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ОглавлениеWesterland/Sylt. Nordseeklinik
Danach
Mit einem Ruck fährt er hoch. Er ist schweißgebadet. Sein Herz rast. Aber das Dröhnen in seinem Kopf ist weg, nur noch eine blasse Ahnung. Immerhin.
Luna, wo ist sie hin? Hektisch springt er auf und sackt beinahe vor dem Bett zusammen. Keuchend lehnt er an der Wand, spürt, wie das Pulsieren in seinen Ohren allmählich nachlässt, die Sternchen vor den Augen verschwinden. Vorsichtig tastet er sich an der Wand entlang, um die Ecke, zum Badezimmer.
Er erschrickt furchtbar, als wenige Sekunden nach der Beleuchtung lautstark die Lüftung anspringt.
Scheiße, warum bist du so nervös, denkt er. Du bist doch sonst nicht so schreckhaft. Als hättest du einen Geist gesehen, hatte Franziska gesagt. So fühlt er sich nun auch.
Luna. Sie wollte nicht mehr erzählen, hatte nur noch herumgedruckst. Er musste einfach eingeschlafen sein, noch während sie bei ihm saß. Warum? Warum ist er nur so dermaßen erschöpft?
Am Tisch setzt er die Mineralwasserflasche an die Lippen und trinkt sie aus, ohne abzusetzen. Einen Moment lang befürchtet er, alles wieder erbrechen zu müssen. Doch dann entfährt ihm ein fulminantes Rülpsen, und danach geht es ihm besser.
Sein Blick schweift durchs Zimmer. Auf dem Nachttisch liegt etwas. Er erstarrt. Ein Zettel.
Mit klopfendem Herzen beeilt er sich, seinen geschwächten Körper um das Fußende des Bettes herum zum Nachttisch zu manövrieren, stolpert über etwas, taumelt, flucht und fällt aufs Bett. Er erkennt seine Reisetasche, halb unters Bett gerutscht, doch dafür hat er jetzt keinen Blick. Er greift nach dem Zettel, ein kariertes Blatt Papier, DIN A4, aus einem Collegeblock gerissen, einmal in der Mitte gefaltet. Darauf mit blauem Kugelschreiber eine Mädchenschrift, unverkennbar, rund und verspielt, die i-Tüpfelchen sind kleine Kreise. Atemlos beginnt er zu lesen.
Lieber Karsten,
erhol dich noch gut und mach dir bitte keinen Kopf. Ich weiß, das ist leichter gesagt als getan, aber wir können die Dinge nun mal nicht rückgängig machen. Aber wir haben alles in Ordnung gebracht, auch wenn das nicht wirklich möglich ist, aber eben so gut es ging. Also mach dir keine Sorgen.
Schade, dass wir uns nicht unter anderen Umständen kennengelernt haben! Aber man trifft sich ja immer zweimal!? Egal, was kommt: Ich bin auf deiner Seite!
Alles Liebe,
Luna
Karsten lässt das Papier sinken und starrt zwischen den Lamellen der Jalousien hindurch. Ein Stück entfernt ist ein Kiefernhain zu sehen. Karsten betrachtet die sich im leichten Wind bewegenden Wipfel. Von den gleichförmigen Bewegungen geht eine hypnotisierende Wirkung aus.
Auf meiner Seite? Egal, was kommt? Keine Sorgen machen? Alles in Ordnung gebracht? Und dann auch noch: auch wenn das nicht wirklich möglich ist? Was soll das bedeuten? Was will sie damit sagen? Und was alles sagt sie nicht?
Karsten liest den Brief ein zweites Mal. Erst jetzt fällt ihm der Pfeil ganz unten auf. Er wendet das Blatt. Eine weitere Nachricht, mit einem anderen Kugelschreiber geschrieben, offenbar in Eile, unverkennbar die gleiche Handschrift, aber nicht mehr Mädchenschönschrift, sondern schlampig hingekritzelt.
Wenn er sich bislang von einer Mauer aus Angst umgeben gefühlt hat, rollt nun eine Panikwelle wie ein Tsunami auf ihn zu.
Auf der Rückseite steht:
Sag niemandem deinen Namen! Verschwinde von hier! Dein Auto steht neben der Klinik. Schlüssel ist in der Reisetasche. Wenn du den Autozug hinter dich gebracht hast, werden sie dich kaum noch finden können. Hau so schnell wie möglich ab!!!