Читать книгу Tod im Schilcherland - Isabella Trummer - Страница 8
Zehn Jahre später 1
ОглавлениеAls der alte Beingrübl frühmorgens um fünf mühsam erwacht, deutet nichts darauf hin, dass dies sein letzter Tag auf Erden sein wird. Sonst wird er vom Hahn geweckt, der beim ersten Morgengrauen martialisch krähend seine Revieransprüche verkündet. Aber der hat heute kläglich versagt.
Als wollten sie das Versäumte wiedergutmachen, veranstalten die Singvögel im Obstgarten ein wildes Gezeter, das schließlich ins Beingrübl’sche Bewusstsein dringt. Ächzend wälzt er sich aus dem Bett, die Beine voran, damit er nicht schon am Beginn des Tages mit seinem Ischiasnerv auf Kriegsfuß steht. Langsam bringt er seinen Oberkörper in eine aufrechte Position. Suchend fahren seine nackten Füße über den Boden, bis sie die Schlapfen gefunden haben.
Seinen Schlafanzug hat er auch schon mal besser ausgefüllt. Aber was willst du machen: Im Alter wird man halt immer weniger. Er schlurft in die Küche, füllt Wasser und Kaffee in die Filtermaschine und deckt den Tisch. Er versucht, beim Hantieren leise zu sein, damit der Bub noch ein bissl schlafen kann. Die Jugend kommt ja morgens kaum aus dem Bett – auch so was, das sich im Alter verflüchtigt.
Beingrübl setzt sich an den Tisch und holt zwei Scheiben Brot aus der Verpackung. Er riecht dran und schüttelt den Kopf. Kein Vergleich zum selbst gebackenen Brot seiner Resi. Damals hat das Brot nach Getreide, Gewürzen und Erde gerochen. Das maschinell hergestellte Zeug heutzutage riecht nach gar nichts. Er muss schlucken, als er an den würzigen Geschmack echten Bauernbrots denkt. Und erst die Kruste! Aber das ist lang her. Seine Resi ist viel zu früh von ihm gegangen.
Er hat kein zweites Mal geheiratet. Wozu hätte das gut sein sollen? Er hat es hinter sich gebracht, das Gute wie das Schlechte. »Die Stationen des Lebens«, wie der Pfarrer bei Hochzeiten, Taufen und Beerdigungen immer so blumig sagt. Beingrübl hat seinen Teil abbekommen: eine Zeit lang ein bissl Glück, danach jahrelang Kummer, Ärger und Enttäuschung. Vielen Dank dafür. Bitter und zynisch ist er geworden, das weiß er selbst. Und er traut niemandem mehr. Eins steht fest: Der Mensch ist nicht gut, kein Stück. Da kann der Pfarrer sagen, was er will. Und je mehr einer hat, desto mehr muss man vor ihm auf der Hut sein.
Fast sechs.
Zeit, den Buben zu wecken.
»Soll ich uns heut was kochen, Bertl?«
Beingrübl weiß selbst, wie großspurig das Angebot klingt. Er bekommt höchstens eine Eierspeis, Würstel oder eine Suppe hin. Salat geht auch noch. Aber seine Kochkünste haben schon hie und da ihren Zweck erfüllt, wenn der Bub spät von der Arbeit gekommen und zu müde gewesen ist, in ein Gasthaus zu gehen.
»Nein, Opa, das braucht’s net. Keine Ahnung, wann ich heut nach Haus komm. Wird wahrscheinlich spät werden.«
»Auch gut. Ich hab heut noch a Auslieferung.«
Der junge Mann kneift grinsend ein Auge zu. »Irgendwann erwischen s’ dich.«
»Man muss halt aufpassen, wen man als Kunden hat.«
Bertl hebt in gespielter Resignation die Schultern und geht zur Tür.
»Ist eh zwecklos, was zu sagen. Servus, du altes Schlitzohr.«
Beingrübl schaut seinem Enkel durchs Fenster zu, wie der den alten Toyota wendet und davonfährt.
Passt, denkt er.
Heut hat er viel vor. Da ist es schon gut, dass er den ganzen Tag seine Ruhe hat.
Was er macht, davon braucht Bertl nichts zu wissen.