Читать книгу Dort, wo der Mond liegt - Iselin C. Hermann - Страница 11
ОглавлениеEs wurde Grün, aber ich merkte es erst, als der Wagen hinter mir in mich hineinfuhr. Es gibt überhaupt keine Verbindung mehr zwischen der Welt und mir. Ich bin in schallisolierendes Plastikmaterial eingepackt. Ich denke die ganze Zeit an sie, kann jedoch nicht genau dechiffrieren, was ich denke. Ich sehne mich ununterbrochen nach ihr, kann jedoch nicht sagen, wonach ich mich sehne, und ich weiß, selbst wenn sie zurückkäme, würde es nicht mehr das gleiche sein.
Ich war auf dem Weg zum Zahnarzt und wollte gerade noch über die Kreuzung, dann zum Parkplatz, oder richtiger: dann wäre ich beim Parkplatz gewesen. Als ich zum letzten Mal beim Zahnarzt war, da war es Frühjahr. Jetzt ist es Winter. Als ich zum letzten Mal beim Zahnarzt war, war die Welt eine andere. Wir hatten uns hinterher zum Lunch verabredet, aber als ich fertig war, mußte ich sie mit dem Mund voller Amalgamkrümel anrufen und absagen. Wie wäre es mit einem Glas kaltem Wasser im Central Park? Wir schwänzten alle beide, die Bäume leuchteten vor Frühling. Sie hatte wirklich zwei kleine Flaschen Perrier gekauft, und wir setzten uns auf eine Bank. Der Erpel verbiß sich im Nacken der Ente und drückte sie unter Wasser. Für Außenstehende sehen Paarungsspiele immer gewalttätig aus. Sie fragte mich, ob ich wisse, daß Enten monogam seien. Das wußte ich nicht. Ich glaubte es auch nicht, freute mich aber, daß sie es sagte.
Ich war verrückt nach ihr, wenn sie nur nicht immer mit ihrem Gerede vom Nahen Osten angefangen hätte. Und es verfehlte nie seine Wirkung: Wenn wir in einem Restaurant saßen und bei einem Drink auf das Essen warteten oder wenn Spannung in der Luft lag, fing sie damit an. Der Nahe Osten kam wie ein Schutzwall, jedes Mal. Und sie wußte, daß es mich aufbrachte, vielleicht war das ihre Absicht. Vielleicht war ich auch überempfindlich. Aber ich wußte, daß dieser Teil des Nahen Ostens für mich verschlossen ist, und ich wußte, daß ihre Entsendung dorthin mich ausschließen würde. Warum zum Teufel machte sie weiter?
Als ich zum letzten Mal beim Zahnarzt war, mußte ich im Schneideraum anrufen und ihnen weismachen, daß es eine größere Operation gewesen sei. Wir gingen an diesem Tag beide nicht mehr zur Arbeit. Ausnahmsweise kam sie erst hinterher auf den Nahen Osten zu sprechen. Der Streit war um so schlimmer, weil wir uns nicht in der Liebe versöhnen konnten. Ich war bedrückt. Als ich zum letzten Mal beim Zahnarzt war, da war immerhin noch alles offen und möglich.
Es gibt Orte in der Stadt, die mich immer an sie erinnern werden. Orte, die nie wieder sie selbst oder neutral werden können. An einem Herbstabend an der Brooklyn Bridge steckte sie ihre Hand in meine Tasche, und als wir uns gerade kennengelernt hatten, küßten wir uns unter jeder einzelnen Straßenlaterne am Washington Square. In das Latino Café gehe ich überhaupt nicht mehr, es tut zu weh, aber meinen Zahnarzt will ich doch nicht wechseln. Ich wollte nur noch über die Kreuzung, dann wäre ich da gewesen, aber ich muß in Gedanken gewesen sein, und der hinter mir fuhr auf mich auf. Ich muß mir einen neuen Termin bei dem blöden Zahnarzt geben lassen.
Am Ende faßten wir uns überhaupt nicht mehr an, aber dann, ein paar Tage bevor sie abfuhr, berührte ich ihre Wange und wußte, es könnte immer noch gehen, wenn ich sie nur fahren lassen würde. Wir saßen im Latino, die anderen Gäste saßen dicht neben uns, die Mäntel dampften vor Feuchtigkeit, zwischen den Tischen war viel zu wenig Platz. Sie schaute mich immer nur an, ohne etwas zu sagen. Sie war traurig. Ich sah, daß ihr die Tränen in den Augen standen und daß sie deshalb nichts sagte. Ihre Wange war warm an meiner Handfläche, ihre Augen flossen über. Was sie dann leise zwischen den Tränen sagte, tat in diesem Moment noch nicht weh, Wort für Wort schnitt sie mit der Schärfe eines Skalpells Platz für die Verzweiflung, die erst hochkam, als sie schon wieder im Untergrund verschwunden war:
»Ich habe dich geliebt und hätte nie gedacht, daß es enden würde.«
Am Abend, als wir uns wiedersahen, war sie nicht mehr verletzlich, es gab keine Tränen mehr zu trocknen, sie hat Sommerkleider aus den Schränken herausgesucht, was mich nur geärgert hat. Ich war wütend und ging ins Bett, ohne einen Laut von mir zu geben.