Читать книгу Tod im Schilcherland - Isabella Trummer - Страница 11

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Er sitzt auf einer Steinbank am Hauptplatz im Schatten eines Kastanienbaumes. Genüsslich leckt er sich das letzte Fett von den Fingern, knüllt den Papierteller um die Gabel und wirft beides in den Müllkübel neben ihm. Er ist sehr mit sich zufrieden.

Der Döner war wirklich schmackhaft, nein, er war saugut. Man muss halt öfter was Neues ausprobieren. Der Bertl wird schauen, wenn er ihm das erzählt.

Beingrübl zieht eine Schachtel Zigaretten aus der Jackentasche und steckt sich eine an. Entspannt lehnt er sich zurück und sieht den vorbeifahrenden Autos nach. Jaja, der Bertl. Der hat noch net viel Gutes in seinem Leben gehabt. Wie auch, mit solchen Eltern. Beingrübls Miene verfinstert sich.

Er hat mit seiner Resi nur eine Tochter gehabt. Die Laura war grad einmal vierzehn, als die Mutter von ihnen gegangen ist. Beingrübl hat getan, was er konnte, aber einen wirklichen Draht hat er zu seiner Tochter nie gehabt. Das Unglück hat mit dem Kerl angefangen, in den sich die Laura ein paar Jahre später verschaut hat. Beingrübl hat ihn von Anfang an nicht leiden können. A große Goschn, nix dahinter. Hat sich in den Wirtshäusern herumgetrieben und war bei jeder Rauferei dabei. Aber bei den Weibern hat er einen Schlag gehabt, so ist das ja oft.

Der Drecksack hat’s halt sein müssen, da haben all seine Warnungen nix genutzt. Nach der Heirat haben sie ein paar Monate bei ihm gelebt, aber es ist nicht lang gut gegangen. Streit und Tränen jeden Tag. Als sein Herr Schwiegersohn ihm Geld aus dem Schrank gestohlen hat, ist für Beingrübl Schluss gewesen. Er hat ihn aus dem Haus geschmissen, und die Laura ist mit dem Lumpen mitgegangen. Dabei war sie damals schon schwanger, was Beingrübl nicht gewusst hat. Beim Weggehen hat sie ihm unschöne Dinge an den Kopf geworfen, die er ihr bis heute nicht verziehen hat. Da hat er halt Nägel mit Köpfen gemacht, wie es so seine Art ist, und ihr nachgeschrien, dass sie sich nie mehr blicken lassen soll. Sie sei für ihn gestorben. Damit war das Thema Familie für ihn abgehakt.

In den folgenden fast achtzehn Jahren hat er sich um seinen Hof gekümmert, hat als Lkw-Fahrer Baustellen mit Schotter beliefert und seinen Schnaps gebrannt. Wenn die Rede auf seine Tochter gekommen ist, hat er sich mit den Worten »Ich hab keine Tochter« alle Fragen und Schwätzer vom Leib gehalten.

Bis vor ein paar Jahren. Da ist er bei seinem Nachbarn vorm Haus gesessen, und nach ein paar Schnäpsen hat der Nachbar erzählt, dass Beingrübl einen Enkel hat, der einen Großvater gut gebrauchen könnte. Er weiß bis heute nicht, warum er sitzen geblieben ist, aber er hat sich die Geschichte angehört.

Nach dem Rausschmiss waren Laura und ihr Mann in eine Gemeindewohnung in Voitsberg gezogen. Sie haben einen Sohn bekommen und ein Jahr später eine Tochter. Der Windhund von einem Schwiegersohn hat mehrmals die Arbeit verloren, er ist unzuverlässig gewesen, hat gesoffen und rumgehurt. Im Suff hat er Frau und Kinder verprügelt, bis die Zustände den Behörden zu Ohren gekommen sind. Mittlerweile konnte auch Laura das Elend nur noch ertragen, wenn sie zur Flasche gegriffen hat. Als die Leute vom Jugendamt vor der Tür gestanden sind, haben sie eine verwahrloste Wohnung vorgefunden, eine Mutter, die sich fast ins Koma gesoffen hatte, und zwei traumatisierte Kinder. Das Mädchen hat nie richtig sprechen gelernt und ist in eine Einrichtung gebracht worden, Bertl hat in einer betreuten WG gewohnt und eine Elektrikerlehre angefangen. Die Mutter ist in der Wohnung geblieben. Irgendwann hat ihr Mann sie so brutal verprügelt, dass ihr ein Hirnschaden geblieben ist. Ein paar Monate später ist sie vor einen Bus gelaufen und an den Verletzungen gestorben. Ob sie sich hat umbringen wollen oder ob es ein Unfall war, weiß keiner.

Ihr Mann ist ins Gefängnis gekommen und hat sich nach ein paar Wochen in der Zelle erhängt. Kein Verlust für die Menschheit. Beingrübls Enkelin hat auch nur mehr ein Jahr gelebt, ihr Herz hat versagt.

»Wenn du also noch was von deiner Familie retten willst, wäre jetzt die Gelegenheit dazu«, hat der Nachbar noch gemeint.

Er hat eine Nacht gebraucht, um das Richtige zu tun.

Am nächsten Morgen ist er zur Arbeitsstelle seines Enkels gefahren und hat ihm angeboten, bei ihm zu wohnen. Bertl hat zunächst zurückhaltend reagiert, misstrauisch fast, aber das hat den Beingrübl nicht beeindruckt. Er hat dem Buben klargemacht, dass er sich so die Miete sparen kann und auch sonst nichts zu zahlen braucht. »Ich red dir auch nix drein«, hat er noch gesagt.

Eine Woche später hat der Beingrüblhof zwei Bewohner gehabt.

Der Großvater hat sein Wort gehalten und den Buben nicht bedrängt. Große Reden oder Gefühlsduselei sind sowieso nie sein Ding gewesen. Langsam haben sich die beiden aneinander gewöhnt, keiner hat sich in den Tagesablauf des anderen eingemischt. Und mit der Zeit hat sich eine stille Zuneigung entwickelt.

Über Bertls Eltern oder dessen schwere Kindheit haben sie bis heute kein Wort verloren.

Tod im Schilcherland

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