Читать книгу Dort, wo der Mond liegt - Iselin C. Hermann - Страница 18

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Der Winter in Syrien ist kalt. Das Wetter ist sehr extrem. Wenn es regnet, dann öffnet der Himmel die Schleusen, und wenn es nicht regnet, wie heute, dann knallt die Sonne vom Himmel. Ich sitze auf meiner Terrasse, die so groß ist wie der Platz vor dem Rockefeller Center, als ich klein war. Alles im Orient Palace ist groß angelegt, in einem Befehlston ausgeführt, mit einem imperialistischen Unterton, um danach vergessen zu werden. Die Zimmermädchen laufen mit hellblauen Schürzen und einem Federbesen herum. Der Staubsauger ist hier noch nicht erfunden, glaube ich. Und was ist mit der Waschmaschine? Ich habe einen Plastikstuhl auf die Terrasse gestellt, und kaum habe ich meine Slips zum Trocknen aufgehängt, sind sie es schon. Zu Hause stehen sie mit Schlittschuhen vor dem Rockefeller Center.

Ich bin der einzige Tourist im Orient Palace und ein völlig fremder Vogel, buntschillernd, auch wenn ich mich gedeckt kleide. Meine beigen Hosen und das rosafarbene langärmelige T-Shirt ist eine Farborgie im Vergleich zu den schwarzen Gestalten, die durch die Gänge schweben. Sie kommen in altersschwachen Karawanenbussen, bis unters Dach vollgestopft mit Teppichen, Töpfen und Plastiktüten, die auf den Gehweg quillen, sobald die Tür geöffnet wird. Ich stehe auf der Terrasse und schaue ihnen beim Ausladen zu, auf dem Dach sind unzählige Bündel und unförmige Taschen festgeschnürt, sie stürmen in das Hotel, sie bringen ihre eigenen Pilgerköche mit und einen süßlich-sauren Kohlgeruch. Ich weiß nicht, ob es stimmt, daß Geld nicht stinkt. Aber ich weiß, daß Armut stinkt. Sie haben Proviant für eine Woche dabei, und ich glaube nicht, daß es Kaviar ist. Was immer es ist, ganz bestimmt ist es im Iran billiger, oder vielleicht haben sie es auch nur deshalb dabei, damit sie sich nicht der unangenehmen Erfahrung aussetzen müssen, etwas Neues zu versuchen. Merkwürdig, wie Armut und Konservatismus hier Hand in Hand gehen. Und wenn man bedenkt, daß Reichtum und Konservatismus das ebenfalls tun, ist es unbegreiflich, daß es noch andere politische Ismen auf der Welt gibt.

Gleich nach dem Frühstück beginnt der Pilgerkoch mit der Zubereitung der übrigen Mahlzeiten des Tages, und der unbestimmbare Geruch dringt durch die Halle. Die Frauen nehmen ihr Frühstück für sich ein, und die wenigen Männer, die dabei sind, sitzen an anderen Tischen. Wo sind nur die ganzen Männer? Sind sie im Krieg gegen den Irak gefallen? Bin ich von lauter schwarzgekleideten Witwen umgeben? Ich habe einen Tisch für mich und kann gar nicht aufhören, mich zu wundern. Ich esse mein kleines Brötchen, das grünliche Ei und die Aprikosenmarmelade ganz allein für mich und wundere mich dabei. Wenn ich auch einen Pilgerkoch hätte, würde ich im Orient Palace wohnen bleiben. Ich kann gar nicht genug bekommen von diesem Hotel: so elegant und heruntergekommen, so exponiert und verborgen wie die ganze Stadt. Aber ich kann hier nicht sieben Monate wohnen bleiben, ich muß etwas mit einer eigenen Küche finden, damit ich nicht jeden Abend in ein Restaurant gehen muß. Allein. Gestern war ich im »Alf laila wa laila«; »Thousand Nights and Night« steht unter dem grünen arabischen Neonnamen. Als ich um einen Tisch für eine Person bat, sah der Kellner mich bekümmert an. »Alleine? Warum?« Dann sitzt man da. Viel zu früh, weil mein Magen noch nicht weiß, daß er in einer anderen Zeit ist, und weil mir elf Uhr abends, ganz egal, wo ich mich befinde, sehr spät für das Abendessen vorkommt. Dann sitzt man da, versucht interessiert in seinem Buch zu lesen, während der Kellner und die drei anderen erkälteten Gäste einen mitleidig anschauen. Das halte ich auf Dauer nicht aus, ich muß also etwas anderes finden. Dann am liebsten auch mit Terrasse, Möbeln mit Perlmuttintarsien und dem Alte-Damen-Parfüm der Kriminalschriftstellerin. Ich würde am liebsten hier wohnen bleiben, es müßte auch kein Pilgerkoch sein, ich wäre schon für einen ganz normalen Koch dankbar, Hauptsache, er kocht die Eier nicht grün.

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