Читать книгу Wahrheit oder Sylt - Jacob Walden - Страница 8
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Оглавление»Heute Nacht gegen halb zwei rief eine Frau bei der Rettungsleitstelle an und meldete, dass sich an der Bushaltestelle Schauinsland in Wenningstedt zwei bewusstlose Personen befänden. Bevor die Rettungsstelle nachfragen konnte, legte sie auf, ohne ihren Namen zu sagen. Die Rettungsleitstelle hat versucht zurückzurufen, doch wie sich herausstellte, kam der Anruf von einer Telefonzelle ein paar 100 Meter von der Bushaltestelle entfernt. Die Sanitäter des Rettungswagens fanden Sie und eine weitere Person wie angekündigt bewusstlos im Wartehäuschen liegend vor.«
»Warum Wenningstedt?«
Der Arzt lacht. »Warum nicht? Ist das das Einzige, das Ihnen zu denken gibt?«
»Und warum Bushaltestelle?«
»Vielleicht wollten Sie nach Hause?«, schlägt Waldmann vor.
Schweigen. Ratlosigkeit.
»Setzen Sie sich nicht unter Druck. Meistens kommt die Erinnerung mit der Zeit zurück.« Der Arzt schenkt ihm ein Lächeln, das aufmunternd wirken soll.
»Es war jedenfalls großes Glück, dass Sie so schnell gefunden worden sind. Durch das heftige Gewitter hat es sich stark abgekühlt, und Sie waren nur notdürftig bekleidet.«
»Okay«, sagt er gedehnt. Sein Gehirn ringt um Bilder, Erinnerungen, irgendetwas.
»Die Sanis haben Sie dann hierher in die Nordseeklinik gebracht. In Ihrem Blut fand sich eine Alkoholkonzentration von zweieinhalb Promille. Ihre Zunge wies frische Bissspuren auf, wie sie typischerweise bei Krampfanfällen auftreten. Daher haben wir eine Computertomografie ihres Kopfes durchgeführt, die aber keine auffälligen Befunde erbracht hat. Sie waren einige Stunden in einer tiefen Bewusstlosigkeit.«
»Krampfanfälle? Wie ein epileptischer Anfall?«
»So in der Art. Aber im Rahmen einer schweren Alkoholintoxikation kann man noch nicht von Epilepsie sprechen. Oder ist bei Ihnen ein Epilepsieleiden bekannt?«
Aus dem Nebel in seinem Kopf taucht seine Mutter auf. Sie sieht frisch und erholt und um Jahrzehnte jünger aus als das abstoßende Bild, das er von ihr in seiner Erinnerung behalten hat.
»Als kleines Kind … meine Mutter … sie hat gesagt, dass ich mal einen … Anfall gehabt hätte. Ich sollte das jedem Arzt sagen. Das war ihr ganz wichtig.«
»Na, dann passt ja alles zusammen«, sagt der Arzt nickend. »Vielleicht haben Sie tatsächlich eine niedrigere Krampfschwelle als andere. Und irgendetwas hat dann gestern Abend die Sicherungen durchbrennen lassen.«
»Aber so etwas ist noch nie passiert!«
»Haben Sie gestern etwas anderes als Alkohol konsumiert?«
Er spürt, wie es in seinem Kopf heiß wird.
»Ecstasy, Kokain, Marihuana?«, schlägt Waldmann vor.
»Nein«, flüstert er. »Selbstverständlich nicht.«
»So selbstverständlich ist das überhaupt nicht«, sagt der Arzt und sieht sehr skeptisch aus. »Auf Sylt ist so einiges im Umlauf, vor allem in der Saison. Aber jetzt, da Sie wieder aufgewacht sind, ist es eigentlich auch egal. Zumindest aus medizinischer …«
»Wer noch?«, unterbricht er den Arzt. »Wer war der andere … an der Bushaltestelle?«
»Hmmm«, macht der Arzt nachdenklich, »das darf ich Ihnen nicht sagen. Schweigepflicht, Sie wissen schon.«
»Dann fragen Sie ihn!«, versucht er zu rufen, aber seine Stimme kommt noch immer nicht über ein heiseres Krächzen hinaus. »Sie können ihm von mir erzählen.«
»Ihr«, sagt der Arzt ruhig. »Es ist eine Frau. Und sie ist noch nicht wieder aufgewacht.«
»Wer ist es? Sagen Sie es mir!«
»Wir wissen von ihr genauso wenig wie von Ihnen. Sie hatten beide keine Papiere, keine Handys und auch sonst nichts dabei. Nur die Kleider, die Sie anhatten, und das waren, wie gesagt, auch nicht viele.«
»Wie sieht sie aus?«
»Wenn Ihnen dann ihr Name einfällt, verraten Sie ihn mir dann?«
»Ja. Natürlich.«
»Groß, schlank, etwa Mitte 20. Am auffälligsten sind ihre langen, welligen blonden Haare. Eine richtige Löwenmähne. Und … wie soll ich das jetzt sagen?« Er lacht verlegen. »Ziemlich große Brüste.«
Ein Bild, mehr nicht, das aber deutlich. Kein Name. Nur Gesicht. Gestalt. Er schweigt und zuckt lediglich mit den Schultern.
»Schade«, sagt der Arzt. »Was ist gestern Abend wirklich passiert? Was haben Sie sich alles reingezogen?«
»Ich habe keine Ahnung. Ehrlich!«
Waldmann seufzt und wendet sich zum Gehen.
»Wie geht’s denn jetzt weiter?«, krächzt er dem Arzt hinterher.
»Erst einmal müssen Sie hier bleiben. Aber da Sie jetzt wach sind, können Sie im Laufe des Tages auf die normale Station umziehen. Die Schwester wird Sie vorher vom Vitaldatenmonitor nehmen und Ihnen den Blasenkatheter ziehen. Morgen müssen ein paar Untersuchungen durchgeführt werden. Wenn alles okay ist, werden Sie in zwei, maximal drei Tagen draußen sein. Bis dahin werden sich sicher auch Ihre Freunde gemeldet haben. Dann werden wir bestimmt erfahren, wer Sie überhaupt sind.«
Es sollte beruhigend klingen, doch bewirkt das Gegenteil. Der Arzt lässt die Glastür hinter sich offen. Vom Flur ist ein Murmeln zu hören, leise Stimmen, unverständlich, doch irgendwie bedrohlich. Er ist sich sicher, dass die Stimmen über ihn reden.