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II.Der Ort der Leistungserbringung

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239Die Parteien haben es grundsätzlich in der Hand, im Einzelnen festzulegen, wo die Leistung vom Schuldner erbracht werden soll.325 Nur dann, wenn sie sich über den Leistungsort nicht einigen, greift hilfsweise das BGB ein. In den §§ 269 und 270 sind Einzelheiten zum Leistungsort geregelt. Wichtig ist dies, da der Schuldner die Leistung nur am richtigen Ort auch rechtswirksam erbringen kann. Insoweit gehört der richtige Leistungsort zum Erfüllungstatbestand: Der Schuldner wird nur dann von seiner Leistungspflicht befreit, wenn er die Leistung (dem richtigen Schuldner, zur richtigen Zeit und in der richtigen Art und Weise) am richtigen Ort erbringt.326 Der Gläubiger kommt umgekehrt nur dann in Annahmeverzug, wenn er die Leistung, die am richtigen Ort erbracht worden ist, nicht annimmt. Wird die Leistung hingegen vom Schuldner an einem falschen Ort erbracht oder angeboten, tritt ein Annahmeverzug nicht ein. Umgekehrt kann jedoch der Schuldner nun in Schuldnerverzug geraten, denn er hat die Leistung nicht am richtigen Ort erbracht.

240Wo die Leistung zu erbringen ist, ist Frage des Leistungsorts327; das Gesetz spricht gelegentlich gleichbedeutend auch vom Erfüllungsort (etwa in §§ 447, 644 Abs. 2).328 Es geht also stets um die Frage, wo der Ort ist, an dem der Schuldner seine Leistungshandlung vornehmen muss. Dabei differenziert man je nach Parteivereinbarung nach unterschiedlichen Vereinbarungstypen.329

241So können die Parteien vereinbaren, dass der Gläubiger die Leistung beim Schuldner abholen muss. In dieser Situation muss der Schuldner nichts anderes tun, als die Leistung für den Gläubiger bereitzuhalten. Da es sich um eine Holschuld handelt, muss der Schuldner die Sache lediglich zur Abholung bereitstellen und den Gläubiger informieren.330 Der Leistungsort befindet sich daher am Wohnsitz des Schuldners. Das Gleiche gilt für den sog. Erfolgsort, also den Ort, an dem der Leistungserfolg eintritt. Sie treffen zusammen.331

242Umgekehrt ist die Situation, wenn es sich um eine Bringschuld handelt. In dieser Situation muss der Schuldner dem Gläubiger die Leistung bringen. Zwar sind auch hier Leistungs- und Erfolgsort identisch, doch befinden sie sich diesmal am Wohnsitz des Gläubigers.332 Dort findet die Leistungshandlung statt und eben dort tritt auch der Leistungserfolg ein. Hier muss also der Schuldner die Leistungshandlung beim Gläubiger vornehmen.

243Eine dritte Möglichkeit, den Leistungsort festzulegen, liegt bei der sog. Schickschuld vor. Hier muss der Schuldner dem Gläubiger die Leistung schicken, infolgedessen fallen Leistungs- und Erfolgsort auseinander.333 Der Leistungsort, also derjenige, an dem der Schuldner seine Leistungshandlung erbringen muss, liegt am Wohnsitz des Schuldners. Von hier aus muss er etwa die Ware absenden. Der Leistungserfolg, z. B. der Besitz- und Eigentumserwerb an einer Kaufsache, tritt jedoch erst beim Gläubiger ein, also wenn die Ware bei diesem eintrifft.334 Dort, am Wohnsitz des Gläubigers, ist also der Erfolgsort. Das spielt auch bei der Geldschuld eine Rolle, wie sich aus § 270 ergibt.

244Der Leistungsort ist in erster Linie von der Parteivereinbarung abhängig. Das wird schon aus der Formulierung des § 269 Abs. 1 am Anfang deutlich, wenn dieser als 1. Alt. festlegt: „ist ein Ort für die Leistung weder bestimmt“.335 Wenn keine Vereinbarung vorliegt, greift hilfsweise die Auslegungsregel des § 269 Abs. 1. Möglicherweise kann sich nämlich aus den Umständen, insbesondere aus der Natur des Schuldverhältnisses, ergeben, wo die Leistung zu erbringen ist. Kann man stillschweigend eine Parteivereinbarung aus der Natur des Schuldverhältnisses ziehen, ohne dass eine explizite Vereinbarung vorliegt? Das hat eine große Bedeutung, bei der Auslegung muss daher insbesondere auf die Verkehrssitte oder auf Handelsbräuche und örtliche Gepflogenheiten zurückgegriffen werden.336

Beispiel: Soll ein Werkunternehmer ein Werk beim Besteller vornehmen oder der Gärtner die Gartenanlage beim Besteller neu errichten, liegt zwingend auf der Hand, dass dies nur beim Gläubiger möglich ist. So kann also schon die Natur des Vertragsverhältnisses eine Bringschuld vorsehen, denn der Leistungsort liegt beim Gläubiger.

245Nur dann, wenn die vom Gesetz selbst vorgesehene ergänzende Vertragsauslegung nicht zum Ziel führt, greift hilfsweise die zweite Regelung des § 269 Abs. 1 ein. Ist nämlich ein Ort für die Leistung weder bestimmt noch aus den Umständen erkennbar, soll die Leistung an dem Ort erfolgen, an welchem der Schuldner zur Zeit des Schuldverhältnisses seinen Wohnsitz hat.337 Der Regelfall für den Leistungsort ist also nach der Vorstellung des Gesetzes der Wohnsitz des Schuldners. Das gilt aber für die Holschuld ebenso wie für die Schickschuld, denn in diesen Fällen ist die Leistungshandlung jeweils am Wohnsitz des Schuldners vorzunehmen. Mithin besagt diese gesetzliche Regelung für den Zweifelsfall lediglich, dass keine Bringschuld vorliegt.338 Da jedoch der Schuldner durch diese Regelung so wenig wie möglich belastet werden soll, sieht § 269 Abs. 1 die Holschuld als Regelfall an.339 Der Schuldner muss seine Leistung also an seinem Wohnsitz erbringen und der Gläubiger diese dort auch abholen. Somit ist der Wohnsitz des Schuldners oder, hilfsweise nach Abs. 2 des § 269, die Niederlassung bei einem gewerblichen Schuldner, der regelmäßige Leistungsort für die zu erbringende Hauptleistungsschuld.340 Das bleibt auch dann der Fall, wenn der Wohnort vom Schuldner später gewechselt wird.341 Weil die Vertragsfreiheit der Parteien unbeschränkt ist, können sie insbesondere auch im Laufe des Schuldverhältnisses den Leistungsort nachträglich verändern.

246Abweichend von der Grundregel des § 269 und somit einer Holschuld können die Parteien etwas anderes bestimmen. So ist insbesondere eine Bringschuld nur dann zu vermuten, wenn eine entsprechende ausdrückliche oder stillschweigende Vereinbarung zwischen den Parteien gegeben ist. Dabei enthält § 269 Abs. 3 eine Auslegungsregel für den Fall, dass zumindest keine explizite Vereinbarung vorliegt. Danach kann eine Versendung des Leistungsgegenstands unter Übernahme der Versendungskosten allein nicht die Vermutung rechtfertigen, dass es sich um eine Bringschuld handeln soll. Vielmehr bleibt es in diesem Fall bei der Grundregel des § 269 Abs. 1, d. h. dabei, dass der Leistungsort beim Wohnort des Schuldners liegt. Da jedoch dann, wenn eine Versendung vereinbart worden ist, der Erfolgsort am Wohnsitz des Gläubigers liegt, handelt es sich in derartigen Fällen regelmäßig um eine Schickschuld.342 Allein die Kostenübernahme für die Versendung führt also nicht zu einer Bringschuld, vielmehr ist eine Schickschuld anzunehmen. Der Schuldner ist also verpflichtet, dem Gläubiger die Leistung zu schicken, hat jedoch mit dem Absenden der Leistung dann die ihm obliegende Leistungspflicht erfüllt.

247Bei gegenseitigen Verträgen ist zu beachten, dass § 269 für jede einzelne Schuld gilt, d. h., dass die Leistungsorte für beide zu erbringenden Hauptleistungspflichten auseinanderfallen können, denn jede Schuld ist unabhängig von der anderen zu beurteilen.343

Beispiel: Kauft F aus Paderborn bei J aus Duisburg einen Hamster, bestehen zwei Hauptleistungspflichten. Ist nichts anderes vereinbart, gilt dann für die Eigentumsverschaffungspflicht als Leistungsort Duisburg, für die Kaufpreiszahlungspflicht hingegen Paderborn.

248§ 270 enthält eine Sonderregelung für Geldschulden. Hier können die Parteien zwar etwas anderes vereinbaren, denn auch insofern gilt die Vertragsfreiheit uneingeschränkt. Wenn nichts anderes vereinbart ist, werden Geldschulden im Zweifel als Schickschulden angesehen.344 Denn § 270 Abs. 1 bestimmt, dass der Schuldner im Zweifel Geld auf seine Gefahr und seine Kosten dem Gläubiger an dessen Wohnsitz zu übermitteln hat. Das ist die Umschreibung für eine Schickschuld. Das Geld reist also sozusagen auf Gefahr des Schuldners. Kommt es nicht an, muss der Schuldner im Zweifelsfalle noch einmal leisten.345 Denn der Erfolgsort liegt beim Gläubiger, nur der Leistungsort beim Schuldner. Eine Besonderheit ist hier insofern zu sehen, als der auf dem Weg stattfindende Untergang des Geldes nicht zur Befreiung des Schuldners von der Leistungspflicht führt, obwohl eigentlich eine Konkretisierung gem. § 243 Abs. 2 eingetreten ist. Doch spricht man insofern von einer qualifizierten Schickschuld. D. h. der Schuldner wird nicht von seiner Leistungspflicht befreit, obwohl die Konkretisierung schon eingetreten ist und damit eigentlich Unmöglichkeit nach § 275 Abs. 1 vorläge – doch der Grundsatz „Geld muss man haben“ greift hier in vollem Umfang. Erst mit Ankunft des Geldes beim Wohnsitz des Gläubigers und dem damit eintretenden Leistungserfolg kann Befreiung des Schuldners eintreten. Jedoch wird aus § 270 Abs. 1 bisher abgeleitet, dass das Verspätungsrisiko nicht beim Schuldner liegt. Dieses soll uneingeschränkt den Gläubiger treffen. Der Schuldner muss lediglich seine Leistungshandlung rechtzeitig vornehmen und haftet – insbesondere wegen Schuldnerverzugs – nicht für den verspäteten Eintritt des Leistungserfolgs.346 Diese Frage ist aber durch die (2011 neu gefasste) Zahlungsverzugsrichtlinie inzwischen stärker umstritten, da der EuGH für den kaufmännischen Verkehr bei der Verspätung nicht auf die Leistungshandlung, sondern auf den -erfolg abstellt. Der Schuldner trage das Verspätungsrisiko nur dann nicht, wenn ihm die Verspätung nicht zuzurechnen sei, die Verzögerung beispielsweise auf einem Verschulden der eingeschalteten Bank beruhe.347 Insofern unterscheidet sich dies aber nicht wesentlich von der bisher vorherrschenden Auffassung im deutschen Recht: Es kommt auch im Anwendungsbereich der Zahlungsverzugsrichtlinie darauf an, dass der Schuldner die Zahlung der Geldschuld zu einem Zeitpunkt veranlasst hat, in dem er mit der rechtzeitigen Auszahlung beim Gläubiger rechnen durfte.348 Noch weitergehende Auffassungen verstehen Geldschulden heute aber – in richtlinienkonformer Auslegung des § 270 – als modifizierte Bringschulden.349 Der Schuldner müsste so immer für das Verspätungsrisiko einstehen. Diese Auffassung schießt jedoch über das Ziel hinaus. Sie läuft gegen die Rechtsprechung des EuGH und übersieht, dass die Zahlungsverzugsrichtlinie nur auf den Geschäftsverkehr Anwendung findet. Für Geldschulden von Verbrauchern kann sie also keine Bedeutung entfalten.350

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