Читать книгу Dort, wo der Mond liegt - Iselin C. Hermann - Страница 5

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Sie stellte mich immer als ihren Mann vor, obwohl wir nicht verheiratet waren. Schon als wir uns das erste Mal trafen, wußte ich, daß es ernst war.

Es ist eine dunkle Nacht ohne Mond, und ich kann nicht schlafen. Dort drüben bei Samia ist es schon morgen. Sie ist neun Stunden vor der amerikanischen Zeitrechnung und fast einen halben Tag weiter als ich. Die Tage und Nächte sind neu und unverbraucht, wenn sie zu ihr kommen, die Sekunden, die sie heute morgen eingeatmet hat, sind verbraucht, wenn sie zu mir herüberkommen. Die Zeit kommt wie eine frische Brise über die Levante, dort, wo die Sonne aufgeht, dort, wo sie ist. Um sie ist es hell, und seit vorgestern, seit wir uns verabschiedet haben, bin ich wie von Dunkelheit umgeben. Die Sekunden werden zu Minuten, die Minuten zu Stunden. Ich schaue zu, wie die Zeit vergeht, rot und leuchtend neben dem Bett, rote Zahlen, die goldene Sekunden waren, heute morgen auf der anderen Seite der Erde. Sekunden, die sie mit Handlungen und Erlebnissen gefüllt hat und die jetzt nur gleichgültige, eckige Zahlen sind. Selbst die weiblichste aller Zahlen besteht auf dem Display des Uhrenradios aus zwei übereinandergesetzten Vierecken; die Zeit macht ihre Arbeit neben meinem Bett. Unserem Bett. Bis vor drei Nächten lag sie hier neben mir in unserem Bett. Es ist lange her, daß wir uns geliebt haben, ein halbes Jahr vielleicht. Es muß im August gewesen sein, in dem Monat, in dem der Sommer die angestaute Hitze freigibt und in die herannahende Kälte des Herbstes vorstößt. In so einer Nacht war es, in der die Zukunft von außen herangerollt kam und mit einem gewaltigen Krachen in die Vergangenheit stieß und in der wir uns das letzte Mal liebten. Die Blitze erhellten ihr Gesicht, das unter mir ganz weiß leuchtete. Ich liebte und haßte sie gleichzeitig. Und ebenso heftig. Ich liebte sie, als diejenige, die sie war, und haßte sie für das, was sie wollte. Warum suchte sie sich ausgerechnet ein Land aus, das mir die Einreise verweigert? Ein Land, das im Krieg mit Israel liegt und das nur im Notfall und unter großen Vorbehalten einer Person mit jüdisch klingendem Namen ein Visum gibt? Ich kann das nur als eine Entscheidung gegen mich sehen. Sie wurde nicht von der Zeitung darum gebeten, es war ihre eigene Idee, sie hat der Zeitung vorgeschlagen, eine Serie über Intellektuelle in Syrien und im Libanon zu machen. Sie war wie besessen von ihrem Plan, wie verliebt. Sie sprach von nichts anderem mehr, las und interviewte Leute, die Kontakte dorthin hatten. Ich will überhaupt nicht daran denken, wie oft wir uns deshalb gestritten haben. Ich will überhaupt nicht verstehen, warum sie es macht. Ich will den Weg nicht finden, und ich weiß nicht, wie ich aus dieser Dunkelheit, die mich umgibt, herausfinden soll. Ich sehne mich nach ihr. Und ich bin wütend auf sie. Diese beiden Gefühle stoßen in mir aufeinander, wie bei einem Gewitter, deshalb kann ich nicht schlafen. Ein Elektrisiertsein und ein Zittern im Körper, wie wenn sie mir ins Ohr pustet.

Dort, wo der Mond liegt

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