Читать книгу Dort, wo der Mond liegt - Iselin C. Hermann - Страница 15

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Eine Lüge ist es erst, wenn man fragt und eine unwahre Antwort bekommt. Er hat mich nie belogen, A. S., denn ich habe nie gefragt. Aber er war anders, als ich mit Samia aus Amman nach Hause kam. Oder ist das einfach so, wenn man Eltern wird? Jetzt waren wir nicht mehr nur zu zweit.

Wir waren zu dritt. Und alles war anders. Tagsüber war er in der Botschaft, abends gab es immer öfter Empfänge und Veranstaltungen, die er besuchen mußte, und zu denen ich ihn nicht begleiten konnte. Ich stillte, und es war, als würde die Energie aus mir herausfließen. Ich fragte nicht, und ich bekam keine unwahre Antwort. Freitags, wenn er frei hatte, gingen wir im Tischrinpark spazieren. Zu mehr reichten meine Kräfte nicht. Erst dachte ich, es sei die Enttäuschung darüber, daß es ein Mädchen geworden war, und später wagte ich einfach nicht mehr zu fragen, ob er deshalb so abwesend war, denn ich wußte, daß er eine andere hatte. Ich hatte keine Beweise, ich hatte kein Telefongespräch von einem anderen Apparat aus mitgehört oder einen Brief an ihn geöffnet, so wie man es im Kino sieht. Er roch auch nicht nach einem anderen Parfüm oder hatte Lippenstift auf dem Hemd. Ich konnte es einfach wie ein sehr, sehr schweres Kissen spüren. Ich bekam keine Luft, konnte mich nicht rühren, nichts sagen. Ich war innerlich wie gelähmt. Der Arzt war besorgt, weil Samia so wenig zunahm, und verordnete Muttermilchersatz. Die Krankenschwester sagte, es sei nicht gesund, daß sie nachts zwischen uns im Bett lag. Sie sagte nicht, für wen es nicht gesund war. Er hatte eine andere. Erst sagte A. S., ich sei erschöpft und überspannt, aber dann kam die Diagnose schwere Geburtsdepression. A. S. wollte nicht die Verantwortung für mich übernehmen, er und der Arzt hatten Angst, daß ich mir und dem Kind etwas antun könnte. Wir wurden in eine Privatklinik verfrachtet, wo ich mit Medikamenten vollgestopft wurde. Je länger ich dort war, je mehr Medikamente sie mir gaben, desto tiefer wurde der Abgrund. Aber selbst in der Tiefe meiner Betäubung wußte ich, wie alles zusammenhing und daß er im Grunde nicht unzufrieden mit dem Arrangement war. Davon war ich krankhaft überzeugt. Jedes Mal, wenn er mich in der Klinik besuchte, konnte ich es an seiner Körperhaltung und seinem Verhalten sehen, seinem Blick oder richtiger, seinem nicht vorhandenen Augenkontakt. Seine Besuche waren eine eiskalte Klinge, die mich in weniger als einer Sekunde in zwei Hälften spaltete. Sie nannten es Geburtsdepression, und das Leben wurde nie mehr wie früher. Der größte Teil jenes Jahres liegt für mich im dunkeln.

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