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1.5.4 Strukturelle Grundlagen der Vereinigungen

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Die Auseinandersetzung mit antiken Vereinigungen wirft grundsätzliche Fragen hinsichtlich des Aufbaus dieser Gruppen auf: Welche OrganisationsformenOrganisationsform sind anzunehmen? Gab es ÄmterAmt bzw. Leitungsfunktionen und HierarchienHierarchie innerhalb der Vereinigungen? Welche Ziele verfolgten die Vereinigungen? Der Grundsätzlichkeit der Frage entsprechend, soll an dieser Stelle zunächst ein allgemeines Bild freiwilliger Vereinigungen gezeichnet werden, ohne auf konkrete Einzelphänomene einzugehen.

Ein forschungsgeschichtlicher Konsens besteht in der Erkenntnis, dass sich freiwillige antike Vereinigungen an gesamtgesellschaftlichen Strukturen orientierten und sie gleichsam unterwanderten. Konkret wird dies an der Ausbildung von Ämtern und HierarchienHierarchie deutlich, die denen der Gesellschaft des Römischen Reichs ähnlich waren.1 Die Übernahme dieser ÄmterAmt war allen VereinigungsmitgliedernVereinigungsmitglied möglich, ungeachtet ihres realen sozialen Status. Demgemäß besaßen Vereinigungen ein egalitäres Element, das in gesamtgesellschaftlicher Perspektive keine Parallele fand.2 Insofern schufen Vereinigungen eine fiktive Realität, die die Alltagsverhältnisse zu transzendieren bzw. zu unterwandern vermochte: „Nur in einer Vereinigung konnte auch ein Freigelassener den Posten eines magisters bekleiden, in der Mitgliederversammlung diskutieren oder einen magister zur Rechenschaft ziehen. Demgemäß kann man von einer Vereinigung als von einem in sozialer Hinsicht ausdrücklichen Gegenmodell zur stark hierarchisch organisierten Stadtgesellschaft sprechen.“3 In diesem Zusammenhang ist aber auch darauf hinzuweisen, dass die faktische EgalitätEgalität innerhalb der ÄmterstrukturAmt eine Begrenzung durch mit finanziellen Verpflichtungen verbundene ÄmterAmt fand, deren Ausübung durch ihren pekuniären Aspekt auf einen bestimmten Personenkreis beschränkt blieb.4 Gutsfeld verweist zugleich darauf, dass die Vereinigungen kein „Sonderleben“ führten und das Ausleben dieses Gegenmodells auf einen geschützten Raum begrenzt war, sich innerhalb der städtisch-gesellschaftlichen Zusammenhänge zu verordnen hatte und nicht offen gegen sie opponieren konnte.5 In nicht geringem Maße dürfte dieser Umstand jedoch in Verbindung mit der Schaffung einer GruppenidentitätGruppenidentität dazu beigetragen haben, soziale Ungleichheiten abzumildern und dadurch indirekt auch das gesellschaftliche System zu stabilisieren.

Für die Gründung und Erhaltung von Vereinigungen jeglicher Art ist eine finanzielle Basis unerlässlich.6 Besondere Bedeutung innerhalb der Frage nach der Organisation freiwilliger antiker Vereinigungen kommt deswegen dem PatronatswesenPatronat zu, das im Sinne der gesellschaftlichen Ordnung des Römischen Reiches mit Status und Anerkennung verbunden war und im Zusammenspiel mit egalitären Momenten innerhalb der Vereinigungen für dieses konstitutiv war.7 Das PatronatswesenPatronat muss nicht als Widerspruch zur EgalitätEgalität gesehen werden, da eine PatroninPatronin bzw. ein PatronPatron in den meisten Fällen nicht zugleich Mitglied der betreffenden Vereinigung war, es sei denn, diese versammelte sich innerhalb ihres bzw. seines Haushaltes.8 Der PatroninPatronin bzw. dem PatronPatron kam die Aufgabe der finanziellen bzw. auch materiellen Unterstützung der Vereinigung zu, ebenso wie öffentliche Fürsprache aufgrund ihres bzw. seines Ansehens und Einflusses.9 PatroninnenPatronin und PatronePatron fungierten also als WohltäterinnenWohltäterin und WohltäterWohltäter.10 Deswegen war die soziale Stellung einer PatroninPatronin bzw. eines PatronsPatron von entscheidender Bedeutung. Da ein PatronatPatronat auch zum sozialen PrestigePrestige beitrug, war der soziale Status einer Vereinigung vice versa von evidenter Bedeutung für die Gewinnung einer PatroninPatronin bzw. eines PatronsPatron. Die Würdigung erfolgte dann gemeinhin durch eine Statue, einer Inschrift oder dergleichen. Meeks verweist in diesem Zusammenhang auf umfangreiche Einflussmöglichkeiten, die eine PatroninPatronin bzw. ein PatronPatron in Bezug auf das Vereinigungsleben gehabt habe.11 Insofern aber die Kenntnisse der Organisation und Lebensvollzüge von Vereinigungen auf vorwiegend epigraphischem Material basieren, das einer PatroninPatronin oder einem PatronPatron die Gunst erweist, sind an dieser Stelle nur vorsichtige Urteile angemessen. Durch das PatronatswesenPatronat werden Abhängigkeiten geschaffen, die gleichermaßen mit Machtansprüchen und deren Durchsetzung verbunden sein konnten.12 Auch in Bezug auf egalitäre und demokratische Grundzüge freiwilliger Vereinigungen ist Meeks eher zurückhaltend und vermutet, dass eine demokratische Verfasstheit nur dem Anschein nach existent war.13

Neben die finanzielle Unterstützung durch eine WohltäterinWohltäterin bzw. einen WohltäterWohltäter traten finanzielle Leistungen, die von den MitgliedernMitglied der Vereinigung selbst erbracht wurden.14 Dabei handelte es sich zunächst um EintrittsgelderEintrittsgeld15, die bei Aufnahme in die Vereinigung zu leisten waren. Darüber hinaus existierten aber auch regelmäßige MitgliedsbeiträgeMitgliedsbeitrag, die die Teilnahme am sozialen Leben der Vereinigung garantierten.16 Bei Vereinigungen, die sich primär der Sorge um das BegräbnisBegräbnis ihrer MitgliederMitglied verschrieben hatten, garantierten regelmäßige Zahlungen die Organisation und Durchführung des BegräbnissesBegräbnis des verstorbenen Vereinigungsmitglieds.17 In der Sorge um ein würdiges BegräbnisBegräbnis ist ein Umstand zur Abmilderung sozialer Spannungen zu sehen, der dem Einzelnen zumindest im Tod eine Teilhabe an traditionellen gesellschaftlichen Ritualen ermöglichte, die sozialschwachen Gruppen ansonsten verschlossen blieben.18

Ferner ermöglichten MitgliedsbeiträgeMitgliedsbeitrag die Durchführung regelmäßiger gemeinsamer MahlzeitenMahlzeiten, die als ein elementarer Aspekt des sozialen Lebens freiwilliger antiker Vereinigungen angesehen werden können.19 Diese gemeinsamen Mahlzeiten waren mit bestimmten Tagen und Ereignissen verbunden und besaßen eine Regelmäßigkeit. Damit erfüllten sie einen doppelten Zweck: Neben der Förderung der Geselligkeit markierten sie signifikante Ereignisse und Höhepunkte im Leben der Vereinigung.20 Obgleich eine Mehrzahl an Vereinigungen Menschen aus allen gesellschaftlichen Schichten offenstanden, bleibt zu fragen, inwieweit AufnahmegebührenEintrittsgeld und regelmäßige Beiträge als Hinderungsgründe für die Beteiligung marginalisierter Gruppen anzusehen sind.21 Demgegenüber ist aber auch die Möglichkeit einer Mitgliedschaft in mehreren Vereinigungen denkbar, sofern die wirtschaftlichen Mittel gegeben waren.22 Als Beispiel kann ein Simon von Poros angeführt werden, der von Inschriften verschiedener Vereinigungen als Mitglied genannt wird: IG II2 1325IG II2 1322–1325 führt ihn als Mitglied einer Vereinigung der OrgeonenOrgeonen des DionysosDionysos, während ihn IG II2 1327IG II2 1327–1329 und IG II2 1328IG II2 1327–1329 als Mitglied einer Vereinigung der OrgeonenOrgeonen einer Göttin führen.23 Mit dem Phänomen der mehrfachen Mitgliedschaft verbindet sich zugleich ein Hinweis auf mögliche Konkurrenzsituationen zwischen den Vereinigungen, die auf eine stabile Mitgliederzahl angewiesen waren.24 Aus der Perspektive des Neuen Testaments undenkbar ist allerdings die Mitgliedschaft von Christusgläubigen in antiken Vereinigungen aufgrund einer möglichen kultischen Konnotation ihres Vereinigungslebens bzw. ihrer gemeinsamen Mahlzeiten (vgl. 1Kor 8,9–131Kor 8,9–13; 1Kor 10,14–331Kor 10,14–33).25 „Die Tatsache, dass sich PaulusPaulus mit dieser Frage beschäftigt, deutet allerdings an, dass nicht alle Christen mit ihrer ZuwendungZuwendung zu einer christlichen Gruppe alle anderen privaten, geschäftlichen oder auch geselligen Kontakte abgebrochen haben.“26 Vice versa dürfte eine Mitgliedschaft von Christusgläubigen aus der Perspektive der Vereinigungen unproblematisch gewesen sein, solange die Regelungen der jeweiligen Vereinigung beachtet wurden. Allerdings bieten alle in dieser Studie untersuchten Quellen weder explizite noch implizite Indizien für eine Mitgliedschaft von Christusgläubigen. Demgegenüber wurde innerhalb einer Quelle dezidiert eine Teilhabe von Sklavinnen und Sklaven an den Aktivitäten der Vereinigung wahrgenommen.27 Nach Zustimmung der jeweiligen Herrin bzw. des jeweiligen Herren war dies grundsätzlich möglich, sofern das Vereinigungsstatut keine negative Aussage diesbezüglich traf.28 Auch Vereinigungen, die ausschließlich aus Sklavinnen und Sklaven bestanden, sind belegt.29

Mit Hinweis auf Poland wurde bereits deutlich gemacht, dass es eine große Vielfalt in Bezug auf Vereinigungszwecke gab, die ihren Ausdruck in einer Vielzahl unterschiedlicher Vereinigungen fand.30 Für die vorliegende Studie ist eine Kategorisierung der Vereinigungen nicht von primärem Interesse. Sie erscheint deswegen nicht notwendig, weil sich das Interesse dieser Studie nicht auf die Umstände der Entstehung bzw. das Anliegen der Vereinigung fokussiert, sondern das jeweilige Gemeinschaftsgefüge in den Blick nimmt. Darum ist es zunächst unerheblich, ob es sich bei der jeweiligen untersuchten Vereinigung um eine Kult-, BerufsvereinigungBerufsvereinigung o.ä. handelt, da vielmehr von dem Gedanken auszugehen ist, dass sich soziale HandlungsvollzügeHandlungsvollzüge in jeglicher Art Vereinigung feststellen lassen.

Es ist noch einmal dezidiert darauf hinzuweisen, dass es sich bei dem antiken VereinigungswesenVereinigungswesen um ein Phänomen mit – für antike Verhältnisse – globaler Dimension gehandelt hat. Vereinigungen sind in allen Teilen des Römischen Reiches nachzuweisen und schufen ein dichtes Netz sozialer Kommunikations- und Handlungsorte.31 Damit ist allerdings noch keine Aussage über Beziehungen und Kontakte zwischen einzelnen Vereinigungen getroffen. Deutlich ist aber, dass Vereinigungen keine singulären, regional begrenzten Phänomene darstellten. „Mit anderen Worten: Vereine gehören zur kulturellen Enzyklopädie der Antike“32 und bieten sich auch für einen Vergleich mit dem frühen Christentum an.

Diakonie zwischen Vereinslokal und Herrenmahl

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