuführen bereit war. Steffi war deutlich kleiner und etwas pummelig. Da sie sehr feines braunes Haar hatte, trug sie dieses kurz geschnitten, obwohl sie immer von einer langen Mähne geträumt hatte.

Aufgewachsen als sehr behütetes Einzelkind hielt sie sich meist zurück, bis sie in einer Gesellschaft auftaute. Doch wurden ihre einfühlsame Art und ihre Fähigkeit zum Zuhören von vielen sehr geschätzt.

Es war wohl auch genau diese Gegensätzlichkeit, die die beiden verband. Steffi war der ruhende Pol, und Birgit mit ihrer spontanen Art sorgte dafür, dass sie sich nicht zu sehr hinter Büchern vergrub.

Für beide war es der erste Schritt weg von zu Hause in die Freiheit – und sie waren entschlossen, diese voll zu nutzen und zu genießen!

Die ersten zwei Semester vergingen wie im Flug. Die beiden hatten einen großen Bekanntenkreis und wohl auch zuweilen einige heiße Flirts, doch ein „Traummann“ war für beide bisher nicht dabei gewesen. Ihre Freundschaft vertiefte sich noch, es gab kein Thema, das sie nicht gemeinsam erörtern konnten, keine Probleme, die sie nicht gemeinsam lösten und keine Geheimnisse.

In den Semesterferien fuhren sie gewöhnlich nach Hause. Birgit jobbte regelmäßig, da sie von zu Hause aus nur wenig Unterstützung erhielt, während Steffi sich mit Lesestoff aller Art eindeckte und auch noch mit ihren Eltern verreiste. Für letzteres fand sie wenig Verständnis bei Birgit.

Aber eine Woche verreisten sie auch gemeinsam, einmal zum Skifahren in die Alpen und einmal zum Baden nach Rhodos.

Zu Beginn des nächsten Semesters packten sie Steffis kleinen Polo, den ihre Eltern ihr zum 21. Geburtstag geschenkt hatten, und fuhren gemeinsam zu „ihrer“ Universitätsstadt. Birgit räkelte sich auf dem Beifahrersitz.

„Das ist schon sehr viel feudaler als mit dem Zug zu fahren und die ganzen Sachen zu schleppen“, meinte sie lachend. „Mir scheint, jetzt wird das Studentenleben richtig luxuriös.“

„Zumindest sind wir nicht mehr auf die Straßenbahn angewiesen, wenn wir nachts unterwegs sind“, fügte Steffi gutgelaunt hinzu.

„Ach ja, Nachtleben … Ich fürchte, ich muss auch ein bisschen mehr fürs Studium tun. Die haben mir einen Teil meines BAföGs gekürzt. Vielleicht jobbe ich samstags noch zusätzlich im Supermarkt. Die Arbeit an der Kasse wird ganz gut bezahlt.“

„Puh, das wird ja ganz schön hart für dich. Ich muss wohl echt dankbar sein, dass meine Eltern so großzügig sind.“

Birgit zuckte gleichmütig die Schultern.

„Dafür wollen sie dich auch regelmäßig im Kreise der Familie sehen. Ich bin schon ganz zufrieden damit, wie es bei mir läuft. Wir werden in jedem Fall viel Spaß haben.“

Steffi schwieg, denn da hatte Birgit einen wunden Punkt getroffen. Tatsächlich erwarteten ihre Eltern mindestens 14-tägig einen Besuch am Wochenende und bisher hatte sie noch nicht gewagt dagegen aufzumucken.

Birgit tat ihre Bemerkung schon wieder leid. Sie tätschelte den Arm der Freundin.

„Aber mach dir nichts draus. Wenn wir etwas Schönes unternehmen wollen, werden wir deine Eltern in diesem Semester entsprechend bearbeiten. Sie müssen irgendwann ja schon kapieren, dass du volljährig bist und eigene Interessen hast. Und die Semesterarbeiten fordern ja auch einen gewaltigen Arbeitsaufwand, den du zu Hause nicht leisten kannst.“

Inzwischen näherten sie sich ihrer Ausfahrt. Steffi konzentrierte sich verbissen aufs Ausfädeln und war froh, dass sie jetzt nicht antworten konnte. Auch Birgit äußerte sich nicht weiter zu dem Thema, da sie wusste, dass Steffi sich beim Fahren in der Großstadt noch nicht so sicher fühlte.

Zwanzig Minuten später hatten sie ihr Wohnhaus erreicht. In dem dreistöckigen Gebäude wohnten unten die Vermieter, die übrigen Räumlichkeiten, sechs Zimmer mit zwei Duschen,

waren an Studenten unterschiedlicher Fakultäten vermietet. Vor dem Haus war der Parkraum ziemlich begrenzt, aber Steffi hatte Glück und fand einen Platz, der nicht weit vom Eingang entfernt war.

Nachdem sie ihr Gepäck versorgt hatten, machten sie sich erst einmal auf den Weg zum beliebtesten Treffpunkt der Studenten, einer netten Kneipe mit dem treffenden Namen „Studiosusklause“. Hier hatten sich schon einige ihrer Kommilitonen versammelt. Nach einer herzlichen Begrüßung setzten sie sich zu den anderen und bestellten sich etwas zum Trinken.

„Habt ihr das mitgekriegt, dass einige nach der zweiten Dienstprüfung wieder nicht in den Schuldienst übernommen wurden?“ fragte Petra Müller, die mit Birgit im Sportseminar war. Das war ein Thema, das für die PH-Studenten ein ziemlicher Schock war. Während bisher für jeden Abgänger die Übernahme nach bestandener Prüfung eine sichere Sache gewesen war, gab es zwischenzeitlich Probleme, weil es nach jahrelangem Lehrermangel plötzlich zu viele Lehramtswärter gab.

„Das trifft aber nur bei Grund- und Hauptschullehrern zu“, versetzte Konrad Gock. „Bei den Realschulen gibt es noch genug Bedarf.“

„Na toll“, mischte Birgit sich ein. „Dann hast du ja genau das Richtige getan – wie immer natürlich! Und du übrigens auch“, wandte sie sich an Steffi.

Diese zuckte die Schultern. Das Thema war für sie noch zu abstrakt. Klar, sie hatte sich für ein Realschulstudium entschieden – aber im dritten Semester war der Abschluss doch noch so weit weg! Trotzdem entfachte das Thema eine heiße Diskussion über das Für und Wider eines PH-Studiums und die Überlegungen, was man im Falle eines Scheiterns mit der Ausbildung anfangen könne. Für viele war es eine Einbahnstraße ohne andere Perspektiven.

Einzig Birgit betrachtete die Angelegenheit gelassen.

„Wenn es mit dem Lehrerjob nichts wird“, meinte sie lässig, „dann werde ich die Herausforderung annehmen und ganz etwas anderes machen!“

Alle mussten lachen. Das war typisch Birgit. Und es war auch das Signal für einen Themenwechsel.

In diesem Moment öffnete sich erneut die Tür und Babs Mitsch, eine wegen ihrer hilfsbereiten Art sehr beliebte Kommilitonin, kam herein. Babs stammte aus sehr reichem Elternhaus, war aber nicht besonders attraktiv und kompensierte dies durch ein betont burschikoses Auftreten.

Ihr folgte lässig ein junger Mann, der allen unbekannt war. Aber was für ein Mann! Er war elegant gekleidet, was nicht so sehr in diese Kneipe passen wollte, großgewachsen und breitschultrig, hatte volles blondgewelltes Haar und leuchtend blaue Augen.

Steffi musste schlucken, als sie ihn sah. Aber offensichtlich verfehlte er seine Wirkung auch bei den anderen nicht, denn kurz stockte das Gespräch.

Babs schaute sich suchend um, dann kam sie strahlend an den Tisch der Clique, gefolgt von dem Fremden.

„Hallo, Leute. Schön euch wieder zu sehen! Das ist übrigens Henno. Er studiert ab diesem Semester hier Architektur, und da er noch niemanden kennt, dachte ich mir, ich bringe ihn einfach mit.“

Alle rutschten ein bisschen näher zusammen, um den beiden Platz zu machen, und Henno bedachte jeden mit einem ganz besonderen Lächeln und fand auch gleich Zugang zu der Unterhaltung. Seine Stimme war angenehm tief und sympathisch. Steffi konnte die Augen nicht von ihm abwenden und lauschte verzückt, wenn er sich zu diesem und jenem völlig unbefangen äußerte.

Birgit beteiligte sich lebhaft an den Gesprächen, während Steffi wie meist intensiv zuhörte und sich nur selten einklinkte. Doch dann hatte sie das Gefühl, dass sie von Henno jedes Mal besonders beachtet wurde, sei es durch einen anerkennenden Blick oder ein gewinnendes Lächeln. Allerdings reagierte er auch auf die anderen sehr aufmerksam.

Viel zu schnell war dieser Abend zu Ende und die beiden Freundinnen gingen vergnügt nach Hause, wo sie sich in Steffis Zimmer noch zu einem „Absacker“ zusammensetzen wollten.

Liebe ist kein Honigbrot

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