Читать книгу Dort, wo der Mond liegt - Iselin C. Hermann - Страница 22

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Die Zeitung giert nach Stoff. Vom Hotel aus kann man keine E-Mails versenden, aber ich habe ein Internetcafé gefunden, da funktioniert es, auch wenn die Übertragung so lange dauert, als müßten die Signale einmal um den Mond reisen. Man hat das Internet hier erst zugelassen, als man sicher war, sich in die privaten Mails der Leute einloggen und sie lesen zu können. So ist es eben. Das Internetcafé liegt im zweitobersten Stockwerk eines Hauses, das als Wolkenkratzer geplant war. Aber das Geld war beim vierten Stockwerk zu Ende. Eine Außenwand besteht aus einer Plane, das Ganze erinnert mich an »Blade Runner«. Der Anschluß Syriens ans Internet ist ein Grund für die geringe Arbeitslosigkeit. Der tolpatschige, entfernte Verwandte muß das Geschäft auskehren, der etwas pfiffigere fängt die Touristen vor der Tür ein, während der gescheiteste von allen in irgendeiner dunklen Ecke sitzt und Unanständigkeiten aus dem Netz fischt.

Neben mir saß ein Japaner und mailte in seiner Sprache, während ein Schwede in seiner schrieb. Wie die Tasten mit lateinischen Buchstaben zu japanischen Schriftzeichen werden, ist mir ein völliges Rätsel. Ob sie wohl für alle Sprachen Netzfischer haben? Ich weiß bald nicht mehr, was man glauben soll, und werde mir auf jeden Fall bewußt sein, daß es passiert. So ist es nun mal. Ich sehe es richtig vor mir, wie meine Artikel geradewegs in die aufgestellten Aalreusen schwimmen. Ich wage es nicht, in den Mails an die Zeitung allzu direkt über die Verhältnisse hier zu schreiben, ich skizziere in groben Zügen die ersten Artikel, die ich im Kopf habe, und bitte um Rückmeldung. Es ist nur ein Versuchsballon. Ich weiß nicht, ob ich überhaupt vorhabe, irgendwelche Artikel zu schreiben. Es kommt mir so unwirklich vor, daß am anderen Ende des Kabels tatsächlich Menschen sind, Menschen, die nach Stoff für eine Zeitung gieren, die täglich erscheint, neun Stunden nachdem der Muezzin zum ersten Gebet gerufen hat. Ich sehe vor mir, wie der ganze amerikanische Kontinent kurz vor Sonnenaufgang mit einem lauten Gurgeln in den Atlantik taucht, hinunter zu den Kabeln und Aalreusen. Glucks, und weg ist er, der Stille Ozean kommt dem Atlantik brausend entgegen, wie eine weiße Reiterarmee. Ich sitze vor einem Bildschirm in einem unvollendeten Betonhaus in der Levante und stelle mir den Untergang meines Vaterlands vor. Ich weiß schon, ich weiß schon! Ich kann mich eben nur nicht auf eine bestimmte Zeilenzahl, Zwischenüberschriften und Stoffmenge einstellen. Weil Deadlines und die Kommentare eines gestreßten Redakteurs völlig inkompatibel sind mit Damaskus und dem Suq, verschleierten Frauen und einem Vormittag, der zerrinnt und zum ganzen Tag wird.

Die einzige Geschichte, die ich vielleicht schreiben könnte, erwähne ich nur unter »eventuell«: Interview mit einem modernen Sufi-Musiker.

Jameel Ayobi hat die traditionelle, klassische Sufi-Musik irgendwie in die Popsphäre transportiert. Er hat die klassische Oud an den Verstärker angeschlossen, das Saiteninstrument mit einem Korpus wie eine Wassermelone und einem breiten Hals, der beim drittletzten Halswirbel nach hinten abknickt. Er ist unglaublich populär, man hört seine Musik überall. Deshalb ist er angeblich sehr scheu, und man bekommt nur schwer ein Interview mit ihm. Das weckt die Journalistin in mir, deshalb ist es die einzige Geschichte, die ich mir vorstellen könnte zu schreiben. Wenn ich sie unter die Überschrift »eventuell« gesetzt habe, dann deshalb, weil ich mich nicht drängen lassen will.

Dort, wo der Mond liegt

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