Читать книгу Diakonie zwischen Vereinslokal und Herrenmahl - Jan Quenstedt - Страница 103
2. Quellenanalyse: Vereinigungen in Selbstdarstellungen 2.1 Vorbemerkungen
ОглавлениеDer Ausbruch des Vesuvs im Jahr 79 v. Chr. konservierte die AlltagskulturAlltagskultur einer römischen Stadt im 1. vorchristlichen Jahrhundert. Unter der Asche und dem Staub haben sich in Pompeji eine Vielzahl an Graffitis und Schmierereien erhalten, die einen fragmentarischen Einblick in das Leben der Bewohner dieser Stadt ermöglichen. Darunter ist der folgende Text erhalten:
„Abomino paupero(s). Quisqui(s) quid gratis rogat, factu(u)s est; aes det et accipiat res. Ich verabscheue die Armen. Wer irgend etwas gratis haben will, ist ein Einfaltspinsel. Er soll Geld geben und seine Einkäufe mitnehmen.“1
Das Graffiti stellt nicht mehr als eine Momentaufnahme dar, eröffnet darin aber einen Einblick in die Gedankenwelt und die Emotionen eines Menschen, der vermutlich als Händler tätig war. Aus seiner epigraphischen Hinterlassenschaft spricht eine Abneigung (abomino) gegenüber marginalisierten Gruppen. Zugleich wird aber auch deutlich, dass Angehörige dieser Gruppe augenscheinlich Ansprüche an die Gesellschaft formulierten und kostenfreie Hilfeleistungen erwarteten. Diese Erwartung kommt auch in einem Wandgemälde aus Pompeji zum Ausdruck, das Longenecker beschreibt:2 Darauf zu sehen ist eine vermeintlich wohlhabende Frau, die einem Bedürftigen auf dem Forum der Stadt eine Münze überlässt:3 „In an ordinary Pompeian day, along with children playing, youth being taught, and adults bartering, one might also catch a glimpse of one of the urban poor being given a coin by a sub-elite woman.“4
Für die vorliegende Studie weisen das Graffiti und das Wandgemälde darauf hin, das ein sozial-fürsorgliches HandelnHandeln, sozial-fürsorglich im Sinne der heuristischen Bestimmung des Konzepts diakonischen Handelns offensichtlich keine Selbstverständlichkeit war, sondern einer Begründung bzw. besonderen MotivationMotivation bedurfte.5 D. h. es ist zu prüfen, inwieweit epigraphische Quellen zu freiwilligen antiken Vereinigungen weiterführende Erkenntnisse in Bezug auf Begründung und Motivation eines derartigen Handelns bieten. Wie das zitierte Graffiti und das beschriebene Wandgemälde stellen auch die Quellen zu den Vereinigungen Momentaufnahmen dar, die vor dem Hintergrund konkreter Umstände entstanden. Daher ist zur Gewinnung belastbarer Erkenntnisse ein Querschnitt von epigraphischen Quellen auszuwählen, darzustellen und in eine Beziehung zu neutestamentlichen Aussagen und Vorstellungen zu bringen. Die Kriterien für die Auswahl der Inschriften wurden bereits in Kapitel II.1.2 genannt. Im Licht dieser Kriterien wurden die bisher erschienenen Bände der Edition „Greco-Roman Associations“6 gesichtet und die darin vorfindlichen Inschriften anhand der aufgestellten Kriterien überprüft. Die Inschriften, die den Kriterien entsprechen, werden im Rahmen dieses Abschnitts genauer untersucht. Die Ordnung dieser Darstellung wird von inhaltlichen und formalen Kriterien geleitet: Die ersten drei Inschriften stellen Vereinigungsstatuten dar (Kapitel II.2.2 bis II.2.4), die weiteren Inschriften bieten Würdigungen einzelner Personen (Kapitel II.2.5 bis II.2.10). Innerhalb dieser beiden Gruppe bzw. Genre sind die einzelnen Inschriften jeweils chronologisch nach ihrer Entstehungszeit angeordnet.
Für die Analyse der Inhalte der Inschriften ist eine Übersetzung zur inhaltlichen Auseinandersetzung unverzichtbar. Der Darstellung der griechischsprachigen Inschriften ist aus diesem Grund eine Arbeitsübersetzung des Verfassers vorangestellt. Ausnahmen von dieser Regel werden an entsprechender Stelle angemerkt. Wichtig für die Lektüre der Inschriften und ihrer Übersetzungen ist, dass das Layout beider vom Aspekt der Übersichtlichkeit bestimmt wurde und keine Wiedergabe der aufgefundenen Inschrift darstellt. Ergänzungen des Verfassers innerhalb der Übersetzungen werden durch eckige Klammern angegeben und vom Kriterium der Lesbarkeit bzw. des Leseflusses geleitet. Auch ist darauf hinzuweisen, dass die Besprechung textkritischer Varianten vom Untersuchungsgegenstand geleitet und motiviert ist und sie nur thematisiert werden, wenn ihr Ertrag für die inhaltliche und kontextuelle Analyse der Inschrift von Bedeutung ist. Mit Fettdruck hervorgehobene Editionen bezeichnen im Fließtext fernerhin die Quelle der abgedruckten Inschrift. Um die Orientierung innerhalb der Editionen sowie in den Werken PhilonsPhilon von Alexandrien und Flavius JosephusJosephus, Flavius’ zu erleichtern, ist am Ende des Fließtexts ein auf diese Studie zugeschnittenes Abkürzungsverzeichnis zu finden. Ergänzt wird dieses von einem Überblick über textkritische Zeichen innerhalb der Inschriften.