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1.Die Bestimmung der Leistungspflicht durch eine Vertragspartei oder einen Dritten, §§ 315–319

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149In Abkehr bzw. in Ergänzung des prinzipiell bestehenden Bestimmtheitsgrundsatzes hinsichtlich der Hauptleistungspflichten können die Vertragsparteien bei Vereinbarung ihres Schuldverhältnisses festlegen, dass der Leistungsgegenstand bzw. die Leistungsgegenstände nicht von ihnen gemeinsam festgelegt werden sollen, sondern von einer der beiden Vertragsparteien alleine oder von einem Dritten. An §§ 315 ff. sieht man besonders deutlich, wie weit das Bestimmtheitsgebot im Schuldrecht aufgeweicht ist. Den Parteien steht es insofern frei, im Rahmen ihrer Vereinbarung eine Bestimmung der essentialia negotii selbst offen zu lassen und allein das „Dass“ der Leistungsbestimmung festzulegen, nicht hingegen das „Wie“. Dem gesetzlichen Leitgedanken zufolge muss es im Rahmen der Vertragsfreiheit den Parteien möglich sein zu vereinbaren, sich der inhaltlichen Gestaltung nur einer der beiden Vertragsparteien oder sogar eines Dritten zu unterwerfen.195 Prinzipiell steht es den Vertragsparteien im Zuge ihrer Vertragsfreiheit offen, die Maßstäbe festzulegen, anhand derer die spätere Leistungsbestimmung erfolgen soll. Lassen sie diese Maßstäbe offen, richtet sich der Rahmen, an denen sich der die Leistung bestimmende Vertragspartner oder Dritte halten muss, nach den hilfsweise geltenden gesetzlichen Vorgaben in § 315 und § 317: Die die Leistungspflicht betreffende Bestimmung durch eine Partei oder durch einen Dritten ist dann im Zweifel nach „billigem Ermessen“ zu treffen.

150a) Die Leistungsbestimmung durch eine der beiden Vertragsparteien, §§ 315, 316. Die Leistungsbestimmung durch eine der beiden Vertragsparteien ist die eine Möglichkeit, bei der der konkrete Inhalt der Leistungspflicht noch nicht bei Vertragsschluss feststeht, sondern erst später festgelegt wird.

Beispiel: A verkauft dem B sein Grundstück. Da B nicht weiß, wie viel dieses Grundstück wert ist, er aber dem A vertraut, soll A den genauen Preis für das Grundstück festsetzen.

151Die Möglichkeit dazu ist eine Konsequenz aus dem Grundsatz der Vertragsfreiheit, der es eben auch eröffnet, noch nicht zu Beginn alle Vertragsbestandteile genau zu bestimmen, sondern die spätere Bestimmung durch eine der beiden Vertragsparteien zu ermöglichen. Nach § 315 können die Vertragspartner festlegen, dass sowohl der Gläubiger als auch der Schuldner die Möglichkeit haben soll, später den Inhalt der Leistungspflicht festzulegen. Hilfsweise enthält § 316 zudem eine Auslegungsregel. Wenn bei einem gegenseitigen Vertrag – wie etwa dem Kaufvertrag – die Gegenleistung nicht bestimmt ist und keine Vereinbarung darüber vorliegt, wer die Gegenleistung bestimmen soll, ist nur derjenige zur Bestimmung berechtigt, der das Entgelt zu fordern hat.

152Das Leistungsbestimmungsrecht einer der beiden Vertragsparteien setzt zunächst voraus, dass die Parteien einen wirksamen Vertrag geschlossen haben. Da die essentialia negotii noch nicht eindeutig bestimmt sind, muss zumindest verlangt werden, dass die Parteien sich insoweit geeinigt haben, dass sie einen Vertrag schließen wollen und dass die Leistung, die noch nicht bestimmt ist, bestimmbar ist und von einer der beiden Parteien bestimmt werden soll. Die wesentliche weitere Voraussetzung neben dem wirksamen Vertrag ist also, dass die Parteien noch keine Leistungsbestimmung getroffen haben. Das hört sich einfacher an als es ist: Wenn nämlich § 315 die Unbestimmtheit des Leistungsinhalts voraussetzt, heißt dies zugleich, dass die Vorschrift nicht eingreift, wenn die Parteien bereits in irgendeiner Weise Inhalt und Umfang der Leistungspflicht festgelegt haben, sei es ausdrücklich oder konkludent.196 Es genügt vor allem, dass bereits in der Einigung objektive Beurteilungsmaßstäbe vorhanden sind, anhand derer die Leistungsbestimmung erfolgen kann, ohne dass noch Raum dafür ist, dass eine der Vertragsparteien tätig wird.197

Beispiel: Wenn A den B als Arbeitnehmer beschäftigt, geht man davon aus, dass der Arbeitgeber A die genauen Modalitäten und Ausführungsinhalte der vertraglichen Schuld des Arbeitnehmers festlegen kann. Früher ergab sich dies aus § 315 BGB, heute aus dem insofern identischen § 106 GewO. Dieses Leistungsbestimmungsrecht hat seinen Ursprung darin, dass der Inhalt der Arbeitsleistung in all seinen Nuancen im Regelfall arbeitsvertraglich nicht genauer festgelegt ist und sein kann, sondern allenfalls die Art der zu leistenden Arbeit.198 A kann daher auch den Ort der Arbeit festsetzen. Das gilt aber dann nicht, wenn genau der Ort der Beschäftigung schon Vertragsinhalt ist oder geworden ist, denn dann begrenzt der Arbeitsvertrag das Leistungsbestimmungsrecht.199

153Schließlich ist Voraussetzung für ein Leistungsbestimmungsrecht nach § 315 eine ausdrückliche oder konkludente Vereinbarung der Parteien, dass eine von ihnen im späteren Verlauf die Leistungspflicht der anderen bestimmen soll. Haben die Parteien hinsichtlich dessen, der die Leistung bestimmen soll, keine Regelung getroffen, kann § 316 helfen.200

154Steht nach diesen Voraussetzungen einer der beiden Parteien die Leistungsbestimmung zu, erfolgt diese durch eine rechtsgestaltende Willenserklärung der berechtigten Partei. Da es sich um eine Rechtsgestaltung handelt, ist sie wie alle rechtsgestaltenden Willenserklärungen (vgl. etwa die Kündigung oder den Rücktritt) bedingungsfeindlich201, zudem ist sie unwiderruflich. Denn durch die Abgabe der rechtsgestaltenden Erklärung ist die Rechtslage endgültig gestaltet: Ein „Zurück“ gibt es nicht mehr.202 Eine Formvorschrift gilt in diesem Zusammenhang nicht.203 Die Vornahme der Leistungsbestimmung kann von den Parteien schon vorab näher eingegrenzt sein. Fehlt eine nähere Eingrenzung, die etwa die von einem der beiden Parteien auszuübende Bestimmung an bestimmte äußere Umstände bindet, etwa eine bestimmte Spannbreite, hat die Leistungsbestimmung gem. § 315 Abs. 1 im Zweifel nach billigem Ermessen zu erfolgen.

Beispiel: In dem oben genannten Beispiel (bei Rn. 150) über den Grundstückskauf können etwa die Parteien auch vereinbaren, dass der A den Preis festlegen und einen Wert zwischen 250.000 und 275.000 € nennen soll.

155Was genau unter dem „billigen Ermessen“ zu verstehen ist, ist nicht einheitlich zu bestimmen. Gemeint ist, dass die Vertragspartei, die den Inhalt der Leistungspflicht bestimmen kann, dies nicht willkürlich oder allein danach tun darf, was zu ihrem Vorteil ist. Vielmehr muss sie zwischen den Interessen beider Vertragsparteien einen „billigen“, das heißt „gerechten“ Ausgleich herstellen. Das billige Ermessen räumt einen Entscheidungsspielraum ein. Eine Entscheidung, die nicht nach billigem Ermessen vorgenommen wird, ist für den Vertragspartner nicht verbindlich.204 Das folgt aus § 315 Abs. 3 Satz 1. In einem solchen Fall, so Satz 2 dieser Vorschrift, muss die Bestimmung ersatzweise durch ein Urteil getroffen werden. Gleiches gilt, wenn die zur Leistungsbestimmung berechtigte Partei die Bestimmung verzögert. Entsprechend dem zuvor Ausgeführten kann es nicht bloß ein einziges Ergebnis geben, das als billig und richtig angesehen werden kann. Vielmehr steht dem die Leistung Bestimmenden eine Bandbreite an Entscheidungsmöglichkeiten zur Verfügung. Und auch nur dann, wenn die Grenzen dieser Spannbreite überschritten sind, kann die Entscheidung durch ein Gericht ersetzt werden.205

Beispiel: V und W einigen sich zwar über einen Kaufvertrag für den gebrauchten Pkw des V, überlassen aber die genaue Preisbestimmung dem V, nähere Einzelheiten finden sich nicht. Nun kann der V die Preisbestimmung „nach billigem Ermessen“ vornehmen – in der Regel wird er „ungefähr“ das verlangen können, was der Pkw wert ist, etwa nach einer anerkannten Gebrauchtwagenliste. Verlangt er viel zu viel, ist die Bestimmung nicht bindend.

156Unklar ist, ob derjenige, der ein Leistungsbestimmungsrecht hat, damit zugleich auch verpflichtet ist, diese Leistungsbestimmung auszuüben.206 Im Ergebnis wird man davon auszugehen haben, dass eine dem Recht entsprechende äquivalente Pflicht besteht. Denn die Gegenseite hat ja meist im Vertrauen auf die später zu erfolgende Leistungsbestimmung eigene Vermögensdispositionen getroffen und ist dann in ihrem Interesse an der Ausübung der Leistungsbestimmung durch den Vertragspartner zu schützen.207

157In Ergänzung zu § 315 ist die Auslegungsnorm des § 316 zu sehen. § 316 gilt für den Fall, dass der Umfang der versprochenen Gegenleistung für eine Leistung nicht bestimmt ist. Dann ist im Zweifel davon auszugehen, dass derjenige zur Leistungsbestimmung berechtigt sein soll, der die Gegenleistung fordern darf. Daraus folgt, dass bei einem gegenseitigen Vertrag, bei dem die Leistung der einen Seite zwar bestimmt ist, der Umfang der Gegenleistung hingegen nicht, und bei der auch keine Einigung darüber erfolgt ist, wer die Gegenleistung bestimmen soll, Folgendes gilt: Der, der Anspruch auf die Gegenleistung hat, darf auch den Inhalt der Gegenleistung festlegen. Auch hier gilt aber, dass diese Leistungsbestimmung entsprechend der Grundregel des § 315 nach billigem Ermessen zu erfolgen hat.

Beispiel: Haben die Parteien eines Kaufvertrags nur festgelegt, dass eine Waschmaschine verkauft werden soll, aber nicht die Höhe des Preises vereinbart, und haben sie auch nicht festgelegt, wer die Leistungsbestimmung vornehmen soll, steht dieses Recht im Zweifel – d. h. wenn nichts anderes ersichtlich oder durch Auslegung zu ermitteln ist – dem Verkäufer zu, denn er hat Anspruch auf diese Gegenleistung, d. h. auf die Kaufpreiszahlung. Der Verkäufer darf jedoch nicht willkürlich eine utopische Summe festsetzen, sondern ist hier an das „billige Ermessen“ des § 315 gebunden, er muss also einen Preis festlegen, der realistisch für derartige Güter ist und gemeinhin auf dem Markt ungefähr bezahlt wird.

158b) Die Leistungsbestimmung durch einen Dritten, §§ 317–319. Neben der Möglichkeit der Leistungsbestimmung durch eine der Vertragsparteien besteht auch die Möglichkeit, dass die Leistung zu einem späteren Zeitpunkt durch einen Dritten bestimmt werden soll. Auch diese Möglichkeit ist unmittelbare Konsequenz aus der den Vertragsparteien zustehenden Vertragsfreiheit. Der eigentliche Anwendungsbereich des § 317 ist dort zu sehen, wo die Parteien entweder eine Vereinbarung noch nicht treffen wollen oder können, etwa weil ihnen die entsprechende Sachkunde fehlt. Dann können die Parteien einen Dritten mit der Vertragsausgestaltung, d. h. mit der Bestimmung der zu erbringenden Leistung beauftragen. Hier gelten ähnliche Überlegungen wie bei der Leistungsbestimmung durch eine der Vertragsparteien. Allerdings trägt der Gesetzgeber dem Umstand Rechnung, dass ein Unabhängiger tätig wird. Daher ist eine Bindung an die Leistungsbestimmung nur dann ausgeschlossen, wenn die Leistungsbestimmung „offenbar“ unbillig ist.208 Demgegenüber ist für § 315 ausreichend, dass die Leistungsbestimmung bloß der Billigkeit nicht entspricht, um unverbindlich zu werden.

159Voraussetzung für eine wirksame Leistungsbestimmung durch einen Dritten ist ein Vertrag, der vor allem auch die Abrede enthält, dass das Bestimmungsrecht über die Leistung einem Dritten übertragen wird. Die Parteien müssen sich also über alles andere geeinigt haben, zusätzlich über die Person des Dritten. Aufgrund der weiten Formulierung des § 317 können die Parteien nicht nur vereinbaren, dass der Dritte die Bestimmung der gesamten Leistung vornimmt, sondern auch, dass er die Bestimmung nur einer Leistungsmodalität, etwa der Leistungszeit, festsetzt.209

160Liegt eine solche Bestimmung vor, hat der Dritte das Recht, die Leistungsbestimmung durch eine Willenserklärung vorzunehmen. Diese Willenserklärung ist gem. § 318 Abs. 1 gegenüber einem der Vertragschließenden abzugeben. Auch hier liegt also eine einseitige, empfangsbedürftige und unwiderrufliche Willenserklärung vor, diesmal des Dritten gegenüber einer der Vertragsparteien.210 Die Erklärung des Dritten ist gemäß der Regeln des Allgemeinen Teils insbesondere anfechtbar, etwa wegen Irrtums, Drohung oder arglistiger Täuschung. In diesem Fall sieht § 318 Abs. 2 jedoch vor, dass die Anfechtung allein dem Vertragschließenden zusteht, wobei der Anfechtungsgegner der andere Vertragsteil ist.211 Umgekehrt kann der Dritte die Leistungsbestimmung nicht anfechten, denn er hat an der Anfechtung auch kein Interesse. Diese Situation kann eintreten, wenn die beiden Vertragsparteien die Leistungsbestimmung durch einen Dritten vereinbaren und der Dritte noch auf Informationen angewiesen ist, die er von einer der beiden Vertragsparteien erhält. Sind diese Informationen falsch, ist zwar eine Anfechtung der Vertragsbestimmung möglich, aber nur durch die andere Vertragspartei, nicht durch den Dritten – obwohl dieser getäuscht worden ist.

161Wie auch im Fall der Leistungsbestimmung durch eine der beiden Parteien ist der Dritte bei der Bestimmung des Leistungsinhalts im Zweifel an das „billige Ermessen“ gebunden, dies folgt aus § 317 Abs. 1. Seine Bestimmung ist jedoch nur dann für die Leistungsverpflichteten unverbindlich, wenn sie „offenbar“ unbillig ist, § 319 Abs. 1; die Bestimmung erfolgt in diesem Falle durch das Gericht.212

162Die §§ 317–319 bilden im Ergebnis das Gerüst des BGB für die Tätigkeit eines Schiedsgutachters, wenn die Parteien etwa als Kaufpreis eine bestimmte Marge festgelegt haben und nun wissen möchten, welche genaue Bestimmung gelten soll.213

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